Chinesischer Onlinehändler expandiert: Alibaba spinnt sein Netz
Dem chinesischen Konzern geht es bei seinen Europa-Investitionen nicht nur um dortige Konsumenten. Er will den globalen Onlinehandel erobern.
Schon machen Befürchtungen die Runde, nach Amazon könnte also ein weiterer außereuropäischer Onlineriese Deutschland überrollen. Dabei hat Alibaba mit seinen jüngsten Vorstößen gar nicht den deutschen Konsumenten im Blick – zumindest vorerst nicht. Alibaba geht es um den heimischen Markt in China.
„Mehr als eine halbe Milliarde Konsumenten auf unseren Marktplätzen machen ihre ersten Konsumerfahrungen in China bei Alibaba“, sagt Terry von Bibra, Europa-Chef des chinesischen Internetgiganten. „Das birgt ein enormes Potenzial.“ Was er damit meint, veranschaulicht von Bibra an zwei Zahlen: Rund 1,4 Milliarden Menschen leben in China. Über 700 Millionen Menschen sind bereits regelmäßig online. Das würde bedeuten: Weitere knapp 700 Millionen Menschen nutzen das Internet noch nicht – und das könnte sich bald ändern.
„Made in Germany“ sei unter chinesischen Konsumenten ein hochgeschätztes Qualitätssiegel, betont von Bibra. „Unser Schwerpunkt in Deutschland liegt daher darauf, hiesigen Marken und Händlern zu helfen, die über 700 Millionen aktiven Konsumenten auf unseren Handelsmarktplätzen zu erreichen.“ Das Logistikzentrum in Lüttich diene also als so etwas wie das „Gateway to China“.
Alibaba ist Chinas größtes privates Unternehmen
Oder wie es der Online-Retail- und China-Experte Olaf Rotax des Beratungsunternehmens dgroup, Teil des globalen Accenture-Netzwerks, beschreibt: „An den deutschen Konsumenten ist Alibaba nicht in erster Linie interessiert.“ Das Drehkreuz in Lüttich sei „Baustein eines viel größeren Plans“.
Alibaba ist Chinas größtes privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen. In den 1990er Jahren wurde es als Online-Kontaktbörse zwischen chinesischen und ausländischen Firmen gegründet und zählt heute mit seinen Handelsplattformen Taobao und Tmall zu den größten Onlinekonzernen der Welt. Allein im vergangenen Jahr setzte Alibaba Waren im Wert von mehr als 550 Milliarden US-Dollar um. Alibaba-Gründer Jack Ma ist mit einem geschätzten Vermögen von rund 40 Milliarden US-Dollar der reichste Mann Chinas.
Olaf Rotax, dgroup
Im Westen wird Alibaba häufig als „chinesisches Amazon“ bezeichnet. Der Vergleich hinkt. Amazon ist Händler und bietet auf seinem Marketplace zudem anderen Onlinehändlern einen weiteren Verkaufskanal. Alibaba hingegen ist ein Plattformanbieter. Eigene Lagerhallen benötigt der Konzern nicht.
Zudem ist er mit seinen Geschäftsfeldern noch sehr viel breiter aufgestellt als der US-Konkurrent. Neben seinen Verkaufsplattformen betreibt Alibaba beispielsweise auch den Online-Bezahldienst Alipay, Cloud-Computing-Angebote und Nachrichtendienste. Vor allem aber will Alibaba nun als Logistikdienstleister zum führenden Unternehmen der Welt aufsteigen.
Seit rund zwei Jahren ist Alibaba Mehrheitseigner von Cainiao, einem Zusammenschluss mehrerer großer Logistikfirmen in China. Mit Cainiao verfolgt Alibaba das Ziel, Bestellungen aus der Volksrepublik binnen 24 Stunden weltweit zu ihren Zielen zu bringen.
„Electronic World Trade Platform“
Und auch das ist nur ein Zwischenschritt. Jack Ma spricht von einer „electronic World Trade Platform“, kurz eWTP. Hinter dieser sperrigen Abkürzung verbirgt sich sein Vorhaben, eine Plattform zu schaffen, die Hersteller weltweit direkt mit den Endkunden zusammenbringt. Von allen Punkten der Welt sollen Pakete spätestens innerhalb von drei Tagen überallhin geliefert werden können – ein gewaltiges Unterfangen, das so noch kein Logistikunternehmen hinbekommen hat.
Das Logistikzentrum in Lüttich ist denn auch nur ein Drehkreuz von mehreren. Vergleichbare Stützpunkte hat Alibaba außer an seinem Unternehmenssitz im ostchinesischen Hangzhou auch in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur sowie in Ruanda errichten lassen. Ein weiteres Versandzentrum soll in Bulgarien entstehen.
Mehr als umgerechnet 13 Milliarden Euro will Alibaba in den nächsten fünf Jahren für sein weltumspannendes Netz investieren. Oder in ein, wie Retail-Experte Rotax sagt, „digitales Pendant zur Welthandelsorganisation“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen