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Clubsterben in der HauptstadtWird Berlin spießig?

"Arm aber sexy" - Berlin wirbt mit seinem Nachtleben. Doch viele Anwohner haben keinen Bock mehr auf den ständigen Lärm. Und so gehen Silvester an einer legendären Adresse die Lichter aus.

Knaack-Klub neben Balkonien - der Klub hat den Kürzeren gezogen. Bild: dpa

BERLIN dpa | Der legendäre "Knaack-Klub" wird nach Silvester schließen, das "SO36" hat es gerade noch geschafft. Dass sich Nachbarn wegen des Lärms über Bars und Clubs beschweren, passiert oft. Aber ausgerechnet in Berlin, der "arm, aber sexy"-Hauptstadt, die mit ihrem Nachtleben prahlt und mit New York gemessen wird?

"Berlin hat viel durchgemacht. Jedes Wochenende", verspricht schließlich die Tourismuswerbung. Ob das "SO36", der "Knaack", die Drum-and-Bass-Adresse "Icon", die Schwulen-Bar "Zum schmutzigen Hobby" und selbst das nobel-szenige "Soho House": Schlagzeilen über Anwohnerbeschwerden sind häufiger geworden.

Das Nachtleben hat sich mit den Bewohnern der Viertel geändert. "Wo im Prenzlauer Berg früher Clubs waren, sind heute Kindertagesstätten", sagt Lutz Leichsenring vom Vorstand der "Clubcommission", die Lobbyarbeit für das Berliner Nachtleben macht. Die Clubs seien Opfer ihres eigenen Erfolgs. "Die Leute ziehen dahin, wo die Kreativen sind und irgendwann ist es ihnen zu laut." Für Live- Musik gebe es in Berlin zu wenig Orte, findet Leichsenring.

Heute kommen viel mehr Touristen als früher. Die Nachtschwärmer in der U-Bahn sprechen oft Englisch oder Spanisch. Club-Betreiber Cookie alias Heinz Gindullis hat beobachtet, wie sich die Nachbarschaft im noblen Bezirk Mitte "komplett" geändert hat. Nach dem Mauerfall lockten Ruinencharme und billige Wohnungen viele Abenteuerlustige an, die 20 Jahre später mit glänzenden Augen von ihrer Ofenheizung damals schwärmen. "Man konnte auch gar nicht zu Hause bleiben, weil es kalt war", erinnert sich Cookie. Als Club-Betreiber hat er es schwerer als in den 90ern. Die Konkurrenz schläft nicht. Man brauche für alles ein Gutachten, dafür seien die Behörden schneller, sagt er.

Viel wird in Berlin darüber diskutiert, welches Ausmaß die "Gentrifizierung" hat: Studenten und Kreative beleben ein Viertel, das wird dadurch teurer, die Verdrängung von alten Mietern setzt ein.

Der Schriftsteller Tilman Rammstedt hat diesen Prozess im Theaterstück "Brachland" für die Neuköllner Oper so zusammengefasst: "Erst Clubs, dann Off-Galerien, dann Bandräume, dann Werbeagenturen, dann Designagenturen dann Architekturbüros, dann Modelabels, dann Coffeeshops dann Copyshops, dann Buchläden, dann Plattenläden, dann Second-Hand-Läden, dann Hostels, dann Hotels, kreative Hotspots, W- LAN Cafés, Alive after five parties, Cappuccino-Kapitalismus, Mieten hoch, Laune runter, Leute weg, Stadtteil tot. Und von vorne."

Dass die Berliner Szene langweilig geworden ist, dürfte aber dennoch kaum jemand sagen. Große Clubs wie das Berghain, das Weekend und der Tresor liegen nicht in klassischen Wohngebieten. Das Nachtleben sucht sich neue Orte, etwa in Friedrichshain oder in Neukölln. Und: "Wedding ist noch unerforschtes Terrain", sagt Clubcommission-Sprecher Leichsenring.

Das "SO36" in der Kreuzberger Oranienstraße hatte im Streit mit einem Anwohner Glück. Nachbarn, Lokalpolitiker und nicht zuletzt die Toten Hosen setzten sich für den einstigen Punkschuppen ein. Fast 100.000 Euro flossen in die Sicherheit und den Lärmschutz. "Bei uns geht's erstmal weiter", sagt Nanette vom "SO36"-Kollektiv.

Beim "Knaack" im Prenzlauer Berg, zu DDR-Zeiten eine Institution, gehen hingegen die Lichter aus. Dem Club waren die Lärmschutz- Auflagen zu hart. "Wenn die Gäste das erste Bier getrunken haben und den DJ bitten, die Musik aufzudrehen, dann kann der nur noch mit den Schultern zucken", so Konzertorganisator Patrick Radimensky. "Das funktioniert so nicht."

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8 Kommentare

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  • HF
    Herr F.

    Vielleicht sollten die ganzen Clubbetreiber einfach nach Stuttgart gehen und dort in den stillen Gassen eine 24-Stunden Beschallungsorgie starten. Den dort schon seit Jahrzehnten Ansässigen kann man ja vorschlagen ebenfalls wegzuziehen.

  • W
    Weiherer

    "Arm aber sexy".Das hat Tradition in diesem Milliöh.

    Lesen Sie mal Zille.

  • T
    Thomas

    Um spießig zu werden würde Berlin zehntausende NEUE Arbeitsplätze benötigen, also junge Arbeitnehmer die unter der Woche früh ins Bett müssen - das ist weder in naher noch ferner Zukunft absehbar.

  • P
    Politiker

    Mich wundert es nicht. Unsere Grünen wollen Berlin mit aller Macht zum Dorf machen. Dafür scheuen sie keine Mittel. Z.B. Weg mit breiten Straßen. Dafür schmale Feldwege.

  • T
    Tja

    Ich halte das nur für konsequent. Wenn man innerhalb des Klubs vor den Schäden des Rauchens geschützt werden muss (obwohl man die Lokalitaet meiden kann) muss ich auch gegen die Belastung durch den Lärm der Clubs geschützt werden, insbesondere wo ich dem nicht ausweichen kann.

     

    Gell, so wird's schnell langweilig im Ländle.

  • G
    Gääähn

    Wo im Prenzlauer Berg früher Clubs waren haben davor Berliner gelebt, die wegen den im Sozialismus ruinierten Gebäude wegzogen als sie konnten und um sie herum der bierflaschenschwenkende Bochumer, Hamburger, Franzose mit dem unvermeidlichem Freiburger Grüne-Nachwuchs "legendäre" Partys feierten. In Kreuzberg hat der Bau der Mauer die baulichen Zustände so verschlimmert und innerfamiliäre Bande zerissen, daß die Einheimischen spätestens dank der gesamt-westdeutschen Revolutions-Szene und anderen Berlinzuschuß-Partymachern anderswo eine Zukunft suchten. Heute sieht es eben anders aus. Wer ernsthaft erwartet, daß Berlin trotz dauerndem Wirtschaftsniedergang, maroder Schulen und dem Ergenis einer 30jährigen Zuwanderungspolitik a la "kommt her wir machen bunt" heute eine strahlende Zukunft dank der "Kreativen" bekommt, der wird sich noch wundern. Berlin war immer ein großer Industriestandort. Industrien mögen sich verändern, aber das darf nicht aussterben bedeuten. Ob Knaak oder andere, es ist immer nur Begleitmusik des Lebens, besonders in einer Millionenstadt. Die legendären Feierorte der 20er, 50er, 60er, 70er, und 80er sind auch weg oder nicht mehr was sie mal waren. Die 90er wurden noch mal um 10 jahre gestreckt aber irgendwann ist es auch gut. Berlin wird immer ein paar nette Orte zum feiern haben. Das ist aber nicht genug und es ist als Berliner meine geringste Sorge. Trotzdem ein gutes Neues und denkt mal neu.

  • S
    skyjellyfetty

    Die Stadt hat sich gewaltig verändert.Geld hat die Stadt verändert und Touristen sind auch etwas anderes als Leute,die aus aller Welt kommen um ein paar Jahre hier zu leben.Was uns seit Jahrzehnten an den westdeutschen Städten so genervt hat,hat in Berlin Einzug gehalten.Und dabei hat man Berlin gerade für seine Andersartigkeit geliebt.

  • TP
    think pink

    Das Problem ist nicht die Lautstärke der Mugge. Das Problem steht vor den Lautsprechern.

    Ich lege selbst auf und habe immer noch die Leute gut abtanzen lassen. Es ist immer noch die Qualität, die zählt und nicht der Schalldruck.

    Aber da wo sich besoffene Pappnasen rumtreiben, macht auch die Party keinen Spaß mehr.