Christliches Straftäterprojekt: Mit Jesus gegen Jugendgewalt

Eine Alternative zum Knast: Im einem würtembergischen Projekt sollen straffällige Jugendliche Gesetzestreue und christliche Werte erlernen. Auch Muslime müssen zum Gottesdienst.

Ora et labora: Dachstuharbeiten in Leonberg. Bild: dpa

Ausgerechnet in Baden-Württemberg, wo das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen erfunden wurde, damit Kinder auf keinen Fall vom Staat religiös beeinflusst werden, überlässt der Staat junge Strafgefangene einem freien Träger, damit der ihnen nicht nur gesetzestreues Leben, sondern auch "christliche Normen und Werte vermittelt".

Das christliche Haus Seehof in Leonberg bei Stuttgart ist ein Vorzeigeprojekt. Dort werden bis zu 15 Jugendliche, die eigentlich eine Haftstrafe absitzen müssten, intensiv sozialpädagogisch betreut. Sie wohnen bei einer Mitarbeiterfamilie und lernen ohne Gitter und Mauern einen festen Tagesablauf einzuhalten, machen Sport und Hausarbeit, besuchen den Gottesdienst, gehen zur Schule oder bekommen eine Berufsausbildung. Das Projekt ist erfolgreich, die Rückfallquote ist deutlich geringer als im Strafvollzug. Allerdings werden im Haus Seehof auch keine ganz schweren Jungs aufgenommen.

Das "Projekt Chance" ist ein Lieblingskind von Justizminister Ulrich Goll (FDP). In zwei Projekten wird die Jugendstrafe nicht im Gefängnis vollstreckt, sondern "in freien Formen". Gesetzlich möglich ist dies seit 1953, doch Goll ist der Erste, der von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.

Für beide Projekte sind explizit christliche Träger verantwortlich: In Creglingen ist es das Christliche Jugenddorfwerk, in Leonberg der Verein "Prisma".

Die Rolle der Religion ist dabei unterschiedlich stark, wie ein wissenschaftlicher Zwischenbericht aus dem Sommer 2006 beschreibt. In Creglingen werde zwar vor dem Essen gebetet und die Mitarbeiter sollten überzeugte Christen sein, ansonsten habe das Projekt aber keinen religiösen Charakter.

Ganz anders in Leonberg. Dort beschwerten sich Jugendliche bei den Wissenschaftlern, die das Projekt evaluierten, dass "jede kleinste Sache mit Jesus verbunden" werde. Tatsächlich ist der Alltag im Seehof stark religiös geprägt. Jeden Morgen gibt es eine "Zeit der Stille", in den ersten drei Wochen nach Ankunft im Projekt muss dabei die Bibel studiert werden, später können auch andere besinnliche Schriften gelesen werden. Später am Vormittag gibt es einen "Impuls für den Tag", bei dem ein Mitarbeiter oder ein Jugendlicher etwas Erbauliches zur Diskussion stellt. Auch hier geht es oft um Christliches. Sonntags geht man in die Kirche. Anders als in Creglingen ist der Gottesdienstbesuch Pflicht. Außenkontakte bestehen auch überwiegend zu christlichen Gemeinden und zu ehrenamtlichen christlichen BetreuerInnen.

Natürlich wird niemand gezwungen, ins Haus Seehof zu ziehen, aber wenn Haft die Alternative ist, dann ist die Freiwilligkeit etwas relativiert. Selbst Muslime landen regelmäßig in Leonberg, auch sie und müssen dann die Bibel lesen und den christlichen Gottesdienst besuchen.

Bei manchen Jugendlichen kommt der christliche Glaube durchaus gut an. "Ich hab mich bekehren lassen, ich finde es voll gut, ich kann da nichts dagegen sagen", berichtete einer den Wissenschaftlern. Selbst ein Muslim wurde in Leonberg schon zum Christen, "dann habe ich die Bibel für mich gelesen und erkannt, Jesus und so, das ist mein Ding." Zwei andere Jugendliche zogen während ihrer Zeit im Haus Seehof sogar mit einer evangelischen Freikirche auf die Stuttgarter Königsstraße, um "von Gott" zu erzählen.

Der Sozialpädagoge Tobias Merckle hat das überkonfessionelle Projekt Seehof aufgebaut, das sich als Teil einer weltweiten Bewegung für christliche Gefangenenarbeit (Prison Fellowship International) sieht. "Wir leben den christlichen Glauben vor und wollen christliche Werte wie Toleranz vermitteln", sagte er am Donnerstag zur taz. Um "Mission" gehe es dabei nicht: "Es ist jedem überlassen, ob er den christlichen Glauben annimmt oder nicht."

Merckle betont, dass muslimische Jugendliche inzwischen auch ohne Weiteres den Koran lesen dürfen, obwohl Medien "die den christlichen Werten entgegenstehen", im Seehof eigentlich tabu sind. Dass ein Mitarbeiter einem Jugendlichen einmal das Lesen des Korans ausreden wollte, sei inzwischen "als Fehler erkannt und intensiv nachbearbeitet worden", betont Merckle: "Wir stehen voll zur Religionsfreiheit."

Erstaunlich ist, dass das christliche Projekt nicht von einem CDU-Minister, sondern vom Liberalen Ulrich Goll angeschoben wurde. Ihm ist die Konzeption von Merckles Verein Prima bekannt, und er sieht auch "keinen Grund, umzusteuern", wie ein Sprecher zur taz sagte.

Derweil versucht sich Prisma, auch in anderen Bundesländer auszubreiten. Mit Sachsen und Rheinland-Pfalz ist man bereits im Gespräch.

Nächste Woche wird Merckle sein Projekt bei einer Veranstaltung mit dem Dresdener Justizminister Geert Mackenroth (CDU) vorstellen.

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