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Chinesischer Kommentar zur Messe-EröffnungUnter der Gürtellinie

Frankfurt hat China zum Gastland gemacht, um zu testen, wo die Gürtellinie der Deutschen unterschritten wird. Die Chinesen brauchen aber nicht Sympathie, sondern Hilfe zur Reflexion.

Hat seine Rede bestimmt nicht selbst geschrieben: Der stellvertretende Staatspräsident Xi Jinping. Bild: dpa

Heute Nachmittag traf ich auf den chinesischen Starschriftsteller Mo Yan. "Na, Du hältst heute abend Deine Rede?", sprach ich ihn auf die Eröffnungsveranstaltung der Buchmesse an. "Die haben mir da was aufgeschrieben, dann rede ich halt", antwortete er mit seinem gewohnt feinsinnigen Humor. Ich werde wohl nicht in Erfahrung bringen können, aus wessen Feder die Rede von Bundeskanzlerin Merkel stammt, ich glaube aber nicht, dass irgendjemand an Mo Yans Manuskript Hand angelegt hat. Selbst wenn man ihm etwas aufschriebe, wäre es völlig ausgeschlossen, dass er das Manuskript übernehmen würde. Wofür ich aber meine Hand ins Feuer legen kann, ist, dass unser stellvertretender Staatspräsident Xi Jinping seine Rede nicht selbst geschrieben hat.

Selbst aus Sicht eines ganz normalen Chinesen hat Xi Jinping mit seiner Rede keine besonderen Fehler gemacht; es ist eben dieses ewige Bürokratenchinesisch. Ebensowenig aber hat mir die Rede der Bundeskanzlerin gefallen, dabei mag ich sie eigentlich ganz gern. Aber auch sie sagte nur das Übliche.

Von keiner Bürokratie dieser Welt – egal ob der chinesischen, deutschen oder amerikanischen – sollte man erwarten, dass sie sich einer anderen Sprache als der des Establishments bedient, also weltweit vorgestanzter Phrasen. Und ob sie die in ihren Reden abgegebenen Versprechen einhalten, bleibt ohnehin abzuwarten. Keinem Vertreter des Establishments, nicht einem einzigen, darf man wirklich vertrauen; kein Mensch ist moralisch einwandfrei.

Es gab sogar eine rhetorische Übereinstimmung zwischen Xi Jinping und Merkel. Sie war, tut mir leid das sagen zu müssen, sogar fast in die gleiche Formulierung gegossen: Egal welche kulturellen und politischen Unterschiede zwischen Deutschen und Chinesen lägen – man könne über alles einen Dialog führen. Das hört man natürlich gern. Zumal ja jeder weiß, wie angespannt das Verhältnis zwischen Merkel und den chinesischen Staatschefs ist. Der Streit im Vorfeld der Buchmesse tat sein übriges.

Ein Deutscher, der seit vielen Jahren in Peking lebt, hat mir erklärt, dass die deutschen Medien anlässlich der Buchmesse ohnehin nur darauf gewartet haben, dass etwas passiert. Der Auszug der chinesischen Delegation lieferte ihnen dann genau die gewünschte Steilvorlage.

Ausbuchstabiert heißt das nichts anderes, als dass jetzt niemand mehr damit rechnet, dass die offizielle Delegation auf der Frankfurter Buchmesse noch etwas richtig machen kann. Es wäre also nicht nötig gewesen, nun auch noch eine solch hohe Führungsperson wie den stellvertretenden Staatschef Xi Jinping zur Eröffnung herzuholen, das Kind ist schon im Brunnen.

Wahrscheinlich ist den Deutschen gar nicht so ganz klar, mit welcher Tragödie sich die Chinesen herumschlagen: Deutschland hat jeweils mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg Fehler gemacht. China hingegen trifft seit 150 Jahren nahezu bei allen wichtigen Fragen die falschen Entscheidungen. Die Chinesen brauchen nicht Sympathie oder Mitgefühl, was sie brauchen ist Hilfe zur Reflexion: Warum ist das passiert, wieso war alles falsch?

Und so hätte ich mir als Chinese gewünscht, dass Xi Jinping, wenn er nun schon mal in Frankfurt ist, eine etwas bessere Figur abgibt, aber diese Hoffnung ging gar nicht in Erfüllung.

Wo ich nun aber echt platt war: Xi Jinping ist ja allein schon qua Amt einer der Oberbürokraten im System des chinesischen Establishments, aber Tie Ning?! Über sie sollte man vielleicht ein paar Worte verlieren: Sie war wirklich eine gute Schriftstellerin, bis sie den Posten der Vorsitzenden des Allchinesischen Schriftstellerverbandes, also einen Platz im Establishment übernahm. Dementsprechend war ihre Eröffnungsrede ein wohlklingender, völlig hohler Essay ohne jede Bedeutung.

Das Kernproblem ist, dass sich die Chinesen zu lange und somit zu weit von der Welt isoliert haben und nun, wo sie folgerichtig alles nach ihren eigenen kleinkarierten Regeln zu managen versuchen, unvermeidlich anecken. Das einzige, was ich als Bürger der Volksrepublik China tun kann, ist, mir eine gesunde Skepsis gegenüber dem zu bewahren, was die Kommunistische Partei als gut und richtig propagiert.

Leider muss man sagen, seit ihrer Gründung haben sie nichts zustande gebracht, was tatsächlich das Prädikat Gut verdiente. Zugespitzt würde ich sogar meinen, Frankfurt hat China zum Gastland gemacht, um zu testen, wo die Gürtellinie der Deutschen unterschritten sein wird.

WANG XIAOSHAN, geb. 1967, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt für die chinesische Ausgabe des amerikanischen Sportmagazins Sports Illustrated. Bis 2006 war er bei der Neuen Pekinger Zeitung als Feuilletonchef tätig.

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2 Kommentare

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  • JP
    Jürgen Purschke

    Zitat:

     

    "Egal welche kulturellen und politischen Unterschiede zwischen Deutschen und Chinesen lägen – man könne über alles einen Dialog führen. Das hört man natürlich gern."

     

    Einen Dialog führen über Erziehungslager? Einen Dialog führen über die Versklavung und Unterdrückung der Tibeter?

     

    Ich bezeichne so einen Dialog als DiaLÜGE.

     

    Es ist für mich beschämend, dass Deutschland so einem faschistischen Unterdrückungsregime, wie das in Peking, eine Bühne anbietet und es ist beschämend, dass sich die taz an dieser Schmierenkomödie noch beteiligt.

  • S
    scarlett

    Danke für diesen Artikel, sehr aufschlussreich und teilweise amüsant in positiver Weise: die chinesische Sicht auf China!