Choreographischer Nachwuchs in Berlin: Befreiung und Erschöpfung

In Berlin beginnt das Nachwuchsfestival Tanztage. Einige der Künst­le­r:in­nen haben hier studiert. Doch die Hochschule für Tanz braucht mehr Mittel.

In einer begrünten Fussgängerzone liegt ein Tänzer auf dem Boden, über ihm ein lebensgroßer Teddy

Aus dem Kartenset, mit dem das HZT seine Alumnis vorstellt: Niels Weijer „I love you teddy much“ Foto: Martin Müller

Es war ein wichtiger Schritt für den zeitgenössischen Tanz und die choreografische Ausbildung in Berlin, als das Hochschulübergreifende Zentrum Tanz, kurz HZT, 2006 gegründet und nach einer Pilotphase 2010 institutionell verstetigt wurde. In den Uferstudios im Wedding sind sie mit anderen Protagonisten der Tanzszene, wie der tanzfabrik, ada Studio und dem tanzbüro Berlin untergebracht.

Doch für die Zukunft des HZT stehe jetzt viel auf dem Spiel, berichtete der künstlerische Leiter Nik Hafner bei einem Hintergrundgespräch in diesem Winter. Mit der derzeitigen finanziellen Ausstattung sei ein Fortführen der bisherigen drei Studiengänge (Bachelor und Master in Choreographie, Master in Solo/Dance/Authorship) kaum möglich.

Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, ihrer bisherigen Arbeit Sichtbarkeit zu verleihen und auf ihre Anerkennung in den Netzwerken internationaler Performancekunst zu verweisen, hat das HZT ein Set von Karten vorbereitet: Auf der einen Seite mit Fotografien aus Arbeiten von Alumnis, die ein Studium am HZT abgeschlossen haben, auf der anderen Seite ein Zitat von Kurator:innen, Choreograf:innen, Intendan­t:in­nen, die die Qualität der Ausbildung am HZT positiv hervorheben.

Tatsächlich sieht man daran, dass man doch mehr der dort ausgebildeten Künst­le­r:in­nen von Programmen aus dem HAU, den Sophiensælen oder dem Ballhaus Naunynstraße kennt als gedacht. Dazu gehören etwa Kareth Scheffer, Kat Valastur, Raphael Hillebrand, Julian Weber, Sergiu Matis oder Kasia Wolinska. 95 Prozent der Absolvent:innen, fasst Nik Hafner zusammen, arbeiten nach der Ausbildung als Künst­le­r:in­nen weiter.

Halbe Stellen reichen nicht

Aber dem HZT fehlt es an vielem. Teil der Ausbildung ist die Betreuung von Produktionen, etwa von Abschlussaufführungen. Der Arbeitsaufwand dafür, sagt Wanda Golonka, Professorin und Leiterin des Studiengangs Choreografie, ist mit einer halben Stelle nicht zu leisten. Die meisten Lehrkräfte jedoch haben nur eine Teilzeitanstellung, viele von ihnen lediglich eine halbe Stelle. Siemüssen also zu viel unbezahlte Arbeit leisten.

Viele haben in der Vergangenheit eine halbe Stelle mit der Hoffnung angenommen, daneben ihre eigene künstlerische Arbeit verfolgen zu können, und seien dann frustriert gegangen. Für die Studierenden bedeutete das oft, wie eine Vertreterin bestätigt, mangelnde Kontinuität in der Betreuung. Die Gründungsgeneration des HZT, überlegt Golonka, sozialisiert im künstlerischen Prekariat, habe das noch in Kauf genommen, aber eine neue Generation ist dazu nicht mehr bereit.

Auch fehlt es, wie Nik Hafner hinzufügt, an technischem Personal, einem Hausmeister, einem Produktionsbüro. Dass er jetzt die Alarmglocken anstellt, auch mit einer achtseitigen Zeitung, hat seinen Grund: Im Frühjahr 2023 werden die neuen Hochschulverträge mit der Senatsverwaltung für Wissenschaft ausgehandelt. Das HZT sieht einen Mehrbedarf von 630.000 Euro im Jahr, um das bisherige Angebot stabil zu halten.

Die Choreografin Kareth Scheffer, die ihre Ausbildung 2013 am HZT abgeschlossen hat und jetzt zum Netzwerk tanzraumberlin gehört, bestätigt: Die Belastungen der Lehrenden seien zu groß, verlangten zu viel Idealismus. In einer Evaluation wurde der Betreuungsschlüssel mit dem anderer Hochschulen für Tanz in Frankfurt, Köln und Essen verglichen: Da steht Berlin am schlechtesten da.

In einer Evaluation wurde der Betreuungsschlüssel mit dem anderer Hochschulen für Tanz in Frankfurt, Köln und Essen verglichen: Da steht Berlin am schlechtesten da.

Die Schnittstellen zwischen dem HZT und der freien Tanzszene in Berlin sind groß. Das zeigt zum Beispiel das am 5. Januar startende Festival Tanztage in den Sophiensælen, eine Plattform für den tänzerischen Nachwuchs. Von zehn eingeladenen Künst­le­r:in­nen stehen vier in Verbindung mit dem HZT, haben dort studiert oder zeigen gar ihre Abschlussarbeit. Ein Studium am HZT ist aber keinesfalls eine Voraussetzung für die Teilnahme an den Tanztagen, das zeigen die sechs anderen Stücke.

Gleich am 5. Januar beginnen die Tanztage mit „Bang Bang Bodies“, einer Abschlussarbeit vom HZT der aus Griechenland stammenden Choreografin Xenia Koghilaki. Für sie und Luisa Fernanda Alfonso sind ihre langen Haare, die ihnen ins Gesicht hängen oder die sie in langen Bögen schleudern, wichtiges Ausdrucksmittel in einem Stück, das dem Headbanging nachgeht, bekannt aus der Metal- und Punkszene. Ihre Arbeit ist reduziert, ihre Körper, deren Gesichter man nicht sieht, erscheinen zunehmend fremder. Sie spielen mit der Idee von Wiederholung und Erschöpfung, die Performance wirkt karg und streng.

Eine Frau schwingt ein weites Tuch

Elvan Tekin zeigt bei den Tanztage „To be a fish in a raki bottle“ Foto: Tanztage Berlin

Auch Marga Alfeirao, die den ersten zweiteiligen Abend neben Xenia Koghilaki mit ihrer Choreografie „Lounge“ bestreitet, hat am HZT studiert. Ebenso wie Elyan Tekin, die am 10. Januar mit „To be a fish in a raki bottle“ auftritt. Auch dieses Solo ist von einem Minimalismus geprägt, mit dem sich Bewegungen langsam entfalten und aus sparsamen Material bauen.

Sich den Raum nehmen

Tekin ist nicht nur Choreografin, sondern auch Übersetzerin. Als kurdische Frau aufgewachsen, setzt sie mit ihrer eigenen Lebensgeschichte an. Anfangs liegt sie im Dunkeln, das Gesicht von einem Tuch verhüllt und erst allmählich richtet sie sich auf, beginnt zu kreisen, nimmt das Tuch vom Kopf und wickelt es um die Hände. Es lassen sich daran Assoziationen anknüpfen an Bilder von Fesselung und Befreiung, von Einschränkung und vom Nehmen des Raums, alles mit bescheidenen Mitteln erzählt.

Liest man sich durch die Programmtexte für die Tanztage, so fällt auf, dass sie Recherche oft in den Vordergrund stellen. Was der Tanz mitteilen will, wie er stets auch soziale Momente der Bewegung untersucht, ist dabei oft auf einem hohen Niveau artikuliert, das in der Anschauung nachzuvollziehen nicht immer so schlüssig ist.

Verändert sich der Malambo, wenn Frauen ihn tanzen, verändern sie sich mit den steppenden Schritten?

Den Tanz in einem breiten gesellschaftspolitischen Kontext zu verorten und historische Bezüge zu benennen, ist sicher eine der Qualitäten, die die Studierenden vom HZT mitbringen. Aber in der ästhetischen Umsetzung bleibt da auch mancher Anspruch auf der Strecke. Nun gut, zum Ausprobieren ist ein Nachwuchsfestival ja da.

Schlaf und Traum werden eine Rolle spielen

Mateusz Szymanówka ist der künstlerische Leiter der Tanztage und wird auf den Postkarten des HZT mit einem Statement zitiert: „Die Choreograph:innen, die am HZT ihren Abschluss gemacht haben, machen etwa die Hälfte unseres jährlichen Festivals Tanztage in Berlin aus, was ein klarer Beweis für die Qualität der Ausbildung ist.“ Szymanówka kennt die ökonomische Situation des HZT und sieht die Mängel als Teil eines größeren Problems: die Infrastruktur für den Tanznachwuchs überhaupt befindet sich in einer prekären Lage. Die Tanztage selbst arbeiten seit Jahren mit einem kleinen Budget.

Tanztage Berlin, Sophiensæle, 5. bis 21. Januar

Den Masterstudiengang Choreografie am HZT hat die spanisch-argentinische Tänzerin Rocio Marana absolviert. Sie beschäftigt sich mit dem Malambo, einem argentinischen Tanz der Gauchos, in der Tradition von Männern ausgeführt. Aber wo blieben die Frauen? Gab es sie nicht oder fehlen nur die Zeugnisse davon? Verändert sich der Malambo, wenn Frauen ihn tanzen, verändern sie sich mit seinen stampfenden und steppenden Schritten? Dieses Feld lotet sie in ihrem Stück „Matria Motherland“ aus, das ebenfalls zu den Tanztagen kommt.

Zwei Frauenköpfe, die auf Kissen ruhen

Bei den Tanztagen lädt Parisa Madani zu einer Performance in einer Kissenlandschaft ein Foto: Tanztage Berlin

Die haben in diesem Jahr thematisch einen Schwerpunkt: Die Dringlichkeitskultur, die mit täglicher Reizüberflutung und chronischer Müdigkeit einhergeht. Darauf antwortet in der Nacht vom 7. auf den 8. Januar Parisa Madani mit einer Performance, die Matten und Kissen für das Publikum ausbreitet, um in der Horizontalen zu beginnen. Schlaf und Traum werden eine Rolle spielen. Tja, die Tanztage gleichen eben auch einer Wundertüte, mal sehen, was darin ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.