Chefredakteurin über radiomulticult.fm: „Die Selbstausbeutung ist enorm“
Seit fünf Jahren widmet sich radiomulticult.fm den Themen Migration und Vielfalt. Chefin Brigitta Gabrin über Konkurrenzkämpfe und Arbeit ohne Bezahlung.
sonntaz: Frau Gabrin, wir sind, ehrlich gesagt, ein wenig überrascht, Ihnen zu fünf Jahren multicult.fm gratulieren zu können. Bringen Sie bei dem ständigen Kampf um das Fortbestehen Ihres ehrenamtlich geführten Senders eigentlich noch Kraft zum Jubeln auf?
Brigitta Gabrin: Unterm Strich überwiegt natürlich die Freude, gemischt mit Verwunderung. Ich bin selbst erstaunt, dass wir das fünf Jahre geschafft haben. Radio ist ja ein Produkt, bei welchem hinter drei Minuten Hören manchmal ein Tag Arbeit steht. Ein Wermutstropfen ist allerdings der Aspekt der Selbstausbeutung, die ist schon enorm. Nicht nur von mir, auch von den Leuten, die ich motiviert habe mitzumachen. Da frage ich mich manchmal: Ist das wirklich okay? Aber am Ende macht das ja jeder aus Freude und Überzeugung.
Auch Sie selbst arbeiten ohne Bezahlung. Warum?
Idealismus, ich glaube daran. Ich bin dreisprachig aufgewachsen und hab immer schon unter der Monokulturalität in der Medienlandschaft gelitten. Mit radiomultikulti vom RBB war dieses Problem für mich gelöst. Als der Sender Ende 2008 geschlossen wurde, war es für mich undenkbar, diese Art Journalismus nicht weiterzumachen. Aus meiner Sicht war das multikulturelle Angebot in der Berlin-Brandenburger Medienlandschaft ungenügend. Zwar kam Funkhaus Europa [von WDR und Radio Bremen; Anm. d. Red.] auf unsere alte Frequenz, aber ich wusste: Auch die Multikulturisten in Berlin brauchten eine Plattform. Gemeinsam an eine Idee zu glauben und sich zu engagieren, das ist der Nährboden, aus dem ich meine Kraft schöpfe.
Von Engagement und Begeisterung allein lässt sich aber die Miete nicht zahlen.
Meine Familie unterstützt mich. Das fängt damit an, dass mein Sohn, der noch studiert, auf Unterstützung verzichtet. Und mein Mann füttert mich durch. Das ist natürlich nicht einfach, da fehlt ganz eindeutig Geld. In unserem Team sind Leute, die diesen Familienrückhalt nicht haben. Darunter leide ich, weil ich sehe, wie wahnsinnig wenig Geld die haben, und ich kann nichts zahlen. Das ist bitter.
55, wurde in Rumänien als Tochter deutsch-ungarischer Eltern geboren. Die diplomierte Psychologin arbeitete für verschiedene Rundfunk- und Printmedien, unter anderem als Moderatorin bei radiomultikulti vom RBB. Seit 2009 leitet sie das ehrenamtlich arbeitende Internetradio multicult.fm. Gabrin lebt in Berlin.
Sie arbeiten viel mit Praktikanten und Laien. Wie viel journalistischer Anspruch ist da möglich?
Dieses Radio hat nicht durchgängig die Qualität, die ich mir wünsche. Natürlich haben wir gute Leute und außergewöhnliche Themen, die woanders nicht vorkommen. Aber eben auch teilweise suboptimale Inhalte. Das ist schade, aber ohne Geld einfach nicht anders zu machen.
Wie groß ist denn Ihre Hörerschaft überhaupt?
Vor ein paar Monaten haben wir unsere neuen Mediadaten gesichert, und der weiteste Hörerkreis sind 112.478 Hörer. Stammhörer haben wir 50.190. Das ist wirklich eine ganze Menge, das hätte ich selbst nicht gedacht. Wir haben auch Umfragebögen versendet, und es gab Feedback von ein paar tausend Hörern. Das ist noch etwas, das uns Kraft gibt: das Feedback der Hörer.
Sie sendeten zunächst aus einer Galerie am Kleistpark in Berlin-Schöneberg …
Es gab da keinen abgeschlossenen Raum fürs Studio. Mischpult und Mikros standen in einem kleinen weißen Beduinenzelt. In dem Augenblick, in dem die rote Lampe anging, weil der Moderator sprach, musste eine ganze Redaktion schweigen. Trotzdem war da viel Enthusiasmus.
Der Soziologe Hartmut Rosa hat meistens überhaupt keine Zeit – er hetzt von Vortrag zu Seminar, muss Interviews geben. Sein Thema? Entschleunigung. Wie viel Tempo das Leben verträgt, fragt er sich in der taz.am wochenende vom 11./12. Januar 2014 . Außerdem: Ein österreichischer Reproduktionsmediziner behandelt seine Patientinnen mit umstrittenen Methoden – da, wo sie erlaubt sind. Und: Warum stehen die Zeiger in der Uhrenwerbung eigentlich immer auf zehn nach zehn? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Beim RBB teilte man Ihren Enthusiasmus damals nicht.
Wir mussten sogar einen kleinen Rechtsstreit ausfechten. Man warf uns vor, dass die Farbe unseres Logos und der Name multicult.fm zu Verwechslungen führe. Letztendlich haben wir das Logo verändert. Aber den Namen durften wir behalten. Da wir das Sendeprofil von radiomultikulti weitergeführt haben, war es naheliegend, so einen Namen zu nehmen. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, deshalb Streit zu bekommen. Und auch Funkhaus Europa hat mir gesagt, wir hätten das gleiche Profil wie sie, und an der Stelle würden sie uns durchaus als Konkurrenz sehen. Sie baten um Verständnis, dass sie gerade bei Moderatoren ein Problem hätten, wenn diese auch bei uns arbeiteten. Ich hätte nicht gedacht, dass wir als ehrenamtliches Projekt als Konkurrent gesehen werden. Es kam mir vor wie David gegen Goliath.
Na ja, Sie mögen zwar eine kleine Konkurrenz sein – aber Konkurrenz sind Sie eben doch.
Nein, gar nicht! Wir fühlen uns als Mitstreiter an der gleichen Front. Die Themen Integration und Diversity sind doch eher unterrepräsentiert in den Medien. Meine Vorstellung war, dass es da ein solidarisches Miteinander geben müsse. Mir wurde dann versichert, dass freie Autoren sowohl bei ihnen als auch bei uns arbeiten dürften, aber eben nicht die Moderatoren. Wir wollten Funkhaus Europa gern unsere beste Sendung schenken, damit wir Programmkooperationen haben. Das wurde dankend abgelehnt.
Gibt es trotzdem noch Redakteure bei Funkhaus Europa, die Sie unterstützen?
Nein. Solange die Fronten nicht geklärt sind, ist es schwierig. Uns fehlen dadurch viele Kollegen mit dem Schwerpunkt interkultureller Journalismus, die sich gern für uns engagiert hätten.
Dennoch haben Sie sehr viele Mitstreiter, journalistische Laien oder nicht, die sich für Ihr Projekt aufreiben wollen – auch nicht selbstverständlich.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Ehrenamt etwas ist, das sich Leute mit Migrationshintergrund oft nicht auf Dauer leisten können. Deutsche können sich das meist sehr viel länger leisten.
Es gibt öffentliche Fördertöpfe, Sie könnten Werbung schalten – Sie könnten versuchen, Ihre Leute zu bezahlen.
Die meisten langfristigen Fördergelder, die es Projekten wie unserem ermöglichen würden, große Schritte in der Entwicklung zu machen, kommen für uns nicht infrage. Es gibt auf der einen Seite kommerzielles Privatradio und auf der anderen Seite öffentlich-rechtliche Medien. Dazwischen gibt es gar nichts. Und wir gehen ja genau diesen Weg dazwischen. Wir wollen nicht kommerziell sein, machen kaum Werbung. Öffentlich-rechtlich sind wir aber auch nicht, und so bleiben diese Töpfe für uns verschlossen. Das verlangsamt die Entwicklung extrem.
Die Zielvorgaben fürs neue Jahr 2014 sind also bescheiden?
Auf eine Regelförderung warte ich nicht mehr. Aber ich hoffe, dass unsere Ausbildungsseminare für junge Journalisten regelmäßiger gefördert werden. Der drängendste Schritt bleibt die Schaffung einer zuverlässigen finanziellen Basis.
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