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Claudius Prößer war weg und ist wieder daWillkommen beim großen Plan

Sonntagabend, Landung in Schönefeld. Das war’s jetzt mal wieder, urlaubsmäßig. In Spanien hatte sich erwiesen, dass die deutsche Coronapolitik gar nicht komplett daneben ist, wie man auf Twitter liest. Für einen Antigentest beispielsweise geht man meilenweit, zumindest am Wochenende, und bezahlen müssen ihn nicht nur Ausländer. Die ersten Selbsttests sind derweil gerade in den Apotheken angekommen.

Auf der anderen Seite tragen die SpanierInnen im Freien Maske, als hätten sie nie etwas anderes getan, manche sogar, wenn sie allein am Meer spazieren gehen. Im S-Bahnhof unterm BER ist die Disziplin allerdings auch nicht übel, abgesehen von dem properen mitteljungen Mann in Shorts, der nach uns den wartenden Zug betritt. Er lächelt gebräunt und unmaskiert in die Runde, wir wenden uns ab.

„Wie jetzt, Hertha und Union spielen in der ersten Liga?“, hören wir ihn mit einem rheinischen Akzent fragen, er verwickelt einen dank einiger Sticker als Fan der Köpenicker erkennbaren Mann ins Gespräch. „Was Fußball angeht, bin ich ausgestiegen, als Hoffenheim sich den Aufstieg gekauft hat.“ Aha. Aber muss das gleich der halbe Zug erfahren? Wir sehen uns an und verdrehen ein bisschen die Augen.

Die S-Bahn quält sich aus dem Tunnel zum Haltepunkt Waßmannsdorf. Plötzlich geht es gar nicht mehr um Fußball: „Also, ich kenne einen Arzt, der hat mir erzählt, dass er zuletzt sieben Totenscheine in einer Woche ausgestellt hat. Alle kurz nach der Impfung.“ Wir sehen uns wieder an, diesmal gequält, und mustern dann den frisch geouteten Impfgegner. Der lächelt immer noch leutselig den Union-Mann an, aber jetzt wird klar, dass er eigentlich ein größeres Publikum sucht.

„Die Impfung verdickt das Blut, da sollten Sie vorsichtig mit sein“, sagt er, inzwischen schon zu allen Fahrgästen um ihn herum. „Die Stiko …“, er kann den Satz nicht beenden, weil ein anderer ihn genervt unterbricht: „Die Stiko ist ein unabhängiges Gremium, der brauchen Sie gar nichts zu unterstellen.“ – „Ach, Sie kennen sich da aus?“, fragt der propere mitteljunge Mann und sucht Unterstützung im Waggon, die dummerweise ausbleibt. „Ja, und ich bin zufällig selbst in der Medizin tätig“, erwidert der andere.

„Jeff Bezos ist durch Corona um Milliarden reicher geworden“, kommt jetzt, und da mischen auch wir uns ein: „Glauben Sie, es gibt da irgendwie einen Plan? Wer steckt denn da dahinter?“ Jetzt geht es ganz schnell: „Globalisten!“, ruft der Verschwörungsfreak, „Globalisten und Kapitalisten! Ich habe acht Jahre recherchiert! Und ich habe Abitur!“

Das wirkt jetzt nicht mehr so souverän, zumal die Genervtheit um ihn herum spürbar zunimmt. Aber er muss sowieso raus, Terminal 5, Alt-Schönefeld. Am nächsten Morgen lesen wir: Dort trat gerade Nena auf und sabotierte das Hygienekonzept des Veranstalters mit schwurbeligen „Freiheits“-Claims. Willkommen in Deutschland!

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