Comeback der Leuchtstoffröhre: „uhse“ leuchtet rot, „beate“ nicht
Schrift aus Leuchtstoffröhren ist ein neuer, alter Trend. Das Berliner Buchstabenmuseum widmet ihnen mit „Final Sale“ eine Ausstellung.
W as wäre, wenn Frauen die Welt regierten? Diese Frage stellte die israelische Multimediakünstlerin Yael Bartana sich und ihrem Publikum 2018 in einem Stück an der Volksbühne, 2021 in einer Ausstellung im Jüdischen Museum – dort in großen Lettern aus gelb fluoreszierenden Leuchtstoffröhren und auf Englisch. In Flyerform hängt die Frage von jeher im Raum meiner Küche.
Seit Bartanas Leuchtstoffröhren-Installation habe ich eine Vorliebe für diese Art der Wortkunst entwickelt. Auf meinem mobilen Endgerät finden sich inzwischen zig Fotos von Wörtern, Symbolen und ganzen Sätzen, die Berlin, Leipzig, Hamburg, Graz und verschiedene mexikanische Städte illuminieren.
So weit reicht der Trend also. Seinen Peak hat er meiner Ansicht nach inzwischen erreicht. Mit Serifen und ohne, druckbuchstabiert oder in Ligatur verbunden, mit in Rot leuchtendem Neon gefüllt, bläulich schimmerndem Argon oder gelb strahlendem Helium: Die Leuchtstoffröhre ziert auf einmal alles. Besonders deutlich wird mir das bei Fahrten durch die Kantstraße, wo unzählige Restaurants sich diesem Trend verschrieben haben.
Zwischen Savignyplatz und Leibnizstraße strahlen sie miteinander um die Wette: Angefangen beim „Noosh“, das türkisfarben einen „modern taste of Orient“ verspricht, übers „Madame Ngo“, dem „Funky Fish“, „Mr. Chai Wala“, dem sich in einer ehemaligen Schleckers-Filiale befindenden „893 Ryōtei“, dem Frühstückscafé „long story short“ sowie dem Burgerladen „50|50“, der in eine ehemalige Video-World-Filiale eingezogen, erst noch eröffnet gehört. Gibt es hier etwa eine Richtlinie, die für alle Neueröffnungen leuchtende Werbeschrift vorsieht?
„SAD“ in Karstadt-Typo
Ein Friseursalon kurz hinter der Wilmi schießt den Vogel komplett ab. Im Gegensatz zu den Speiselokalen, die fast zu hip daherkommen für Charlottenburg, wirkt an ihm alles altbacken. Der Name in Serifenschrift überm Laden, zwei Schaufensterpuppen mit billigen Perücken und Netzstrumpfhosen, Orchideen in der Auslage.
Hallo 80er! Die pinke Neon-Schrift im Schaufenster wirkt fehl am Platz, passt dann aber doch wieder ins Gesamtarrangement der Geschmacklosigkeit. „We give the best blow job“, steht da. Daneben – auch fluoreszierend – ein Föhn. Schabadu und Schabada.
Moabit ist vor derlei Gentrifizierung auch nicht gefeit, obwohl es sich tapfer an seine Eckkneipen- und Spielsalonkultur klammert. In der Kirchstraße leuchtet es mir pink und in Papageiform entgegen. Die Einrichtung des „Paradise“ wirkt, als hätten Greta Gerwig und Wes Anderson „Miami Vice“ neu aufgelegt. Klingt cooler, als es aussieht.
Zwischen den S-Bahnhöfen Bellevue und Tiergarten stoße ich auf das Buchstabenmuseum, von dem ich schon viel gehört, aber nicht gewusst habe, dass es sich in meiner Nachbarschaft befindet. „Final Sale“ (noch bis 17.9.) heißt die aktuelle Ausstellung, in der Schriftzüge der über die vergangenen Jahre verschwundenen Waren- und Kaufhausketten ausgestellt werden. Überdimensional reihen sich A, E und G hintereinander im Eingangsbereich, weiter hinten leuchtet mir „uhse“ rot entgegen, „beate“ bleibt aus.
An der Wand ein blaues „Q“ für „Quelle“ und das Wort „SAD“ in Karstadt-Typo. Wie eine Zeitreise fühlt es sich an: „Galeria Kaufhof“, ein „Palmers“-P und der „Film-Palast“ beamen mich zurück in meine Berliner Kindheit. Nostalgie ist, was da bei mir anklopft. Eigentlich ein für mich willkommenes Gefühl. Nur gerade irgendwie nicht.
„Der Nostalgiker verliert die Fähigkeit, seine Zukunft an einem Ort zu gestalten. Vielmehr besteht die Tendenz darin, die Vergangenheit zu re-inszenieren“, schreibt Stefan W. Schmidt in einem Essay. Vielleicht ist es das, was mich an den Leuchtstoffröhren stört: dieses Festhalten an Altbewährtem, wo doch der Blick in die Zukunft grad wichtig wäre. Für mich, für alle. Im Museum ist sie gut aufgehoben, die Leuchtstoffröhre. Im Stadtbild vielleicht weniger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen