: Collors langsamer Walzer ist vorbei
Brasiliens Parlament wird am 25. September namentlich über den Staatschef abstimmen ■ Aus Rio Astrid Prange
Jetzt sind die Tage von Brasiliens Präsident Fernando Collor endgültig gezählt: Nachdem in der vergangenen Woche der Antrag auf die Amtsenthebung des 42jährigen Staatsoberhauptes im brasilianischen Parlament eingereicht wurde, hat am Dienstag Parlamentspräsident Ibsen Pinheiro den Zeitplan bis zur entscheidenden Abstimmung im Plenum festgelegt. Danach verbleibt Collor noch eine Galgenfrist bis zum 25. September.
Pinheiro fällte gleich zwei für Präsident Collor ungünstige Entscheidungen: Er beschränkte sein Recht auf Verteidigung auf fünf Tage und verfügte, daß die entscheidene Abstimmung offen und namentlich verlaufen muß. Um das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Collor in Gang zu setzen, müssen mindestens 336 der insgesamt 503 Abgeordneten dafür stimmen. Sollte die notwendige Zweidrittelmehrheit zustandekommen — was sehr wahrscheinlich ist — wird Collor zunächst für 180 Tage aus seinem Amt entfernt. Die endgültige Verurteilung Collors, dem passive Korruption und mangelnde Amtsverantwortung vorgehalten werden, ist Aufgabe des Senats.
Die Opposition im Parlament sowie die brasilianische Öffentlichkeit nahmen die Entscheidung Pinheiros erleichtert zur Kenntnis. Die Aussicht, daß das Ende der politischen Krise abzusehen ist, die das Land seit drei Monaten lahmlegt, ließ auch die Börsenkurse steigen. „Die Zeiten des langsamen Walzers sind vorbei, wir befinden uns im Kriegsklima“, beschreibt José Genoino, Abgeordneter der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), die Stimmung.
Präsident Collor deutet die zügige Abwicklung des Verfahrens als „Staatsstreich“. Das Recht auf Verteidigung, Grundlage jeder zivilisierten Gesellschaft, sei nicht garantiert, kritisierte er und beauftragte seinen Rechtsanwalt Gilmar Mendes, beim Obersten Verfassungsgericht Beschwerde einzulegen. Die Klage wird ihm nichts nützen. Die Verfassungshüter haben schon zu verstehen gegeben, daß sie für Verfahrensfragen des Parlaments nicht zuständig sind. Der Kongreß sei in dieser Hinsicht „souverän“.
Collor setzt nun alles daran, seine Abwicklung bis Mitte Oktober hinauszuzögern. Dann nämlich sind die für den 3. Oktober vorgesehenen Gemeindewahlen gelaufen und die Kandidaten könnten in aller Ruhe umschwenken und gegen die Amtsenthebung stimmen. Antonio Carlos Magalhaes, Gouverneur des Bundesstaates Bahia und einer der wichtigsten Verbündeten des Präsidenten, machte sich über Pinheiro lustig: Noch nie habe es eine so unwichtige Figur gewagt, das juristische Gewissen des Landes zu verletzen, polterte der für Korruption landesweit bekannte Gouverneur. „Dies ist der Triumph der Liliputaner.“
Auch Collors Mutter Dona Leda betrat nach einer langen Pause überraschend wieder die politische Bühne. Sie ließ am Dienstag vormittag für ihren verlorenen Sohn eine Messe in der Kathedrale von Rio lesen. Die Anhänger der charismatischen Erneuerung, die sich stets um diese Zeit in der Kirche einfinden, goutierten die Politisierung ihres Gottesdienstes offensichtlich nicht. Aber Dona Leda übersah die Proteste geflissentlich. Ihre außerordentliche Verdrängungsgabe wird nur noch von Sohn Fernando übertroffen: In der Hoffnung, dem Sturz in seiner Heimat entfliehen zu können, hat Collor bereits einen Flug nach New York gebucht — er wird dort trotz entgegengesetzer Ratschläge seiner Berater am 21. September die Generalversammlung der UNO eröffnen.
Doch auch dieser Rettungsversuch ist wohl vergeblich: Die rund 300.000 Brasilianer, die sich in den vergangenen zwei Jahren in New York ansiedelten, haben bereits zu verstehen gegeben, daß sie ihrem Staatsoberhaupt einen gebührenden Empfang bereiten werden.
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