China verschärft Gesetz gegen Spionage: Überall könnten Spione lauern
Chinas verschärftes Anti-Spionage-Gesetz ist so vage, dass es künftig willkürlich gegen ausländische Firmen und Journalisten angewendet werden kann.
PEKING taz | Seit Tagen kursierten Gerüchte, nun sind sie offiziell bestätigt: Shanghais Sicherheitsbehörden haben eine Razzia in einem Büro der US-Unternehmensberatung Bain durchgeführt und dabei viele Laptops und Smartphones konfisziert. Einige Mitarbeiter sprachen gar von mehreren unangekündigten Besuchen.
Worum es bei der Razzia geht, ist noch unklar. Bain erklärte nur, dass man „mit Chinas Behörden kooperieren“ werde. Doch der Verdacht liegt nahe, dass die sich zuletzt häufenden Gängelungen gegen US-Unternehmen politisch motiviert sind.
Der Zeitpunkt ist kritisch: Am Donnerstag verabschiedete der Ständige Ausschuss des Volkskongresses eine Überarbeitung des sogenannten „Anti-Spionage-Gesetzes“. Das sieht eine Ausweitung der Befugnisse der Staatssicherheit vor, die künftig leichter Razzien und Festnahmen ohne Gerichtsbeschluss durchführen kann.
Vor allem wird der Straftatbestand der Spionage neu definiert: So sollen nicht mehr nur Staatsgeheimnisse geschützt werden; sondern alle Dokumente, welche die „nationalen Interessen“ berühren. Letztere sind aber so vage formuliert, dass sie den Behörden eine willkürliche Praxis ermöglichen.
Eine Steilvorlage für ökonomische Vergeltung
Das ist von der kommunistischen Partei auch gewollt: Sie kreiert eine diffuse Angst, die letztlich zu vorauseilendem Gehorsam führt. Niemand weiß, wo genau die roten Linien sind.
Das Gesetz verunsichert damit auch in China tätige ausländischen Firmen. Denn so könnten etwa gewöhnliche Marktanalysen künftig als Spionage ausgelegt werden oder etwa Interviews mit westlichen Journalisten als Verstoß gegen die nationale Sicherheit.
Europäische Firmen dürften vorerst nicht primär ins Visier der Behörden geraten, da Chinas Regierung seit einigen Monaten eine Charme-Offensive gegenüber ihrem größten Handelspartner fährt. Doch sobald sich die politischen Beziehungen verschlechtern, etwa durch eine neue China-Strategie der deutschen Regierung, könnte das Anti-Spionage-Gesetz eine Steilvorlage zur ökonomischen Vergeltung bieten.
Dass dies keine unbegründete Paranoia ist, zeigen Beispiele: Im März wurde ein Mitarbeiter von Japans Pharmakonzern Astella wegen Spionage verhaftet. Im gleichen Monat schlossen die Behörden das Peking-Büro der US-amerikanischen Mintz Group, die Prüfungen für Firmenverkäufe und Börsengänge durchführt. Alle fünf Angestellten in Festlandchina wurden wegen „rechtswidriger Geschäftstätigkeiten“ verhaftet. Bis dahin wusste die Firma überhaupt nicht, dass ein rechtliches Verfahren läuft.
Manipulation durch Gefühl latenter Bedrohung
Da Prozesse zur nationalen Sicherheit stets hinter verschlossenen Türen stattfinden und auch Diplomaten keinen Zugang haben, ist oft nicht ersichtlich, ob Vorwürfe begründet sind. Es fällt bisher auf, dass es fast immer nur Firmen aus Ländern trifft, zu denen sich die Beziehungen gerade verschlechtert haben.
„Sicherheit“ ist längst das am häufigsten verwendete Schlagwort von Staatschef Xi Jinping. Er forciert ein Gefühl latenter Bedrohung: Stets könne überall ein Staatsfeind lauern. In Staatsbetrieben ist es längst Usus, die Belegschaft diffus vor ausländischen Spionen zu warnen. Auch werden ausländische Journalisten von Staatsmedien als potenzielle Spione porträtiert.
Es ist ein schmaler Grat zwischen Sicherheitswahn und wirtschaftlichem Ehrgeiz: Denn zugleich will die Regierung den Außenhandel nach der katastrophalen „Null Covid“-Isolation fördern. Ausländischen Konzerndelegationen wird derzeit der rote Teppich ausgerollt, damit sie bloß nicht ihre Produktion von China nach Indien oder Südostasien abziehen.