Cloud Working im Trend: Die traurigen Tagelöhner
Der neue Trend in der Arbeitswelt heißt Cloud Working: Firmen heuern projektbezogen Selbstständige im Internet an. Feste Mitarbeiter müssen gehen.
BERLIN taz | Seit dieser Woche sind in deutschen Kinos Weltraumnazis zu sehen, die sich in einer Festung auf dem Mond verschanzt haben. Doch lange bevor der Film „Iron Sky“ anlief, sorgte das Trash-Spektakel für Furore. Allerdings nicht nur wegen seines schrägen Inhalts. Der finnische Regisseur Timo Vuorensola gilt auch als Pionier neuer Methoden. So sammelte er einen Teil der Produktionskosten bei den Fans ein und ließ sie mitwirken bei Gestaltung von Filmelementen und Werbematerialien.
Was wirkt wie ein netter Versuch, Fans an Kreativprojekten teilhaben zu lassen, ist ein Ansatz, der derzeit in vielen Geschäftsbereichen Einzug hält. Crowdsourcing heißt die Methode, von der immer mehr Unternehmen Gebrauch machen. Dabei wird ein „Schwarm“ von Internetnutzern dazu aufgerufen, bestimmte Aufgaben für eine Firma zu lösen. Bisher werden beispielsweise gezielt Feedbacks eingeholt, um ein Produkt zu verbessern. Zunehmend wird die Schwarmauslagerung jedoch auch in der Arbeitsorganisation von Unternehmen angewendet.
Vorreiter dieser Entwicklung waren Plattformen, auf denen Unternehmen einfache Aufgaben für Internetnutzer einstellen können. Diese erledigten dann kleinere Recherchen oder Übersetzungen. Zu den bekanntesten dieser Plattformen gehören Amazons „Mechanical Turk“ oder die deutsche Firma clickworker.com. Aber auch größere Projektaufträge werden mittlerweile im Internet ausgeschrieben, etwa bei Top-Coder oder Twago, wo vor allem Selbstständige aus dem Informationstechnologie-Bereich um Kunden und Aufträge konkurrieren.
Wie sehr dieser Ansatz ganze Unternehmensstrukturen verändern könnte, zeigt sich bei IBM. Im Februar wurde bekannt, dass der amerikanische IT-Konzern, der den Abbau von bis zu 8.000 Arbeitsplätzen in Deutschland angekündigt hat, verstärkt auf Cloud Working setzen möchte. So nennt sich die Übertragung des Cloud-Computing-Prinzips, bei dem IT-Infrastrukturen über ein Netzwerk zur Verfügung gestellt werden, auf den Bereich der Arbeitskraft. Aus einem Dokument, das dem Spiegel vorliegt, geht hervor, dass IBM die Kernbelegschaft radikal verkleinern möchte. Die restlichen Arbeitskräfte sollen bedarfsorientiert über ein virtuelles Netzwerk rekrutiert werden, eine Gruppe freiberuflicher Spezialisten soll sich um die jeweiligen Projekte bewerben.
Eine besondere Herausforderung
Dass Unternehmen wie IBM erst jetzt umfassend auf Cloud Working setzen wollen, hat damit zu tun, dass das Konzept bisher an seine Grenzen gestoßen ist. „Eine besondere Herausforderung“, so eine Forschungsgruppe des Karlsruhe Service Research Institute, das derzeit ein System für „People Clouds“ entwickelt, „stellt das Qualitätsmanagement dar.“ Wegen der „eingeschränkten Kontrolle über die beteiligten Crowdworker“ könne man sich „nur bedingt auf einzelne Arbeitsergebnisse verlassen“. Die Forschungsgruppe, die von IBM gefördert wird, soll deshalb bis zum Mai „skalierbare Qualitätsmanagementmechanismen“ entwickelt haben.
Offenbar besteht derzeit ein größerer Bedarf an solchen Cloud-Systemen. So gab das amerikanische IT-Unternehmen Saba Ende März bekannt, eine „revolutionäre“ Software für People Clouds entwickelt zu haben. Das Unternehmen brüstet sich damit, dass ein neuer „People Quotient“ es möglich mache, „den Einfluss, die Reputation und die Wirkung“ der jeweiligen Arbeitskräfte zu messen. Saba erwartet im Bereich solcher „sozialen Software-Produkte“ ein Wachstum von fast 40 Prozent in den nächsten fünf Jahren.
Die Kehrseite des Booms: Die Flexibilisierung der Arbeitswelt greift weiter um sich. Aus hoffnungsvollen Kreativ-Freelancern wurden schon um die Nullerjahre „traurige Tagelöhner“, wie die Autorin Katja Kullmann jüngst schrieb. So könnte es nun in weiteren Branchen kommen.
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