Chemiewaffen im syrischen Ghouta: „Es muss etwas passieren!“
Nach den Angriffen zählen die Bewohner die Opfer. Chemiewaffen-Experten versuchen nun die verwendeten Gifte zu identifizieren.
BERLIN taz | Einen Tag nach den Berichten über einen verheerenden Chemiewaffeneinsatz der syrischen Regierungstruppen kommt Ghouta im Osten von Damaskus nicht zur Ruhe. Die Armee hat ihre Angriffe auf die dortigen Rebellenbastionen sowie Ziele im Westen der Hauptstadt fortgesetzt.
Die Zahl der Opfer blieb zunächst unklar, es gab auch keine Hinweise auf einen neuen Giftgasangriff. Aus Angst vor weiteren Attacken hatten viele Menschen in Ghouta am Vorabend nasse Handtücher neben ihre Betten gelegt, um notfalls ihr Gesicht schützen zu können.
Die Zahlen der Opfer vom Mittwoch gingen weiter auseinander. Im Liveblog der deutschen Solidaritätskampgane „Adopt a Revolution“ wird unter Berufung auf einen Aktivisten der syrischen Lokalen Koordinationskomitees (LCC) deutlich, wie deren Zahl von 1.338 Opfern zustande kam: Zunächst hätten die Aktivisten alle verfügbaren Informationen gesammelt und die Zahlen der Toten addiert.
Um doppelte Zählungen auszuschließen, hätten sie später nur noch die Zahlen von Opfern in festen Sammelpunkten wie Krankenhäusern berücksichtigt. Die Website der Organisation (www.lccsyria.org) dokumentiert das Ergebnis. Inzwischen sind die Aktivisten dabei, genaue Namenlisten aufzustellen.
Vermutlich giftige Stoffe
Zugleich beginnen Chemiewaffenexperten damit, die zahlreichen Videoaufnahmen, die Aktivisten ins Internet gestellt hatten, zu analysieren. Die Aufnahmen können nicht belegen, ob und welche chemischen Substanzen eingesetzt wurden. Doch mehrere von der britischen Zeitung Guardian befragte Experten – darunter auch solche, die angesichts früherer Berichte von Giftgaseinsätzen skeptisch waren – gehen davon aus, dass vermutlich giftige Stoffe eingesetzt wurden. Die Bandbreite aufgrund der Symptome reicht dabei von Sarin über Blausäure bis hin zu Pestiziden.
Jean Pascal Zanders, einer dieser Experten, weist zudem darauf hin, dass die Fotos und Videos eine deutlich bessere Qualität hatten als bei früheren Anlässen. „Man kann deutlich die typischen Anzeichen für Erstickung erkennen“, sagte er dem Guardian. „Neu ist auch, dass wir in diesen Aufnahmen das Chaos der ersten Reaktionen auf die Geschehnisse sehen. Wir sehen die Notfalldienste, wie sie überwältigt sind von den unschuldigen Opfern. Das wirkt sehr authentisch.“
Nicht mehr reden
Angesichts der Ereignisse äußern mehrere Aktivisten inzwischen auch ihren Unmut über das Verhalten der internationalen Gemeinschaft. Sami aus dem Ort Irbin im Osten von Damaskus sagte beispielsweise zu Adopt a Revolution: „Wir dachten immer, dass der Druck auf Assad wachsen wird, wenn er brutaler gegen die Opposition vorgeht. Erst sind wir auf Demonstrationen beschossen worden, dann wurden wir mit schweren Waffen in unseren Städten angegriffen, jetzt sieht es nach Massenvernichtungswaffen aus. Es muss etwas passieren!“
Noch deutlicher wird ein Aktivist aus Zamalka, dem von den Angriffen der Regierungstruppen am stärksten betroffenen Ort. Auf die Frage von Adopt a Revolution, ob man seine Nummer an Journalisten weitergeben könne, antwortete er: „Tut mir leid, aber ich will nicht mehr reden. Wir haben in den letzten Monaten immer alle Fragen beantwortet, die wir gestellt bekommen haben. Aber jetzt brauchen wir einfach Hilfe: Medikamente, Gasmasken. Wir brauchen Sicherheit. Was bringt es, noch weiterzureden.“
Der Aktivist Bara Abdelraman äußerte sich gegenüber Reuters ausgesprochen frustriert über eine mögliche Untersuchung der Gegend durch das Team der UN-Experten: „Die Familien von Ghouta haben die Hoffnung auf irgendwelche Untersuchungsteams aufgegeben, die uns seit dem Beginn der Revolution vor zwei Jahren keine Hilfe gebracht haben … Wir sind sieben Kilometer weit weg, nur fünf Minuten im Auto von dem Ort, an dem sie sich aufhalten. Wir werden mit Giftgas getötet, während sie Kaffee trinken und in ihren Hotels sitzen. Als Führer der Aktivisten und der Opposition fordern wir natürlich trotzdem, dass die Inspektoren kommen, und wir versprechen, sie zu schützen. Das ist eine Verantwortung gegenüber Gott, alles für unsere Leute, die massakriert werden, zu tun, was wir können.“
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