Comic „Beethoven – Unsterbliches Genie“: Angriff der Aasgeier
Der vergnügliche Comic „Beethoven – Unsterbliches Genie“ handelt vom Versuchen anderer, am Ruhm des Komponisten teilzuhaben.
Aber nein, so ein Buch ist es ja gar nicht geworden, obwohl der Comic „Beethoven – Unsterbliches Genie“ heißt und auf dem Cover einen vielarmig musizierenden und dirigierenden Heros mit irrem Blick und Silberlocke zeigt. Eine falsche Fährte, zum Glück, denn Autor Peer Meter und Zeichner Rem Broo geht es überhaupt nicht um den guten alten Ludwig van – sondern um die Aasgeier an seinem Grab.
Da ist etwa Louis Lefebvre aus Paris, der sich über fast 40 Seiten durch Wien kutschieren lässt, um Beethoven zu finden und nebenher eine Geschichte zu erzählen: Wie er eine Partitur des Meisters mit Widmung zum großen Napoleon bringen sollte, sie aus guten Gründen aber nicht abgab, gerade damit größte Vertrautheit unter Beweis stellte und so weiter. Und das wäre tatsächlich alles ziemlich beeindruckend, wenn der große Komponist da nicht schon seit Stunden tot wäre. Und außerdem sei gestern schon einer da gewesen, sagen die Sargträger: „Der hat genau dieselbe Geschichte erzählt.“
Um solche Leute geht es also: Falsche Freunde, Nachbarn, Sängerinnen und Konkurrenz – die alle ein Stück des am 26. März 1827 Verblichenen abhaben wollen. Von seinem Ruhm soll das heißen, aber auch ganz wörtlich von ihm: Man hatte so viele von Beethovens Haarsträhnen als Glücksbringer unters Volk gebracht, dass der Leichnam am Ende wie ein gerupftes Huhn ausgesehen haben soll. Kurz vor der Versiegelung des Sarges wird ihm im Comic der Kopf abgesägt und durch einen fremden Schädel ersetzt.
Anekdoten sind das, Legenden, bis heute schwelende Verdachte – und sehr subjektive Geschichten, die sich im Comic vorsätzlich nicht zu einem großen Ganzen verdichten, sondern mitsamt ihrer klaffenden Widersprüche nebeneinander stehen. Mitunter wechselt Zeichner Rem Broo sogar den Stil, erzählt die Episode der Uraufführung von Beethovens Neunter im Kärtnertortheater etwa in leuchtenden Farben, leicht verschwommen im Premierenfieber – dagegen das Chaos in Beethovens Wohnung, wovon die Haushälterin erzählt, blass und in krakeligen Konturen.
Die Bildsprache ist imposant, wo sie es sein darf, und brüchig dort, wo es der Erzählung dient. Das ist so hübsch wie schlüssig, doch die große Leistung dieses Comics ist tatsächlich die von Autor und Szenarist Peer Meter, der in Worpswede bei Bremen lebt und dessen Comics es ansonsten mit eher finsteren Gestalten zu tun haben. Mit Zeichner David von Bassewitz hat er etwa „Vasmers Bruder“ über den Serienmörder und Kannibalen Karl Denke entwickelt, für Isabel Kreitz den Hannoveraner Killer „Haarmann“ geschrieben und über die Bremerin Gesche Gottfried den Text von „Gift“ verfasst, den Barbara Yelin damals außerordentlich erfolgreich in Szene gesetzt hat.
Peer Meter geht tatsächlich noch im anhängigen Interview auf Distanz zu seinem neuen Sujet. Er sei früher mal angefragt worden, „langweilige fünfzigseitige Pseudo-Comic-Bios über klassische Musiker“ zu schreiben, erzählt er da, und er hätte auch unter Pseudonym keine Lust drauf gehabt.
Langweilig ist sein Beethoven tatsächlich nicht – und eine Biografie auch nicht. Im Gegenteil treten selbst banalste Fakten im Verlauf der Geschichte immer weiter in den Hintergrund. Selbst über den Geburtsort wird auf der Straße gestritten, weil ihn gleich mehrere „zu Hause“ beerdigen wollen: in Bonn eben oder Wien – oder gleich im holländischen Zutphen, wo er sogar zwei Jahre früher als gemeinhin angenommen geboren worden sein soll – was sich durchaus auch als Seitenhieb auf das aktuelle Beethoven-Jahr zum 250. Geburtstag lesen lässt – ohne das wohl auch dieser Comic nie erschienen wäre.
Nein, es steckt kein großes geschichtskritisches Programm hinter dieser Antibiografie, dafür aber ein umso vergnüglicheres Spiel mit mal mehr, mal weniger ernsten Versuchen, am Ruhm Beethovens teilzuhaben.
Denn das ist ja, was Peer Meters Szenario macht: Es gesteht neben einigen historischen Figuren selbst einem fiktiven Niemand wie dem Hochstapler Lefebvre zu, sich tatsächlich in die Geschichte einzuschreiben. Seiner Odyssee durch Wien gehört immerhin das erste Viertel der Geschichte. Bis zu seiner Enttarnung darf er die Hauptfigur des Comics mimen und einige der verbürgten Wohnorte Beethovens abklappern. Ein Vorwand freilich auch, die Landschaft um die sich damals noch wild windende Donau zu zeigen und nebenher noch die Information zu streuen, dass Beethoven in seinen Wiener Jahren rund 80-mal umgezogen sei.
Beethoven. Unsterbliches Genie von Peer Meter und Rem Broo. Carlsen 2020, 144 S., 22 Euro; E-Book 9,99 Euro
Und um das doch nochmal zu sagen: Rem Broos Landschaften sind herrlich – nicht nur weil der ehemalige Architekt von Gebäuden und Perspektive etwas versteht, sondern weil er die Spannung hält, zwischen einer bis hin zum Sonnenstand naturalistischen Umwelt und bisweilen karikaturenhaft überzeichneten Figuren. Das Wien des frühen 19. Jahrhunderts ist wie eine Bühne für niederträchtiges und mitunter auch ziemlich peinliches, menschliches Gehampel.
Der Comic versetzt diese Reibereien unterhaltsam in Bewegung: Die Leute wollen etwas Geld, ein Stück vom Kuchen, beziehungsweise von der Leiche – und viel psychologischer wird's auch nicht. Aber sie lädt zum Misstrauen ein, dieser Geschichte, und zur durchaus berechtigten Frage, was das ganze Bohai nun eigentlich soll. Tatsächlich werden Beethovens Überreste auch heute noch alle paar Jahre mal wieder irgendwelchen Analysen unterzogen, um zu prüfen, ob jene Locke nun zu diesem Schädelfragment passt – oder um abschließend zu klären, ob der große Meister sich nun totgesoffen hat, oder doch einer möglicherweise unverschuldeten Bleivergiftung erlag.
Und vielleicht ist in einem Jubiläumsjahr wie diesem ja auch gerade diese schlichte Erkenntnis Gold wert: dass im Krieg die Sieger Geschichte schreiben. Und in der Kultur eben die Aasgeier.
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