Clubszene in Beirut: Tanzen trotz Terror
Die Libanesen wissen sich zu amüsieren – trotz Bomben und Gewalt im Land. Eine Streifzug durch die Clubszene in Beirut.
BEIRUT taz | Es ist Samstagabend in Beirut und aus den Bars im Szeneviertel Mar Mikhael dringt laute Musik. Auf den ohnehin engen Gehwegen ist längst kein Durchkommen mehr. Vor jedem Eingang drängt sich ein Pulk von Menschen. Mit Zigarette und Getränk in der Hand lehnen sich junge Männer lässig an parkende Autos während ihre Blicke immer wieder zu den kurzen Röcken und tiefen Ausschnitten der weiblichen Gäste schweifen. Aus den Autos, die im Schritttempo die Partymeile entlang rollen, wummert Elektromusik. Das Partyvolk kommt langsam in Stimmung. Der Alkoholpegel steigt. Die Nacht hat begonnen.
In Mar Mikhael stehen noch zahlreiche alte Villen aus der Zeit vor dem libanesischen Bürgerkrieg. In dieser Altstadtkulisse eröffneten seit letztem Jahr etliche neue Bars. Wer das Geld nicht ganz so locker in der Tasche sitzen hat und auf alternative Vintage-Pubs steht, ist hier richtig. Doch das sind nicht die einzigen Gründe, warum die Ausgehmeile gerade so angesagt ist. Mar Mikhael liegt in einem vornehmlich christlichen Viertel, weit weg von den Anschlagsorten des vergangenen Jahres in den schiitischen Vororten Beiruts. Hier fühlen sich die jungen Libanesen sicher.
„Ich verlasse das Viertel nur selten, und schon gar nicht direkt nach einem Bombenanschlag“, sagt der 29-jährige Zeid, der von Bar zu Bar zieht. Sein unkonventioneller Look – ein abgetragener deutscher Bundeswehrparka und das Ziegenbärtchen – passt ins Bild der alternativen Klientelen von Mar Mikhael. Im Chaplin, einem kleinen gemütlichen Pub mit rustikaler Holzeinrichtung, macht er Halt. Er nimmt auf einem Hocker an der Bar Platz und bestellt eine Flasche Al-Maza, eine lokale Biersorte.
Kaum jemand aus seinem Bekanntenkreis gehe heutzutage in einem muslimischen Viertel aus, erklärt Zeid während er das Etikett von seiner Bierflasche pult. Er glaubt, dass die Wahrscheinlichkeit von Terrorattacken im überwiegend muslimischen Westbeirut größer sei als in christlichen Stadtteilen im Osten.
Treffpunkt Mar Mikhael
Der Libanon wird alle paar Jahre von Anschlagsserien erschüttert. Die Explosionen mehrerer Autobomben in den Vororten Beiruts galten als Antwort auf das Eingreifen der Schiiten-Miliz Hisbollah in den Syrienkrieg. Radikal-sunnitische Kräfte bekannten sich dazu. Wie sich der Konflikt zwischen den beiden Lagern weiterentwickeln wird, weiß niemand zu sagen.
Das Partyvolk geht auf Nummer sicher, um in aller Ruhe das Wochenende zu genießen. „Ich fühle mich in Mar Mikhael einfach wohler“, meint Zeid und trinkt den letzten Schluck aus seiner Flasche. Dann verschwindet er im Gedränge von Neuankömmlingen vor dem Pub. Unter ihnen sind der 25-jährige Johnny und seine Freundin Sonja. Sie wohnen außerhalb von Beirut, kommen aber gerne auf ein paar Cocktails nach Mar Mikhael.
„Uns ist der Konflikt im Land scheißegal“, sagt Johnny und seine Freundin stimmt ihm zu: „Wir machen Party, was auch immer passiert.“ Darauf stoßen sie an. Johnny lächelt und erinnert sich: „Die Parties heute sind nichts im Vergleich zu denen während des Israelkriegs 2006. Die besten Clubs ließen sich in den Bergen über Beirut nieder, weil es da sicherer war. Jeden Tag wurde gefeiert als ob es kein Morgen gäbe.“
Meister der Realitätsflucht
Die jungen Libanesen sind Meister darin, die Realität auszublenden. Die Welle von Anschlägen und bewaffneten Konflikten in einigen libanesischen Städten gehören mittlerweile fast schon zu ihrem Alltag. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wäre sinnlos, meint Johnny und schnappt sich Sonja, um den nächsten freien Tisch zu besetzen.
Doch auch in die vermeintlich heile Welt von Mar Mikhael, dringt ab und an ein Bote der traurigen Wahrheit ein. Der 12-jährige Ahmad ist Straßenverkäufer. Er hält jedem sein Bündel roter Rosen entgegen und wartet mit großen Augen, um dann doch meist unverrichteter Dinge weiterzuziehen. Er ist einer von über einer Million syrischer Flüchtlinge im Libanon. Vor 12 Uhr Nachts komme er nicht ins Bett, sagt er. In Syrien sei er in Hama zur Schule gegangen. Dann hätte seine Familie fliehen müssen. Seit über einem Jahr verkaufe er in Mar Mikhael Rosen, so wie viele andere Kinder. Einige sind noch viel jünger als er. Ahmad sieht ein Pärchen auf der anderen Straßenseite und rennt ihnen hinterher, in der Hoffnung ein gutes Geschäft zu machen.
Das Revier der „Plastics“
In der Nähe von Mar Mikhael liegt Downtown. Das ehemalige Zentrum Beiruts wurde währen des Bürgerkriegs in Schutt und Asche gelegt. Und danach durch Abermilliarden von US-Dollar in ein mondänes Hochglanzviertel verwandelt.
Die Uruguay Street in Downtown ist das Revier der „Plastics“ wie manche Beiruter die libanesische Schickeria nennen. In schwindelerregend hohen Highheels und kurzen Kleidchen flanieren junge Libanesinnen von Bar zu Bar. Passt ihnen etwas nicht, rümpfen sie das spitz operierte Näschen. Für die Männer ist Hemd eigentlich Pflicht, aber ein cooles Ed Hardy-Shirt tut es auch.
Die reichen Kids lieben die bunte Palette an Bars. Im Checkpoint Charlie kann man entweder im glitzernden West- oder Graffiti bemalten Ostberlin Platz nehmen, in The Bronx einen New-Yorker-Martini schlürfen oder im Gatsby in die 20er-Jahre eintauchen. Die Barbesitzer lassen sich ständig neue Konzepte einfallen, ansonsten ist ihre Location schnell out. Besonders für den Sommer müssen sie sich wappnen, denn dann eröffnen die harten Konkurrenten wieder; wie der Mega-Outdoor-Club Sky Bar auf dem Dach eines Hochhauses in Downtown.
Meister der Nacht
„Beirut ist eine verrückte Stadt. Ich bin einmal um die ganze Welt gereist und nirgendwo habe ich dieses Überangebot an coolen Clubs und Bars gefunden“, sagt Nemer Saliba. Mit seinen 25 Jahren hat er einen der erfolgreichsten Clubs in Beirut betrieben, das Überhaus im ehemaligen Hotel Wiener Haus in Westbeirut. Aber auch er entschied sich wegen der Bombendrohungen zu schließen.
Im einem Industrieviertel im Osten von Beirut hat er nun eine riesige Lagerhalle angemietet und sie zum Club umfunktioniert. Obwohl er relativ wenig mit Deutschland zu tun hat, trägt die neue Location wieder einen deutschen Namen: Nacht. „Die Libanesen lieben die deutsche Kultur – von Fußball bis zur elektronischen Musik. Das deutsche Konzept ist hier etwas exotisches und zieht bei den Leuten“, behauptet Saliba und schenkt sich einen großen Schluck Wodka ein.
Die Innenausstattung ist spartanisch: zwei Bars, eine paar Sitzsäcke und eine VIP-Lounge. Der Eintritt kostet 30 US-Dollar, aber das schreckt niemanden ab. Auf der Tanzfläche drängen sich die Gäste. Mit Elektro-Beats heizt der DJ den Tanzenden ein. Saliba steht neben dem Mischpult und überblickt das Geschehen. Die Nacht läuft nach seinem Geschmack.
Internationale DJs
Als er schon ein bisschen angetrunken ist, prahlt Saliba: „Letztes Jahr habe ich über eine halbe Million Euro für internationale DJs ausgegeben und diesen Sommer werde ich wieder 200.000 Euro hinblättern.“ Er verspricht sich ein gute Saison. Im Sommer steht die Wiedereröffnung seines Outdoor-Clubs The Gärten auf einem weitläufigen Areal in Downtown an. Letztes Jahr sollen dort jeden Samstag bis zu 3.000 Menschen gefeiert haben, so Saliba.
„Das Land ist abgefuckt. Aber wenn du noch nie in Beirut feiern warst, hast du die Erfahrung deines Lebens verpasst!“, brüllt er gegen die Musik an und hebt sein Glas. Darauf, dass er und seine Landsleute sich die Freiheit nicht nehmen lassen werden, ihre Jugend exzessiv zu feiern.
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