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Christian Lindner beim FDP-ParteitagAbschied an der Seitenlinie

Bei den Liberalen endet mit dem Rückzug ihres Chefs eine Ära. Auf dem Parteitag betont Lindner, wie schwer ihm der Schritt fällt.

Christian Lindner bei seinem letzten Auftritt als Parteivorsitzender der FDP Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin taz | Moment, war da nicht was? Fast wirkt es so, als hätte sich nichts verändert: Die Liberalen beginnen ihren Parteitag mit Blitzlichtgewitter und haben eigens ein riesiges Kongresszentrum im Süden Berlins angemietet. Der Andrang ist groß, denn schon in der ersten Rede macht der ehemalige Parlamentarische Geschäftsführer der FDP klar, worum es hier geht. Johannes Vogel bezeichnet das Ausscheiden der Liberalen aus dem Bundestag als „existensbedrohenden Einschnitt“. Das Wochenende soll den sehnlich erhofften Neustart bringen mit Christian Dürr als neuem Vorsitzenden – und dem Abschied Christian Lindners von der Parteispitze.

„Wir wären nicht hier, wenn wir keine Fehler gemacht hätten“, sagt Lindner in seiner Abschiedsrede, an deren Ende seine Augen schimmern und der Parteitag sich zum minutenlangen stehenden Applaus erhebt. Der ehemalige FDP-Chef bedankt sich in einer halbstündigen Ansprache bei seinen Weggefährten, die ihn mehr als elf Jahre an der Spitze der Partei begleiteten. Mit dem Abtritt Lindners endet bei den Liberalen eine Ära. Was folgt, ist die große Ungewissheit darüber, wie und ob die Partei aus der außerparlamentarischen Opposition den Neuaufstieg meistern kann.

Dabei verweist der ehemalige FDP-Chef darauf, dass genau dies schon einmal geglückt ist. Lindner führte die Liberalen, seit er im Dezember 2013 ihre Führung übernommen hatte, zwei Mal in Folge bei Bundestagswahlen zweistellig ins Parlament. Immer wieder habe es geheißen, die FDP läge am Boden, sagt er. Nun gelte es erneut, die „inhaltliche Erneuerung“ der Partei anzugehen.

Lindner präsentiert selber zwei Deutungsansätze, für das schlechte Abschneiden der FDP bei der letzten Bundestagswahl. Er sagt, die einen hätten der Partei vorgeworfen, in der Regierungszeit „zu viele Kompromisse mit den Linken“ eingegangen zu sein. Andere wiederum hätten die Liberalen als ständige „Blockierer“ gesehen, weil sie sich auf zu wenige Kompromisse eingelassen hätten.

„Ich habe unserer Partei regelmäßig einiges zugemutet“, sagte Lindner. „Ich musste provozieren und kantige Forderungen vertreten.“ Das Schicksal eines FDP-Parteivorsitzenden sei es, dafür kritisiert zu werden, in der Öffentlichkeit entweder gar keine Rolle zu spielen oder dafür angegangen zu werden, mit welchen Themen man Aufmerksamkeit bekomme.

Schlagzeilen ohne Erfolg

Sei es der D-Day-Skandal zum geplanten Ampel-Aus, sei es die Forderung nach einer politischen Disruption im Sinne von Elon Musk: Lindner konnte Schlagzeilen generieren, um die FDP im Gespräch zu halten. Gebracht hat es nichts, und bei der Aussprache nach der Rede des ehemaligen Vorsitzenden fragen einige, ob die Ausflüge ins libertäre Lager der FDP nicht doch geschadet haben.

Trotz der Spaltung in der FDP, die Anfang Februar nach der gemeinsamen Abstimmung mit Union und AfD bei der Migrationsfrage offen zu Tage trat, gab Lindner die Zielmarke aus, bei der Bundestagswahl noch einmal zweistellig abzuschneiden.

Zu krasse Migrationspolitik macht uns als Partei hässlich

Ann-Veruschka Jurisch, ehemalige FDP-Abgeordnete

Lindner hatte sich im Wahlkampf an die Union rangeschmissen und CDU-Chef Friedrich Merz auch in einer restriktiveren Einwanderungspolitik Gefolgschaft versprochen. Auf diese Geschichte geht der ehemalige Parteichef in seiner Abschiedsrede nicht mehr ein. Er belässt es stattdessen bei einem ausschweifenden Dank an seinen Stellvertreter Wolfgang Kubicki und Ex-Justizminister Marco Buschmann, die bis zuletzt hinter ihm gestanden hatten.

Zuspruch und Kritik

Lindner und Buschmann erhalten bei der Aussprache, die sich am Freitag über mehrere Stunden zieht, viel Zuspruch. Doch zahlreiche Delegierte üben auch deutliche Kritik. So mahnt Konstantin Kuhle, ehemals stellvertretender Fraktionsvorsitzender, dass es den viel beschworenen „links-grünen Mainstream“ nicht mehr gebe. Spätestens durch die Wiederwahl Donald Trumps als US-Präsident sei weltweit ein „rechtsautoritärer Mainstream“ tonangebend.

Die FDP solle sich weniger auf Kulturkämpfe konzentrieren und mehr auf die Lebensrealitäten der Menschen. Für seine Rede erhält Kuhle viel Applaus. Die ehemalige Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch, die wie Kuhle aus dem sozialliberalen Flügel stammt, fordert in ihrer Rede „einen harten Cut“ mit der Migrationspolitik der letzten zwei Jahre. „Zu krasse Migrationspolitik macht uns als Partei hässlich“, ruft sie in den Saal. Die FDP solle bei dem Thema progressiver agieren und mehr darauf hören, was Unternehmer brauchen, Stichwort Arbeitsmigration.

Europa-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nennt die 3,3 Prozent, die die FDP bei den Bundestagswahlen erreichte, ein „miserables Ergebnis.“ Sie mahnt, Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) dazu, in der EU der deutschen Verantwortung gerecht zu werden.

„Niederlage mit Ansage“

Der hessische Delegierte Christoph Hentzen bezeichnet das Wahlergebnis gar als „Niederlage mit Ansage“. Die FDP habe kein Konzept zur Gegenfinanzierung ihres Parteiprogramms vorgelegt. Die Liberalen sollten aus der Doppelrolle Lindners lernen und in Zukunft keinen Parteichef mehr ins Kabinett schicken.

Petra Teufel aus dem Thüringer Landesvorstand ruft die Parteimitglieder dazu auf, die Debatte, ob die Liberalen nach Links oder nach Rechts rücken sollten, zu beenden, und sich darauf zu konzentrieren, ihre Politik wieder auf das Individuum auszurichten. „Wenn ich mich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheide, dann möchte ich mich nicht latent strafbar machen“, sagt sie. Damit ruft sie auch in Erinnerung, dass es die Liberalen waren, die bis zuletzt im Bundestag eine Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verhindert hatten.

Auch Marianne Schäfer, Vorsitzende der Freiburger FDP, kritisiert Lindner, der regungslos hinter hier auf dem Podium sitzt. „Wir haben uns damit profiliert, was wir in der Regierung verhindert haben“, sagt die Delegierte aus Baden-Württemberg. Für sie sei der Eintritt „in die Fortschrittskoalition“ mit SPD und Grünen dagegen der Höhepunkt ihres 20-jährigen Parteiengagements gewesen. „Glaubt mir, es tut weh, wenn einem 3000 Leute entgegenschmettern: Ganz Freiburg hasst die FDP“, sagt sie.

Doch genau das sei während des Besuchs von Lindner im Wahlkampf geschehen. „Wir brauchen hier und heute einen Aufbruch“, sagt Schäfer.

Am Ende seiner Rede sagte zuvor Linder: „Ihr merkt es, mir fällt der Abschied nicht leicht.“ Trotz des Danks, den er von den Delegierten erhält, wird aber auch eines deutlich: Die FDP ist durchaus auch bereit, ihn ziehen zu lassen.

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2 Kommentare

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  • I wanna see you out that door, Lindner, BYE BYE BYE 🤚🤚🤚

  • Wir brauchen einen neuen Sündenbock



    Unter der Ampel war ja die FDP und Herr Lindner an allem schuld, an absolut allem. Weil sie auf die Einhaltung des Koalitionsvertrags bestanden hat, wie kann man auch nur auf die Einhaltung eines Vertrags bestehen?



    Nun ist Linder weg und die FDP auch. Wen nehmen wir jetzt als Sündenbock, wenn es schief läuft?



    Irgendwie schon Mist, wenn man keinen Universal-Sündenbock mehr hat, gelle. Ach Herr Lindner, sie fehlen uns als Sündenbock.