College-Football vor Saisonfinale: Chaos vor dem Ende
Die College-Football-Saison ist ein Superspreader-Event mit geringem sportlichem Wert. Nun ist es an der Zeit, die veralteten Strukturen abzuschaffen.
S chon in gewöhnlichen Jahren ist der College Football ein unübersichtliches Vergnügen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Spaßes besteht darin, jeden Winter aufs Neue zu diskutieren, ob der Prozess, mit dem ermittelt wird, welche Universität des großen Landes denn die beste Football-Mannschaft besitzt, gar keinen oder wenigstens ein wenig Sinn ergibt.
Man kann sich vorstellen, dass ein System, das aus einem unübersichtlichen und überaus fluiden Wirrwarr aus Umfragen und Komitees, reichen regionalen Ligen und einem schwachen Dachverband, vielen altgedienten Traditionen und wenigen verlässlichen Regeln besteht, einem anpassungsfähigen und ziemlich ansteckenden Virus mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist.
Dass nun am Neujahrstag, also an dem Tag, an dem sie auch ursprünglich geplant waren, die beiden Halbfinalspiele stattfinden sollen, bevor am 11. Januar in Miami das Endspiel folgt, das darf man getrost als kleines Wunder bezeichnen – nach einer Saison, in der viele Mannschaften am Freitag oft nicht wussten, ob sie am Samstag tatsächlich auf dem Feld stehen würden. Eine Saison, in der geldgierige Funktionäre die sogenannten Student-Athletes (in der Mehrzahl schwarz) auf einen sonst oft menschenleeren Campus beorderten, während die sonstige Studentenschaft (in der Mehrzahl weiß) wegen des Infektionsrisikos lieber vor dem Laptop seine Vorlesungen verfolgte.
Eine Saison, in der sich prompt haufenweise Spieler infizierten, darunter mit Clemson-Quarterback Trevor Lawrence auch der größte Star des Sports, und Spiele von einem Staat in den anderen verlegt wurden, weil dort andere Hygienevorschriften galten. Eine Saison, die zum Superspreader-Event mit überschaubarem sportlichem Wert wurde, aber aufgrund Milliarden Dollar teurer TV-Verträge trotzdem durchgezogen wurde. Eine Saison, in der ein gutes Dutzend jener sogenannten Bowl-Spiele, mit denen sich die US-Amerikaner – analog zur Vierschanzentournee in Mitteleuropa – am liebsten die Zeit zwischen den Jahren vertreiben, abgesagt werden mussten.
Gerechteres System gewünscht
Eine Saison also, die, so meinten viele Kommentatoren, besser gar nicht stattgefunden hätte. Oder die, so andere Experten, auch dazu genutzt hätte werden können, endlich einmal einen radikalen Schnitt zu machen, mit überkommenen Traditionen zu brechen und ein völlig neues, gerechteres System zu installieren.
Weil es dazu nicht kam, diskutiert die Nation also mal wieder, ob die vier Mannschaften, die ausgewählt wurden, um den Titel des „National Champions“ zu spielen, ihren Platz im Halbfinale auch verdient haben. So haben die Notre Dame Fighting Irish zwar zuletzt eine saftige 10:34-Niederlage gegen die Clemson Tigers kassiert, aber sollen nun gegen die sogar noch besser eingeschätzte Alabama Crimson Tide eine Chance haben?
Noch umstrittener ist Clemsons Semifinalgegner Ohio State: Die Buckeyes haben zwar kein einziges Spiel bislang verloren, haben aber auch nur sechs absolviert, weil wegen Infektionen mehrere Begegnungen abgesagt werden mussten – die Konkurrenz aber hat mindestens drei Mal öfter gespielt.
Kein Wunder, dass jemand wie Jimbo Fischer sauer ist. Fischer ist Trainer von Texas A&M, die manche TV-Kommentatoren gern statt Ohio State im Halbfinale gesehen hätten, und knurrte nach dem letzten Erfolg seiner Mannschaft: „Wir haben sieben Spiele hintereinander gewonnen. Andere haben nicht mal sieben Spiele gespielt.“
Auch Luke Fickell, Trainer der Cincinatti Bearcats, die zwar ungeschlagen blieben, aber in einer als schwächer eingeschätzten Liga antreten, meinte: „Meine Mannschaft hätte es verdient, aber mich fragt ja niemand.“ Der Konter von Ryan Day ließ nicht lange auf sich warten. Als der Coach von Ohio State gefragt wurde, ob er die Kollegen verstehen könne, antwortete er: „Das ist deren Problem.“
Aber wenn diese chaotische Saison vorbei ist, warten weitere, noch größere Probleme auf den College Football. Die ewige Diskussion, ob die Spieler nicht mehr nur mit einem Stipendium abgespeist, sondern bezahlt werden sollen, bekam unlängst neuen Aufwind, als sich Barack Obama auf die Seite der Sportler stellte. Und nun, da sich die Washington Redskins im Profi-Football und die Cleveland Indians im Baseball von ihren rassistischen Klub-Namen getrennt haben, wächst auch der Druck auf Colleges, sich von diskriminierenden Ritualen zu distanzieren. Noch immer werden in vielen Stadien im Süden Schlachtgesänge angestimmt, die sich auf die Sklavenhalterzeit beziehen.
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