Chinas Nationaler Volkskongress: Xi leitet seine 3. Amtszeit ein
Ab Sonntag tagt Chinas Scheinparlament. Staats- und Parteichef Xi Jinping dürfte dabei den Einfluss der Kommunistischen Partei weiter stärken.
Der Nationale Volkskongress, die alljährliche Tagung des Scheinparlaments, ist ein ritualisiertes Polit-Ereignis von immenser Dimension: Knapp 3.000 Abgeordnete aus allen Provinzen reisen für die zweiwöchige Veranstaltung nach Peking an. Gemeinsam mit ihren Sekretären und den Mitgliedern der gleichzeitig stattfindenden Konsultativkonferenz dürften sich dann deutlich über zehntausend Besucher im Zentrum der Hauptstadt befinden.
Die Gesetze, die sie während des Kongresses abnicken werden, liefern Beobachtern Einblicke in Chinas politische und wirtschaftliche Stoßrichtung der nächsten Monate. Und dieses Jahr ist zudem ein ganz besonderes: Denn Xi Jinping wird seine beschlossene dritte Amtszeit nun formell beginnen – und dabei seine neue Führungsriege loyaler Ja-Sager vorstellen.
Besondere Aufmerksamkeit gilt der neuen Nummer zwei des Landes: Li Qiang, Parteisekretär von Shanghai, dürfte als künftiger Premierminister die wirtschaftlichen Geschicke leiten. Der 63-Jährige gilt zwar als unternehmerfreundlich und pragmatisch, doch hat er auch den katastrophalen zweimonatigen Lockdown in der Hafenmetropole vor genau einem Jahr zu verantworten.
Wachstumgsziel von 5 Prozent erwartet
Eine Kennzahl, die gleich am ersten Tag des Kongresses ausgegeben wird, ist das jährliche Wachstumsziel. Im dritten und finalen Jahr der „Null Covid“-Politik konnte es erstmals seit Langem nicht erreicht werden. Nach der abrupten Corona-Öffnung im Dezember rechnen Experten damit, dass die Führung für 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von etwas über fünf Prozent ausgeben wird.
„Das kann sich zwar durchaus sehen lassen, sollte aber im Grunde leicht zu erreichen sein“, sagt Trey McArver vom Analysehaus Trivium China. Die Botschaft sei: Man wolle zwar wieder zu solidem Wachstum zurückkehren, den Druck auf die Wirtschaft jedoch nicht allzu sehr forcieren.
Die Erholung läuft nach zunächst anfänglichem Zögern gut an. Die aktuellen Daten haben sogar sämtliche Erwartungen übertroffen: Laut dem staatlichen Einkaufsmanagerindex ist das produzierende Gewerbe im Februar so rasant gewachsen wie seit einer Dekade nicht mehr. Auch die Exporte haben erstmals seit zwei Jahren wieder zugelegt.
Trotzdem sind die nachhaltigen Aussichten eher trübe: Die Immobilienkrise ist weiter nicht gelöst, die geopolitischen Spannungen mit den USA nehmen zu, und über dem langfristigen Aufstieg der Volksrepublik kreist bereits das Damoklesschwert des demografischen Wandels.
Autoritäre Herrschaft vs. Marktwirtschaft
Von daher sind gemessen am derzeitigen Entwicklungsstadium fünf Prozent Wachstum für China eigentlich zu wenig, wenn die Voksrepublik zu den führenden Industrienationen aufschließen möchte.
Auch zeigen sich immer offener die Grenzen eines Marktes, der von einer zunehmend autoritären Partei überwacht wird: Das Vertrauen internationaler Unternehmen wurde durch die dogmatischen Corona-Lockdowns insbesondere des Vorjahres angekratzt. Die heimischen Tech-Konzerne wurden durch politisch motivierte Regulierungskampagnen an die Kandarre genommen.
Erst Mitte Februar wurde einer der einflussreichsten Investmentbanker des Landes „verschwunden“. Über mehrere Wochen konnte Bao Fan, Gründer von China Renaissance, nicht einmal von seinem Firmenvorstand kontaktiert werden.
Mittlerweile heißt es aus anonymen Kreisen, dass der 52-Jährige wohl wegen eines Korruptionsskandals von den Sicherheitsbehörden festgehalten wird – entweder als Informant oder als Beschuldigter. Dass in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach wie vor regelmäßig Chefs großer Unternehmen ohne rechtsstaatliche Grundlage verschwinden können, ist mit ein Grund dafür, warum ein Großteil der wirtschaftlichen Elite einen ausländischen Reisepass besitzt.
Klare Absage an „falsche westliche Konzepte“
Jack Ma, Chinas wohl bekanntester und einst reichster Unternehmer, lebt laut Medienberichten inzwischen in Japan, nachdem er sich in seiner Heimat in einer provokanten Rede mit dem staatlichen Bankensektor angelegt hatte.
Wer die jüngsten Signale aufmerksam verfolgt hat, wird keinen Zweifel daran hegen, dass Xi Jinping seinen Kurs der politischen Kontrolle weiter fortsetzen wird: Höchstwahrscheinlich wird der mächtigste Staatschef seit Mao Tsetung die ideologische Lehre noch tiefer in die Verfassung schreiben, den Finanzsektor umstrukturieren und den Einfluss der Partei auch innerhalb der Privatwirtschaft ausbauen.
Erst Ende Februar gab der Staatsrat gemeinsam mit dem KP-Zentralkomitee der KP eine Direktive zur „juristischen Bildung und Theorieforschung“ heraus, die sich an Jura-Professoren wie Wissenschaftler richtet. Darin wird zu „entschlossener Opposition und Boykott“ von „falschen westlichen Konzepten“ aufgerufen wie etwa „Gewaltenteilung“, „Konstitutionalismus“ und „Unabhängigkeit der Justiz.
„Denn diese Prinzipien sind eine direkte Herausforderung für die Parteikontrolle“, kommentiert James M. Zimmerman, ein seit Jahrzehnten in Peking ansässiger Anwalt, auf Twitter.
Politelite schirmt sich vor kritischen Fragen ab
Dieser Tage lässt sich leicht vergessen, dass sich Chinas Politapparat noch vor nicht allzu langer Zeit deutlich pluralistischer und liberaler gab als unter Xi. Der Volkskongress hat zwar noch nie einen Vorschlag der Regierung abgelehnt, doch Ergebnisse von bis zu 100 Prozent Zustimmung waren nicht immer die Norm.
Auch dürfte es damit vorbei sein, dass sich Korrespondenten auf dem Gelände des Kongresses bewegen und Abgeordnete auf ihrem Weg in die Große Halle des Volkes auch sponton ansprechen können. Wer als Medienvertreter auf der Zuschauertribüne Platz nehmen möchte, muss sich schon am Vortag in Quarantäne begeben. Wieder bietet die in China offiziell „besiegte“ Corona-Pandemie einen bequemen Vorwand, um die politische Elite vor kritischen Fragen abzuschirmen.
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