Claudius Prößer war bei der Wahl des ersten CDU-Stadtrats seit (fast) Menschengedenken dabei: Fehlt Kreuzbergs Grünen interkulturelle Kompetenz?
D ie CDU musste 17 Jahre lang erdulden, dass andere Politik machten in Friedrichshain-Kreuzberg: Bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) 2006 verloren die schwarzen Exoten im linksgrünen Habitat so viele Stimmen, dass nach den geltenden Proporzregeln kein Stadtratsposten mehr für sie abfiel. In bitterer Halbvergessenheit saß die Handvoll Bezirksverordneter ihre Zeit ab. Immerhin gab es mit Timur Hussein – mittlerweile in die Abgeordnetenhausfraktion gewählt – einen lautstarken und streitbaren Fraktionsvorsitzenden.
Der hatte auf der BVV-Sitzung am Mittwochabend noch mal ein punktuelles Comeback – aber dazu gleich mehr. Zu Beginn der Sitzung im engen Saal an der Yorckstraße wurde mit Max Kindler wieder ein CDU-Mann ins Bezirksamt gewählt. 29 Ja-Stimmen bei 7 Nein-Stimmen und 10 Enthaltungen im ersten Wahlgang: Von einer dermaßen satten Mehrheit konnte Kai Wegner am nächsten Tag im Abgeordnetenhaus nur träumen.
Mit knapp 2 Meter Länge und einer Frisur irgendwo zwischen konservativ-kurz und urban-verwuschelt sticht Kindler auch optisch ein bisschen aus der Riege unter Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) heraus. Die regiert mit zwei weiteren grünen StadträtInnen, jeweils einen Stadtrat dürfen SPD und Linke beisteuern. Die zweite Linke im Gremium, Regine Sommer-Wetter, war nach der Wiederholungswahl im Februar und der anschließend ausgehandelten Versorgungsregelung für faktisch abgewählte StadträtInnen ausgeschieden.
Von ihr übernimmt der 27-jährige Kindler, der vor 2021 als Kriminalkommissar im LKA tätig war, die Bereiche Jugend, Familie und Gesundheit. Um seine Herzensanliegen, die er just der B. Z.verriet (mehr Platz für Autos, weniger für Drogendealer im Görli und Müll auf den Straßen) kann er sich damit nicht wirklich kümmern. Menschlich scheint er gut im Bezirksparlament anzukommen: Der Applaus zu seiner Wahl war umfangreich und warm.
Den professionellen rechten Spalter durfte dann noch mal Ex-Mitglied Husein geben: Er war als Vertrauensperson des EinwohnerInnenantrags gegen den Verkehrsversuch im Graefekiez zu Gast. Jenen Versuch – von Husein als „bürgerfeindliches Experiment“ bezeichnet –, der rund 2.000 Straßenparkplätze für ein Jahr abschaffen sollte und zwischenzeitlich von seinen InitiatorInnen, der grünen Verkehrsstadträtin Annika Gerold und dem Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, stark eingedampft wurde.
Aus der Grünenfraktion darauf angesprochen, warum er trotz seines vermeintlichen Engagements für den Kiez am vergangenen Samstag nicht bei einer Info-Veranstaltung zum Verkehrsversuch vor Ort aufgetaucht war, konterte der CDU-Mann mit kroatischen und türkischen Wurzeln so: „Wenn Sie mehr interkulturelle Kompetenz hätten, wüssten Sie, dass an diesem Tag Zuckerfest gefeiert wurde!“
Anschließend wies Husein noch darauf hin, dass die achtköpfige BVV-Fraktion seiner Partei zur Hälfte von Menschen mit migrantischem Hintergrund besetzt sei – „nicht so wie bei Ihnen hier vorne“. Das war ein frontaler Hieb gegen die Grünen, deren MigrantInnenquote (bei dreifacher Fraktionsgröße) schlechter ausfällt und deren vordere Reihen am Mittwoch sehr biodeutsch besetzt waren. Da war das Murren laut in den engen Reihen der Grünen im Saal an der Yorckstraße. Husein aber entschwand in Vorfreude auf die Vereidigung des seit jeher diversesten Senats am Donnerstag. Was sollte schon schiefgehen?
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