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Comic Bei den Hamburger Graphic-Novel-Tagen gibt sich die Szene-Prominenz in den nächsten Tagen die Klinke in die Hand. Wichtig ist Hamburg als Stadt des experimentierfreudigen Nachwuchses – dank eines entsprechenden Studiengangs. Gleichzeitig zeigt das Wilhelm-Busch-Haus in Niedersachsen, woher der Comic kommt: mit einer Ausstellung über Rodolphe Töpffer, den genialen Urvater des Genres ▶ Schwerpunkt SEITE 43–45In der Talentschmiede

von Jan-Paul Koopmann

Hamburg ist nicht die auffälligste unter den Comicstädten, aber doch eine der innovativsten – und irgendwie auch die nachhaltigste. Klar, da sind Verlagsgrößen wie Carlsen. Und wenn sich kommende Woche internationale KünstlerInnen zu den Graphic-Novel-Tagen die Klinke des Literaturhauses in die Hand geben, dann weht kurz auch ein Hauch von weiter Comicwelt. Was den Standort aber wichtig macht, ist seine Nachwuchsförderung. Hamburgs Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) ist heute eine Talentschmiede, in der junge KünstlerInnen das Comic-Handwerk nicht nur erlernen – sondern es immer wieder auf den Kopf stellen.

Gerade ist Karin Kraemers Masterarbeit „Sie“ erschienen: Sechs großformatige Hefte im Schuber, die mit wenig Worten und opulenten Bildern von einem Geschöpf erzählen, das sich schwarz und unförmig durch den Alltag ächzt. Da wird Sie entweder übersehen, oder mit dem fiesem Blick der Lästermäuler seziert. Sie ist ein so unheimliches wie liebenswürdiges Ungeheuer, das zugleich eine Menge von uns allen hat. Na gut, Monster mit menschlicher Seite sind im Comic nichts Neues. Doch hier ist es gerade andersherum: Es geht um das Monströse des Alltags. Die Hauptfigur ist eine marginalisierte, drückt sich wortwörtlich am Rand herum, quillt aus der Form und fällt unangenehm auf. Gruselig aber sind die Menschen um sie herum, die zwar feiner gezeichnet sind, in ihrer Konformität einander aber gleichen wie ein Ei dem anderen.

Das Skizzenhafte der Bilder ist nicht der Eile geschuldet, sondern planmäßig. Da blitzen Hilfslinien durch die Körper der Menschen und lassen sie wie Geister erscheinen. Ihr Spuken aber ist ganz weltlich und zumindest an der Oberfläche harmlos. Der Satz „Sie sind wirklich die beschissenste Kellnerin, die die Welt jemals gesehen hat“ ist schon einer der härtesten Gewaltakte dieser Geschichte. Autobiografisch ist er übrigens auch, erinnert sich Ex-Kellnerin Kraemer mit einem kleinen Rest echter Fassungslosigkeit. Erschienen ist „Sie“ im Mami-Verlag, wo HAW-Professorin und Comic-Größe Anke Feuchtenberger seit 2008 Arbeiten ihrer SchülerInnen herausgibt. Birgit Weyhe, Arne Bellstorf und Sascha Hommer sind Namen, die aufmerken lassen, wenn man sich ein bisschen für Comics interessiert. Seit Anfang des Jahres sind die Mami-Bücher im Sortiment des Reprodukt-Verlags zu finden, was nicht nur eine breitere Käuferschicht verspricht, sondern auch den Hamburger Comicladen „Strips & Stories“ entlasten dürfte, der den Versand bisher mehr oder weniger allein gestemmt hat.

Neben Kraemer ist in der ersten Welle unter dem neuen Dach auch ihre Kommilitonin Lena Hällmayer herausgekommen. Für „Das Ding, das auf mein Stolpern lauert“ hat sie jeden Tag eine Zeichnung angefertigt und so engmaschig ein Jahr ihres Lebens dokumentiert. Ein wichtiges: Ihr zweites Kind kommt fast zwei Wochen nach dem errechneten Entbindungstermin zur Welt, während das erste gerade anfängt, im Kindergarten vorsätzlich ins Sandspielzeug zu scheißen. Das ist mal lustig, mal beklemmend. Nur eine belanglose Anekdote ist es eben nie. Die Aufregung liegt in dem Versprechen, das Jahr zu dokumentieren – komme, was wolle. Ein außerordentlich intimes Buch ist es geworden, in dem Schrift und Bild abwechseln: ein zähes Ringen, um die richtige Form – und um Schmerzgrenzen.

Die Bücher beider HAW-Absolventinnen grenzen sich gerade in ihrer Rohheit vom Hochglanz des aktuellen Mainstream-Comics ab, der gerade eine unheilvolle Symbiose mit seinen längst nicht mehr nachrangigen Filmfranchises eingeht: „Spiderman. Der Comic zum Film“. Doch selbst im Mikrokosmos Graphic Novel sind Kunstcomics wie die von Kraemer und Hällmayer noch eine eigene Marke, die manche in scherzhafter Anlehnung an den Diskurspop von gestern auch „Hamburger Schule“ nennen. Was die nun genau ausmacht, ist allerdings gar nicht so leicht zu sagen – vielleicht weil ihr Gemeinsames gerade die Absage an eingeschliffene Konventionen ist. „Sie“ etwa hat keine Panels, sondern ausschließlich ganzseitige Bilder. Sprechblasen gibt es zwar, doch sie spielen eine klar untergeordnete Rolle. Ob das überhaupt noch Comic ist, weiß auch Karin Kraemer nicht ganz genau.

Doch sie macht nicht den Eindruck, als würde ihr das Label-Problem schlaflose Nächte bereiten. Immerhin hilft es, solche Arbeiten auch jenseits des Kunstmarktes zu verkaufen – ein Verdienst wie das von Verlegerin und Lehrerin Feuchtenberger, die für Kraemer ein bisschen auch Vorbild ist: ihrer Haltung wegen, die kleine Kunst Comic unbedingt ernst zu nehmen.

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