Chemie-Unfall in der Uni: Gift mit Lappen weggewischt
Weil niemand bei der Feuerwehr anrief, wurde ein Labor der Technischen Universität Harburg nicht zügig geräumt. Elf Personen erlitten Vergiftungen und mussten ins Krankenhaus.
Die Alarmpläne für Chemieunfälle der Technischen Universität (TU) Harburg taugen anscheinend nichts. Nun liegen elf Personen im Krankenhaus, fünf davon lagen zeitweise auf der Intensivstation. Denn niemand hat die Feuerwehr angerufen, die womöglich Schlimmeres hätte verhindern können.
In einer Laborhalle führten am Dienstagmittag vier Studenten und ein Mitarbeiter der TU einen Versuch durch. Als sie zwei Gefäße in den Schrank zurückräumen wollten, fielen diese herunter und zerbrachen - austrat die giftige Chemikalie Acetonitril (siehe Kasten).
Diese Gefahr haben die Studierenden und der Mitarbeiter unterschätzt, sagt TU-Sprecher Rüdiger Bendlin: "Sie haben im ersten Schreck das alles zusammengefegt und einige Lappen darauf geworfen." Danach hätten sie weitere Mitarbeiter des Labors kontaktiert. Die Beteiligten und ein zugezogener Altstoffexperte erkannten jedoch erst nach und nach, was für Gefahren von der Chemikalie ausgehen. Ein weiterer Professor schickte die Beteiligten sicherheitshalber ins Krankenhaus.
ist ein gebräuchliches Lösungsmittel im Labor.
Es wird in der chemischen Analytik und der technischen Chemie verwendet.
Die farblose Chemikalie riecht leicht süßlich und ist hochgefährlich.
Sie kann Atemwege und Schleimhäute reizen, aber auch zu Herzrhythmusstörungen oder Bewusstseinsstörungen führen.
Ebenso können ähnliche Vergiftungserscheinungen wie bei Blausäure auftreten.
"Man hätte auch gemeinsam entscheiden können, wir rufen die Feuerwehr hinzu, weil wir hier einen Unfall und kein Malheur haben", räumt Bentlin ein, "dies ist in dieser Form nicht passiert. Das war ein Fehler."
Eigentlich gibt es einen Alarmplan für Unfälle: Sobald eine nicht klar definierte Menge an toxischer Flüssigkeit austritt, muss die Feuerwehr benachrichtigt werden. Das tat aber niemand. "Wir sind auf Eigeninitiative tätig geworden", sagt Hendrik Frese von der Feuerwehr, "weil der genaue Unfallhergang für uns unklar war." Die Feuerwehr wurde nämlich nicht von der Uni alarmiert, sondern vom Krankenhaus. Der behandelnde Arzt wollte von der Feuerwehr Informationen über das Gift erhalten - die wusste von dem Unfall bis dato nichts.
Gefährlich ist die Lücke zwischen Unfall und Feuerwehreinsatz: Die Gefäße zerbrachen um die Mittagszeit, die Feuerwehr rückte um kurz nach 19 Uhr aus. So kamen weitere sechs Menschen mit dem Gift in Berührung, denn niemand verschloss das Labor. Bei einer Messung am Abend lag der toxische Wert im Labor noch weit über dem maximal zulässigen.
Die Hochschule versichert, nun mit allen Konsequenzen, den Fehler in der Alarmkette aufklären zu wollen. Die Schränke mit den Giftstoffen seien dafür gesichert, mit Luft abgesaugt zu werden, aber eben nicht um ein Herunterfallen aufzufangen. Auch erhalte jeder Student vor dem Laborpraktikum eine Einweisung in das Labor.
Die Versuchshalle an der TU ist mittlerweile wieder von der Feuerwehr freigegeben. Auch die Studenten und Unimitarbeiter sind noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen und müssen nur noch zur Überwachung im Krankenhaus bleiben.
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