Coming-out und Journalismus: Danke für nichts, Kolleg*innen
In Istanbul im Jahr 2000 sollte mein neues Leben beginnen. Journalistin war ich schon, nun auch trans Frau. Geholfen hat mir niemand.
K ommen Sie, lassen Sie uns zusammen auf eine Reise in die späten neunziger Jahre gehen. Das war die Zeit, in der ich mich selbst fand – eine sehr schwere Zeit für mich. Ich war noch nicht bereit, anderen die Gewissheit zu offenbaren, die ich mir nicht einmal selbst eingestehen konnte. Doch während ich versuchte, ein Leben innerhalb der Grenzen zu führen, die die Gesellschaft für mich vorgesehen hatte, machte das Leben andere Pläne für mich.
Ich war eine Journalistin Anfang 20 und gerade nach Istanbul gezogen. Hier wollte ich die ersten Schritte machen, um mit meiner neuen Identität ein neues Leben zu beginnen. Ich war hoffnungsvoll und aufgeregt. Erschöpft von den jahrelangen Angriffen der Menschen und verletzt durch die geschlechterbasierte Gewalt, die ich erlebt hatte, sagte ich mir eines Nachts: Es reicht, was kann noch Schlimmeres passieren?
Das war mein offizielles Coming-out als trans Femme. In jener Nacht versprach ich mir, bis zuletzt für meine Identität zu kämpfen.
Ich ahnte nicht, dass meine neue Identität mich daran hindern würde, meinen Beruf auszuüben. Meine Kolleg*innen, hoffte ich, würden mich unterstützen. Aber es kam leider anders. Ich rief alle Journalist*innen an, die ich in Istanbul kannte, und bat sie, mir bei der Jobsuche zu helfen. Doch sie halfen mir nicht. Stattdessen beendeten sie unsere Freundschaft und gingen nicht mehr ans Telefon.
Wie Müll behandelt
Jeden Morgen stand ich früh auf und machte mich auf den Weg, um mich bei Zeitungen und Fernsehsendern vorzustellen. Doch ich bekam nicht die Chance, auch nur mit einer Person zu sprechen. Wenn ich abends nach Hause ging, fing ich noch auf dem Heimweg zu weinen an. Damals war ich noch sehr jung, ich verstand nicht, warum ich abgewiesen wurde.
Zuletzt versuchte ich mein Glück bei der Boulevardzeitung Star Gazetesi. Doch als ich zum Bewerbungsgespräch ging, rief die Frau am Empfang den Sicherheitsdienst. „Werfen Sie diesen Transvestiten raus“, rief sie. Zwei Wachmänner packten mich am Arm und zerrten mich zum Ausgang. Sie warfen mich auf die Straße wie Müll. Ich fing an zu schluchzen. Zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich wegen meiner Identität hilflos und allein.
An jenem Tag begriff ich, dass es in der Journalismusbranche ein Problem sein würde, trans zu sein. Meine Eltern waren christliche Migranten in der Türkei, ich war seit meiner Kindheit gewohnt, ausgegrenzt zu werden. Doch diesmal war es anders. Diesmal zerbrach etwas in mir.
Meine Kolleg*innen, die im Jahr 2000 verhindert haben, dass eine trans Frau als Journalistin arbeitet, gehören heute zu den bekanntesten Journalist*innen der Türkei. Wenn mir in jenen Tagen jemand einen Job gegeben hätte, wäre mein Leben wahrscheinlich ganz anders verlaufen. Vielleicht hätte ich den Job bekommen, wenn ich nicht in Frauenkleidern zum Bewerbungsgespräch gegangen wäre. Aber das wäre nicht mehr ich gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen