China nicht schuld an hohen Preisen: "Das ist ein beliebtes Märchen"
Der Ökonom Flassbeck sagt: Großbanken streuen Gerüchte, dass China oder Indien an steigenden Lebensmittelpreisen schuld seien. Schuld sei aber Spekulation – der Finanzmarkt bestimme den Preis.
taz: Herr Flassbeck, die Preise für Nahrungsmittel und Rohstoffe haben inzwischen ein höheres Niveau erreicht als vor Beginn der Finanzkrise. Drohen neue Hungerkatastrophen?
Heiner Flassbeck: Nicht in dem Ausmaß wie Anfang 2008 in Haiti. Grundsätzlich stehen wir aber vor dem gleichen Problem: Wenn die Nahrungsmittelpreise steigen, wachsen verständlicherweise in den Entwicklungsländern der Hunger und die Unruhe. Die Proteste in Nordafrika waren in erheblichem Maße von steigenden Lebensmittelpreisen bestimmt und nicht nur vom revolutionären Geist.
Sind nicht Chinesen und Inder wegen ihrer wachsenden Nachfrage Schuld am Anstieg?
Das ist ein beliebtes Märchen, das von den interessierten Akteuren an den Märkten wie Goldman Sachs und anderen Großbanken gerne gestreut wird. Aber das ist nicht wahr. Wir haben gerade eine Studie gemacht, die zeigt, dass in erheblichem Maße Spekulation verantwortlich ist. Nicht der physische Markt bestimmt die Preise, sondern der Finanzmarkt. Die Preise für Öl und bestimmter Nahrungsmittel korrelieren zu fast 100 Prozent mit anderen Finanzprodukten wie Aktien oder spekulativ gehandelten Währungen. Und das kann man nicht mit Angebot und Nachfrage erklären, sondern nur mit einem massiven Einfluss von Finanzakteuren.
Warum tun sie das?
HEINER FLASSBECK (59) arbeitet bei der Handelskonferenz der UN in Genf. Unter Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine war er Staatssekretär, zuvor arbeitete er am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Sie behaupten zwar gerne, dass sie "hedging" betreiben, also den Produzenten die Ernte vorher abkaufen zur Absicherung gegen künftige Preisschwankungen. Aber damit hat das alles überhaupt nichts zu tun. Die Deutsche Bank etwa ist einer der größten Zuckerhändler der Welt - nicht weil sie mit dem Handel von Zucker viel Geld verdienen könnte, sondern weil sie eine Menge Leute dazu antreiben möchte, ebenfalls Zuckerpapiere zu kaufen. Dann steigt der Wert dieser Papiere und die Deutsche Bank kann die Papiere gewinnbringend wieder abstoßen. Es geht darum, eine Herde von Spekulanten und Unwissenden zusammen zu bringen, den Preis nach oben zu treiben und gewinnbringend wieder zu verkaufen. Immer bleiben die Unwissenden am Ende über und machen den Großteil der Verluste.
Inwiefern trägt die Fed mit ihrer lockeren Geldpolitik zur Spekulation bei?
Der US-Zentralbank die Schuld zu geben ist zwar beliebt, aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Zentralbanken müssen ihre Geldpolitik an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ausrichten. Wenn Geld von der Zentralbank genommen und über Banken in spekulative Kanäle geleitet wird, dann muss man das unterbinden. Man kann aber nicht sagen: Die Geldpolitik muss jetzt restriktiv werden und die Gesamtwirtschaft wird abgewürgt. Deswegen ist es falsch, der Fed die Schuld an der Spekulation zu geben.
Sie halten es also für richtig, dass Bernanke von der US-Regierung in großen Mengen Staatsanleihen abkauft und damit letztlich Geld druckt?
Absolut. Es ist im übrigen auch nichts besonderes, dass Zentralbanken Geld drucken. Das machen sie schon immer. Wenn die Notenbank nicht selbst Staatsanleihen kauft, gibt sie den Banken Geld, die damit wiederum Staatsanleihen kaufen. Darüber hat sich aber niemand aufgeregt, weil ja die angeblich "guten" Banken zwischengeschaltet sind. Das ist aber keine besonders geistreiche Unterscheidung. Das Bankensystem als Ganzes kaufte schon immer Staatsanleihen. Dieses Mal macht es die Fed direkt, um den langfristigen Zins stärker und sicherer nach unten zu bringen. Das ist völlig legitim. Außerdem ist die Geldmenge in Europa und USA weniger gestiegen als zuvor. In Europa stagniert die von den Monetaristen für relevant gehaltene relevante Geldmenge M3 seit zwei Jahren. Das nimmt aber niemand zur Kenntnis, weil das nicht in das Weltbild der Leute passt. Es droht Deflation und nicht Inflation.
Warum steigen dann die Preise?
Was steigt, sind spekulativ getriebene Einzelpreise. Die eigentliche Determinante von Preissteigerungen, nämlich die Wachstumsraten der Lohnstückkosten sind in allen Ländern extrem niedrig bis null. Es gibt überhaupt keine Inflationsgefahr. Nirgendwo außer vielleicht in China, weil dort die Löhne kräftig steigen. Aber China ist die Ausnahme.
Vor allem die Schwellenländer kämpfen derzeit massiv mit Inflation.
Das liegt ganz allein daran, dass wir ein perverses Finanzsystem haben, in dem die Hauptaktivitäten der Banken aus Spekulationsgeschäften bestehen. Es gab mal ein System, das hieß Bretton Woods. Da wurde das Geld der Zentralbank in erster Linie dazu verwendet, Investitionen zu finanzieren. Was die Entwicklungsländer meinen, ist auch etwas ganz anderes. Brasilien kritisiert, dass das Währungssystem nicht funktioniert. Und das ist vollkommen richtig. Die brasilianische Währung wird aufgewertet, obwohl Brasilien eine deutlich höhere Inflation hat als andere Länder. Das ist absurd, weil Brasilien ohne jede Berechtigung an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Nur will das in den alten Industrieländern niemand zur Kenntnis nehmen. Wir haben ein klassisches Marktversagen. Was wir benötigen ist ein neues Weltwährungssystem.
Was sollten die Agrarminister auf der G20-Konferenz am Mittwoch tun?
Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Preisentwicklung auf den Rohstoffmärkten nicht in erster Linie ein Agrarproblem ist.
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