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Christopher Street Day 2021Nach dem Zenit?

Jan Feddersen
Essay von Jan Feddersen

Für unseren Autor hat der CSD an gesellschaftlicher Ausstrahlung verloren – aus bestimmten Gründen. Ein Erklärungsversuch.

CSD Wendland 2020 Foto: dpa/Philipp Schulze

A nders als beim Kampftag der Arbeiterklasse mit dem 1. Mai als zentralem Feiertag, anders auch als der Internationale Frauentag am 8. März, machen queere Leute in der CSD-Saison über viele Wochen auf sich aufmerksam. Eigentlich könnte der 28. Juni der global verabredete Termin sein, denn an jenem Tag begannen die Kämpfe von schwulen Männern vielerlei Hautfarben mit lesbischen Frauen, mancherlei Dragqueen und einigen trans Menschen. Das war rund um die Bar Stonewall Inn in der Christopher Street im New Yorker Viertel Greenwich Village, als diese unsere Vorfahren sich gegen Polizeirazzien und, überhaupt, Nachstellungen übelster Art wehrten. Militant, wie notiert wurde.

Das war, so will es die Selbstbeschreibung der queeren Historie, der Auftakt einer sozialkulturellen Bewegung von Menschen, die nicht mehr „Danke, dass wir wenigstens leben dürfen“ sagen. Und weil nicht nur in New York, Berlin, Köln, Hamburg, Frankfurt und München gefeiert werden sollte, sondern auch, wie etwa im Wendland, in kleineren Orten sich queere Menschen sichtbar machen wollen, ist es eben kein Feiertag – sondern eine ganze Saison rund um den CSD.

In Berlin gab es auf dem richtigen CSD, also dem mainstreamigen, die ersten öffentlichen Solidarisierungen mit den verfolgten polnischen LGBTI*-Geschwistern, wurde die queere Bürgerrechtsorganisation Quarteera geehrt, ebenfalls aus Solidarität mit den osteuropäischen Geschwistern. Aber das ist lange her, eine mächtige Performance kriegt die queere Crowd wohl nicht mehr hin. Und das hat Gründe, die sich erklären lassen.

Der amerikanische Kolumnist Andrew Sullivan einflussreicher in der LGBTI*-Community, dort drüben ist niemand sonst, schrieb im Mai in seinem Newsletter The Weekly Dish eine Kritik an der Exklusionspolitik des New Yorker CSD-Komitees. Kurz gesagt: Er beklagt den inzwischen wieder abgemilderten Versuch der Organisator*innen, den Paradenblock der Polizei zu canceln. Begründung: Die Polizei stehe für Gewalt, Rassismus und anderes Schlimmes – und dürfe nicht offiziell teilnehmen.

Das war obskur, so Sullivan, auch deshalb, weil gerade die queeren Teile der Behörde besonders auf Inklusion achteten, in ihr die Idee der Diversität besonders gefördert wird und entsprechend auch auf Bildern so aussieht. Schlussfolgerung des Autors: Die LGBTI*-Bewegung sei wieder (!) eine typisch linke, das heißt: selbstzerfleischend, dauernd nach Haaren in der Suppe suchend. Warum wieder?

2015 erklärte der Supreme Court in den USA die Ehe für alle für verfassungskonform, also die Entbiologisierung der Ehe. Ein monströser Erfolg, der ermöglicht wurde durch eine Allianz von links bis liberal-konservativ, bis in die Sphären der Republikaner hinein. CSDs – das waren einmal Manifestationen nicht der Identität, sondern der politischen Ansprüche, die gesellschaftlich und vor allem rechtlich zur Wahrheit kommen sollten. Es gibt in den USA noch viel Aversion und bei manchen auch Hass auf Nichtheteronormatives, aber diese Haltungen haben moralisch ihre Mehrheitsfähigkeit verloren.

In Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu registrieren. Die Ehe für alle, also der Bruch schlechthin mit deutsch-völkischen Vorstellungen vom Zusammenleben im Liebesbereich, wurde exakt vor vier Jahren beschlossen – und in zehntausendfachen Fällen konkret gelebt. Mit der Pointe, das nur maliziös nebenbei, dass sehr viele der eisigsten Ehemöglichkeits-Kritiker*innen aus dem queerfeministischen Spektrum inzwischen verheiratet sind mit ihren Liebsten. Aus rechtlichen Gründen – warum denn auch sonst.

Die CSDs sind womöglich, was die Fokussierung der Bewegung auf trans und Queerfragen (Schwules wird ja mehr und mehr als fundamental antiqueer verstanden) anbetrifft, deshalb kraftlos geworden, weil es an konkreten Zielen fehlt: Die Reform des Transsexuellengesetzes soll es sein? Okay, aber doch nicht so fundamental, wie die aktivistischen Vorschläge im Bundestag schon scheiterten.

Kein positives Angebot

Trans Aktivismus, und das ist der Unterschied zu den CSDs mit Aids-Aufklärung und bürgerrechtlichen Forderungen nach der Ehe für alle, hat kein Angebot zu machen, außer Opfer zu sein und zu klagen, dass die Verhältnisse alle noch sehr schlimm sind. Der trans Aktivismus rund um die CSDs weiß nicht, Menschen positiv für sich einzunehmen, den Mainstream zu ‚verführen‘, mit ‚Liebe‘ zu locken, nicht mit Shit­­­storms bei Verletzung von szeneastischen Sprachcodes.

Deshalb ist die Berliner CSD-Kultur so konfus geworden. Weil die Bewegung eben an Kraft und gesellschaftlicher Ausstrahlung eingebüßt hat. Eine, sagen wir, 500.000-Menschen-Parade unter dem (mittlerweile auch als zwiespältig empfundenen) Zeichen des Regenbogens, bei der Gärt*­ne­rin­nen aus Gatow, die Handwerkskammer, die Diversityabteilung der Deutschen Bank, Dykes und Lederkerle zusammen sind, wäre ein starkes Zeichen.

Menschen also, die nicht queeristischen Zirkeln dauernd leben, sondern ein für sie normales Leben führen wollen. Ohne politischen Daueranspruch, aber als Lesben und Schwule und trans und inter Personen sichtbar: echt inklusiv also, andere aushaltend, auch wenn man sie doof findet, etwa Fetischleute bei manchen oder queere Familien in den Augen von Hardcorehomos aller Geschlechter.

Wie das geht, zeigte kürzlich ein CSD in der Provinz, im Wendland. Einst stockkonservativ, durch die Anti-Akw-Bewegung und viele Neuankömmlinge aus den Metropolen (die sich nicht als Ko­lo­nia­lis­t*in­nen verstehen, aber durchaus diesen schönen Flecken an der Elbe aufgefrischt haben, zur inzwischen starken Zufriedenheit vieler Ureinwohner) eine Art Toskana des Nordens geworden: Dort gab es einen CSD, der alles Mögliche war und alle inkludierte. In der Provinz – lebt dort womöglich am kräftigsten der alte Stonewall-Geist: Zeigen wir uns – und verstecken wir uns nie mehr im „Schrank“?

Provinz-Paraden stehen auch noch in Neubrandenburg (14.8., 13 Uhr, Marktplatz) und in Landshut (25.9., 15 Uhr, Ringelste-cherwiese) an.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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