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Chile: Der hohe Preis der freien Worte

■ Oppositionszeitungen unter der Diktatur / Beschlagnahmen, Verhaftungen und die Suche nach Schleichwegen: journalistischer Alltag der Tageszeitung El Fortin

Von Iris Stolz

Immer länger wird der Vers, den die Zeitungsverkäufer, die morgens an Santiagos Straßenkreuzungen stehen, lernen müssen: „La Cuarta, La Tercera, El Mercurio, El Fortin, La Epoca...“ Für jeden Geschmack ist etwas dabei: nackte Mädchen, Lobeshymnen auf die Regierung, aber auch Informationen über die Opposition, Meinungen, die Pinochet widersprechen, Enthüllungen unsauberer Machenschaften in Militär– und Regierungskreisen. „Das ist eine komische Diktatur“, kommentieren immer wieder die Neuankömmlinge, „so viel Pressefreiheit...“ Die chilenischen Journalisten sind da anderer Ansicht, denn so einfach wie es das bedruckte Pa pier glauben machen will, ist die Verbreitung oppositioneller Meinungen und dem Militär–Regime unangenehmer Nachrichten nicht. Journalisten–Alltag in Chile, das heißt Beschlagnahmen und Entlassungen, Verhaftungen von Redakteuren und Herausgebern, Prozesse vor Militär– und Zivilgerichten wegen Angriffs auf die Streitkräfte oder den Staatschef, wegen Beleidigung oder Verstoß gegen die Staatssicherheit. Zu diesem Alltag gehören auch Morddrohungen, und schließlich weiß in Chile jeder, daß der Journalist Jose Carrasco im September 1986 einer Todesschwadron zum Opfer fiel. Das Fernsehen wird vollständig von der Regierung kontrolliert, und neue Publikationen müssen von der Junta genehmigt werden. Jederzeit kann das Regime den Belagerungszustand ausrufen und oppositionelle Medien verbieten. „Seit 1984 erschienen wir wöchentlich“, erzählt Sergio Gutierrez, Journalist beim Fortin Mapocho, „aber oft hat uns die Regierung - manchmal monatelang - gesperrt. Um zu überleben, haben wir dann unter anderem Namen Informationsblätter in privater Zirkulation herausgegeben. Die konnten wir natürlich nicht am Kiosk verkaufen, aber eine gewisse Anzahl wurde durch Boten verteilt.“ Seit diesem Frühjahr erscheint Fortin Mapocho wie auch La Epoca täglich. Die beiden oppositionellen Zeitungen haben die chilenische Presselandschaft verändert. Nicht nur die eigenen Leser, auch diejenigen, die bei den traditionellen Medien geblieben sind, bekommen das zu spüren: Allein aus Gründen der Konkurenz öffnete sich selbst der etab lierte Mercurio mehr und mehr den Themen der Opposition. Während La Epoca sich als Zeitung des Übergangs zur Demokratie definiert, dem spanischen El Pais ähnelt und neu ist, hat der Fortin Mapocho eine Geschichte, die bis 1948 zurückreicht. Damals gab es in Chile ein Fußball–Turnier, an dem auch eine Mannschaft der Markthändler namens Fortin Mapocho teilnahm. Fortin heißt „kleines Fort“, Mapocho ist der Fluß, der am Markt vorbei durch Santiago fließt. Diese Mannschaft gewann das Turnier, aber weil sie arm war, ließ die Jury sie nicht aufsteigen. Aus Protest gründeten die Händler darauf eine Zeitung: den Fortin Mapocho, der zu einem unregelmäßig erscheinenden Markt– Blättchen wurde, das die Probleme der Händler thematisierte. 1973 putschten die Militärs gegen die Linksregierung Allende. Von nun an mußten neue Publikationen von der Junta genehmigt werden, und oppositionelle hatten da wenig Chancen. Vorsorglich kaufte der Christdemokrat und Ex–Senator Jorge Lavandero die Rechte am Fortin Mapocho. „Ab 1984 kam der Fortin wöchentlich heraus“, so Mitarbeiter Sergio Gutierrez. „Wir Journalisten arbeiteten umsonst, und von der ersten Ausgabe wurden mehr als 100.000 Exemplare verkauft. So etwas hatte es noch nie gegeben. Es existierten zwar schon oppositionelle Zeitschriften, aber die waren sehr an die Kirche gebunden. Natürlich hat die Regierung versucht, uns zu verbieten“, so Gutierrez weiter, „aber wir gingen vor Gericht, und das entschied: Die Zeitung kann nicht verboten werden, weil sie nicht neu ist. Die Häufigkeit des Erscheinens liegt im Ermessen des Besitzers und wird durch kein Gesetz geregelt.“ Aus diesem Grund konnte sich der Fortin auch die komplizierten Genehmigungsprozeduren ersparen, als er im April als Tageszeitung erschien. Zwischen Punta Arenas im Süden und Arica im Norden werden seit April täglich etwa 10.000 bis 15.000 Exemplare verkauft, die meisten - um die 75 Prozent - in Santiago. „Der Verkauf des Fortins ist sehr unterschiedlich“, so Redakteurin Mary Zajer, „das kommt sehr auf die Ereignisse an. Als zum Beispiel im Juni zwölf Menschen getötet wurden, da stieg die Auflage um etwa 30 Prozent. Alle wollten die andere Wahrheit wissen; die, die nicht in den regierungsnahen Medien steht.“ Aber in normalen Zeiten können sich die etwa 60 Mitarbeiter - die Hälfte davon sind Journalisten - kaum über Wasser halten. Mit dem Anspruch des Fortins, eine Zeitung zu sein, die vor allem auch die Arbeiter– und die Unterschicht anspricht - also deren Probleme in einer klaren und leicht verständlichen Sprache thematisiert - ,kann man kein Geschäft machen: Anzeigenkunden halten eine solche Leserschaft nicht für kaufkräftig und sparen sich das Geld, und in den Unterschichten wird die gelesene Zeitung eben nicht weggeworfen, sondern weitergereicht. „Eine Umfrage ergab“, so Mary Zajer vom Fortin, „daß in den Armenvierteln eine Ausgabe durch 17 Hände geht.“ Als freies Unternehmen wäre der Fortin vermutlich schon lange in Konkurs gegangen. Momentan wird er vor allem von gutwilligen Aktionären und ausländischen Geldgebern am Leben erhalten.

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