Comedy-Special „Inside“ auf Netflix: Wohnzimmerkomik

Das Netflix-Special „Inside“ zeigt den Comedian Bo Burnham in seiner Wohnung während der Pandemie. Sein Witz entkommt dem Comedy-Klischee.

Comedian Bo Burnham liegt in einer Decke eingewickelt auf dem Boden. Sein Kopf liegt auf einem Kissen, auf dem auch ein Mikrofon liegt. Neben ihm sind viele Elektrogeräte über den Boden verteilt, ein klassischer Kabelsalat

In der Pandemie wird Comedy ganz bodenständig Foto: Netflix

Wenn Comedians ihr Live-Programm für die Nachwelt festhalten dürfen, heißt diese Aufzeichnung Comedy-Special. Doch allzu besonders geht es dabei selten zu, vielmehr sieht die Sache immer gleich aus, ob bei Ellen DeGeneres oder Dave Chappelle, bei Ramy Youssef oder Enissa Amani.

Ein Mensch steht gut ausgeleuchtet auf der Bühne, im Saal sitzen begeistert lachende Zu­schaue­r*in­nen und die Kamera hält einfach drauf. Doch „Inside“, das neue Programm von Bo Burnham, das seit Kurzem bei Netflix zu sehen ist, zeigt, dass es auch anders und wirklich speziell geht.

Entstanden sind die rund andert­halb Stunden Material, die der 30-jährige Amerikaner in „Inside“ präsentiert seit dem Beginn der Corona­pandemie. Entsprechend gibt es statt Live-Publikum und gleißenden Scheinwerfern hier bloß Burnham allein vor heimischen Kameras zu sehen, in einem kleinen Raum zwischen Keyboard und Kommode. Der Titel ist Programm: der Komiker, der seine Karriere als Teenager bei Youtube begann, bleibt angesichts der grassierenden Pandemie drinnen, in diesem Zimmer genauso wie in seinem Kopf.

Statt bloß in einem Rutsch seine Nummern durchzuspielen, hat Burnham in Eigenregie ein kleinteiliges Mosaik aus in den vergangenen 12 Monaten entstandenen Aufnahmen zusammengesetzt. Die Stadien des ihn umgebenden Verwahrlosungschaos im spartanisch eingerichteten Raum variieren genauso wie die Länge seiner Haare oder des Bartwuchses. Und weil es keine Interaktion mit einem Publikum gibt, setzt er weniger auf zielsichere Pointen und gesprochene Worte als auf selbst komponierte Popsongs, in denen er seine Gedanken zum Ausdruck bringt.

Thematisch ist die Bandbreite groß und reicht von coronabedingten Schwierigkeiten wie Facetime-Telefonaten mit der Mutter bis hin zu allgemeinen Beobachtungen dessen, was Millennials in den Untiefen der digitalen Welt umtreibt, seien es Reaction-Videos oder Sexting-Probleme.

Eigentlich Ein-Mann-Spielfilm

Zu den Höhepunkten gehört die satirische Nummer „White Woman’s Ins­ta­gram“, doch ums Witzigsein geht es Burnham gar nicht in erster Linie. Auch das Thema psychische Gesundheit nimmt einen großen Raum ein, schließlich erlitt Burnham während der Tour mit seinem letzten Programm „Make Happy“ vor fünf Jahren mehrere Panikattacken und kehrte der Bühne bewusst den Rücken.

Ist „Inside“ also das Ergebnis autobiografischer Aufarbeitung? Oder ist der Bo Burnham, dem wir hier dabei zusehen, wie ihn die Isolation in Pandemiezeiten immer weiter in den Wahnsinn zu treiben scheint, nicht doch eine Kunstfigur?

Schließlich ist es kein Geheimnis, dass der Raum, in dem dieses Special entstanden ist, bloß ein Gästehaus auf dem eigenen Grundstück ist und hinter der verschlossenen Tür in Wirklichkeit ein Alltag fernab von Einsamkeit und Verzweiflung mit seiner Lebensgefährtin, der Filmemacherin Lorene Scafaria, und den gemeinsamen Hunden liegt.

Die große Stärke des Programms liegt ohnehin anderswo, nämlich vor allem darin, wie Burnham die eigene Rolle als Komiker und die Gattung Stand-up auslotet, hinterfragt und auf den Kopf stellt; ganz anders, aber kaum weniger drastisch als die Kollegin Hannah Gadsby vor einigen Jahren mit „Nanette“.

Er macht das inhaltlich, etwa wenn er sich fragt, ob er als weißer Mann mit seiner Comedy die Welt retten kann. Aber eben auch formal, denn Burnham, der als Regisseur und Autor auch schon den originellen Coming-of-Age-Film „Eighth Grade“ verantwortete und als Schauspieler eine tragende Rolle im Oscar-prämierten Film „Promising Young Woman“ spielt, geht nicht nur mit vollem Körpereinsatz ans Werk, sondern stellt angesichts der räumlichen Einschränkungen viel gestalterisches Talent in Sachen Kameraarbeit, Beleuchtung und Schnitt unter Beweis.

Am Ende ist „Inside“ deswegen weniger ein Comedy-Special als viel mehr eine Art clever geschriebener und konstruierter Ein-Mann-Spielfilm über einen singenden Comedian. Und als solcher absolut sehenswert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.