piwik no script img

Comeback der Popband No AngelsDie Engel singen wieder

Vor 20 Jahren brachte die Castingshow „Popstars“ als erste Band die No Angels hervor. Nun ist die Girlgroup mit einem neuen Album zurück.

Die No Angels auf dem Happy Family Festival Foto: imago

Man muss den Song nicht mal mehr hören, um ihn für den Rest des Tages im Ohr zu haben: „I wanna be daylight in your eyeeeees / I wanna be sunlight, only warmer …“ Im Video sieht man fünf junge Frauen, Vanessa Petruo, Nadja Benaissa, Lucy Diakovska, Jessica Wahls und Sandy Mölling, in koordinierten, knappen Glitzeroutfits singen, tanzen und aus irgendeinem Grund vor einer Bodenkamera herumkrabbeln.

Und trotzdem, oder gerade deswegen, war es natürlich das Coolste, was sich eine Zwölfjährige vorstellen konnte: Die Frauen wirkten so erwachsen, so lässig, sie strahlten Lebensfreude aus und boten endlose Identifikationsfläche – jede Zuschauerin konnte sich in einer der fünf wiederfinden wie einige Jahre zuvor schon bei den Spice Girls, die das Spiel mit den Archetypen schon in den Neunzigern perfektioniert hatten.

Mit dem Unterschied, dass die „Daylight“-Sängerinnen nicht nur die eigene Sprache sprechen konnten, nein, man hatte ihrem Aufstieg auch minutiös von der ersten Sekunde an folgen können. Sie waren die „Popstars“, die die erste Staffel der gleichnamigen Castingshow hervorbringen sollte.

In fünfzehn Folgen, ausgestrahlt ab September 2000 auf dem Krawallsender RTL II, konnte man den Aufstieg der Künst­le­rin­nen verfolgen. In einer der ersten Folgen ist die Kamera frontal auf die junge Vanessa Petruo gerichtet: „Was unterscheidet dich von anderen Mädels?“, fragt eine Stimme aus dem Off. „Gar nichts, ich bin ganz normal“, antwortet die schüchtern wirkende 20-Jährige. Nur wenige Wochen später sollten sie und die anderen vier Frauen tatsächlich zu den größten Popstars gehören, die dieses Land womöglich jemals hervorgebracht hat.

Eine charmante Unbedarftheit

Und vielleicht ist diese Szene, dieses „ganz normal“, schon gleich der Schlüsselmoment, der den unglaublichen Erfolg der fünf Frauen, die als No Angels Musikgeschichte schreiben sollten, beschreibt. Petruo und ihre Bandkolleginnen waren alle zwischen 18 und 24, in Ausbildung oder in ihren ersten Jobs, sie wirkten nicht nur wie die Mädchen von nebenan, sie waren tatsächlich die Mädchen von nebenan – die sich aber gegen viertausend andere Be­wer­be­rin­nen durchsetzten, um dann als No Angels zur erfolgreichsten Girlgroup Kontinentaleuropas aufzusteigen.

Schaut man heute die Folgen von damals an, fällt eine geradezu charmante Unbedarftheit auf: nicht nur der Künstlerinnen, die sich dort bewarben, sondern auch des gesamten Teams. das „Popstars-Camp“ auf Mallorca, wo die Be­wer­be­rin­nen in Tanz und Gesang gedrillt wurden, wirkt provisorisch zusammengezimmert, teilweise kann man im Hintergrund neugierige Nachbarn das Treiben beobachten sehen.

Nebencharaktere wie der Gesangslehrer Robert aus England oder auch die Jury, bestehend aus der niederländischen Sängerin Simone Angel und den Künstlermanagern Mario Mendryzcki und Rainer Moslener, waren augenscheinlich nicht auf Star­potenzial hin gecastet worden, abgesehen natürlich von Tanzlehrer Detlef „D!“ Soost, der später zur zentralen Figur des Formats aufsteigen sollte.

No Angels zeigen Diversität als normalen Fakt

Vor allem aber herrschte eine nette und im Vergleich zu den Castingshows der folgenden Jahre geradezu wertschätzende Atmosphäre. Schon im Jahr darauf sollte Noah Sow beispielsweise ihren Platz als Jurymitglied mitten in einer Staffel räumen, weil sie nicht Teil der menschenverachtenden Maschinerie der Show sein wollte, in späteren Konkurrenzformaten machte Dieter Bohlens Pöbeleien zu seinem Markenzeichen, Heidi Klum stellt in „Germany’s Next Topmodel“ Drill über Empathie.

Doch in der ersten Staffel „Popstars“ war all das noch fern, niemand konnte ahnen, welche Ausmaße der Erfolg der No Angels annehmen würde. Und vielleicht ermöglichte dieses Unwissen auch Dinge, die sonst vielleicht nicht möglich gewesen wären.

Da wäre die Diversität der Band, Diakovska war erst fünf Jahre zuvor nach Deutschland migriert und lesbisch, Wahls und Benaissa sind Schwarze Frauen, und die Mutter von Petruo (heute Petruo-Zink) stammt aus Lateinamerika. Ein Thema war das jedoch nie, und ihre familiären Hintergründe wurden zumindest innerhalb der Show nicht in den Vordergrund gestellt oder gar ausgeschlachtet.

Im Gegenteil, in den No Angels zeigte sich die Diversität der Vielfaltsgesellschaft als normaler Fakt. Damit erreichten sie wohl mehr für Gleichberechtigung als so manche hochoffizielle Kampagne.

Außerdem erkämpften sich die Künstlerinnen, wie sie auch im Podcast zu ihrem 20-jährigen Bandjubiläum erzählen, Mitspracherecht: Sie pochten darauf, dass „Daylight“ als erste Single veröffentlicht werden sollte und nicht das in der Sendung promotete „Go Ahead and Take It“. Als Leadsingle des zweiten Albums diente dann sogar „Something About Us“, ein von Petruo mitgeschriebener Song, der selbstbewusst das Klischee der „Retortenband“ kontert.

Man muss sich vergegenwärtigen, in welcher Zeit das alles passierte. Zwar war das neue Jahrtausend gerade erst angebrochen, doch die hedonistischen Neunziger und die Umbrüche des ausgehenden 20. Jahrhunderts hallten noch nach. Das „Ende der Geschichte“, wie es Politikwissenschaftler Francis Fukuyama 1989 unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der UdSSR verkündet hatte, schien Wirklichkeit zu sein.

Die No Angels erinnern an die Zeit vor der Pandemie

Zwar platzte im März 2000 die Spekulationsblase, doch im Autobauerland Deutschland galt das alles noch vor allem als Nischenphänomen, wenn halbseidene Un­ter­neh­me­r*in­nen unbedarfte Kleinanleger über den Tisch zogen.

Abgesehen davon war es eine Zeit nie dagewesener Prosperität und vor allem vermeintlicher Sicherheit – selbst der Bundeswehreinsatz im Kosovo wirkte von Deutschland aus sehr weit weg. Erst knapp ein Jahr später, im September 2001, sollten die Terroranschläge in New York den globalen Westen aus dem süßen Schlummer reißen.

Aber zu diesem Zeitpunkt waren „Daylight“, das Album „Elle’Ments“ und zwei weitere Singles längst veröffentlicht, und die No Angels hatten sich in der öffentlichen Wahrnehmung längst konsolidiert. Was auch an ihrem Ar­beits­pen­sum lag, wie sie es in ihrem Podcast anklingen lassen: wenig Freizeit, endlose Promotouren.

Für das Publikum waren diese Aspekte jedoch unsichtbar, und so ist es kein Wunder, dass die Rückkehr der alten Alben der No Angels auf die Streamingportale letztes Jahr für Begeisterung und einen erneuten Hype um die Mutter aller deutschen Castingbands führte.

Die No Angels symbolisieren eine Zeit, in der noch alles halbwegs in Ordnung war, eine Zeit vor Hartz IV, vor Dauerwerbesendung auf Instagram, eine Zeit vor Dauerkrisen und Wirtschaftskatas­trophen. Und vor allem: eine Zeit vor einer Pandemie, die die individuelle und kollektive Verunsicherung in jedem Lebensbereich auf die Spitze trieb. „Die Welle der Begeisterung zur Wiederveröffentlichung des Katalogs hat gezeigt, dass die Songs von damals auch heute noch eine kulturelle Relevanz haben.

Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Songs zeitlos sind und schon damals auf internationalem Niveau produziert wurden. Aber vor allem verbinden die Fans zahllose Erinnerungen mit der Musik der No Angels, an die wir besonders in Krisenzeiten natürlich gern zurückdenken“, erzählt Feline Moje vom Plattenlabel BMG, die federführend daran gearbeitet hat, die Songs, die vom ­ausländischen ­Rechteinhaber einfach vergessen worden waren, wieder zugänglich zu machen.

Die exaltierte Freude fehlt

Genau daran soll nun „20“ anknüpfen: Mölling, Wahls, Diakovska und Benaissa haben sich wieder zusammengetan – Petruo hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und arbeitet in Los Angeles als Wissenschaftlerin –, um sechzehn ihrer größten Hits neu und „zeitgemäßer“ aufzunehmen; plus vier neu geschriebene Songs, die vielleicht eine Tür zu einem potenziellen Comeback öffnen sollen.

Vorab veröffentlicht wurde schon die neue Version von „Daylight“, und wie zu erwarten sind die Bässe fetter, die Stimmen reifer und voller, die Komposition ausgefeilter. Aber es fehlt ein zentrales Element: die exaltierte Freude, die ungeschliffene Begeisterung, die das Publikum so mitrissen, eben weil zwischen Band und Publikum kaum ein Unterschied zu bestehen schien.

Die neuen Songs setzen schon mit ihren Titeln fast ausschließlich auf dieses Nostalgiegefühl: „We Keep the ­Spirit Alive“, „Mad Wild“, „A New Day“ und „Love You for Eternity“, und sie könnten vom Sound her genauso gut aus dem übrigen Œuvre stammen. Aber reicht Nostalgie allein, gerade wenn die Pandemie langsam ihrem Ende entgegengeht? Unklar. Bis dahin aber stimmen wir alle mit ein: „I wanna be Day­liiiiiiiight …“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.