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Chaos in der Berliner CDUPflügers Rücktritt vom Rücktritt

Erst will Friedbert Pflüger Landesvorsitzer der Berliner CDU werden, dann nicht, dann doch wieder. Parteikollegen benennen bereits seinen Nachfolger in der Fraktion.

Pflüger bei der Verlesung seiner Erklärung am Montag Bild: dpa

Die Selbstzerfleischung der Berliner CDU nimmt immer dramatischere Formen an: Erst in der Nacht zu Montag hatte CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger in Folge einer sechsstündigen Krisensitzung seinen Anspruch auf den CDU-Landesvorsitz aufgegeben. Wenige Stunden später, am Montagnachmittag, verkündete Pflüger das glatte Gegenteil. In einem Wilmersdorfer Park erklärte er vor 60 JournalistInnen: "In der gestrigen Nacht habe ich in der Kreisvorsitzendenrunde unter großem Druck einem Kompromiss zugestimmt. Aber dieser Kompromiss ist faul, und ich stehe für faule Kompromisse nicht zu Verfügung."

Pflügers Konkurrent: Frank Henkel

Noch hat Friedbert Pfüger den Stuhl des Fraktionsvorsitzenden nicht freigegeben - aber der Nachfolger im Selbstmordkommando Berliner Union steht schon in den Startlöchern. Zumindest sind die Weichen in den Hinterstübchen gestellt. Frank Henkel, Generalsekretär der Landespartei und innenpolitischer Sprecher der Fraktion, soll das Erbe antreten. Henkel mache einen "Superjob" in der Sicherheitspolitik, ließ der CDU-Landeschef Ingo Schmitt am Wochenende verlauten.

Der 45-jährige Henkel ist seit 2001 Mitglied des Abgeordnetenhauses. "Ich widme mich der Innenpolitik mit heißem Herzen und kühlem Verstand", beschreibt der studierte Diplomkaufmann gegenüber der taz seinen Politikstil. In der Praxis sieht das so aus, dass Henkel den Hardliner gibt. Law-and-Order-Politik im Stil des berüchtigten früheren Haudrauf-Innensenators Heinrich Lummer (CDU), sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland, der Henkels erste innenpolitische Gehversuche verfolgt hat.

Henkel ist in Ostberlin geboren. 1981, zur Hoch-Zeit der Hausbesetzerbewegung, als Heinrich Lummer hart agierte, machte er mit seinen Eltern nach Westberlin rüber. Da war Henkel 17. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und Journalistik, arbeitete unter anderem für den Boulevardfunk Hundert,6, bevor er in die Politik ging.

Udo Wolf, Innenpolitiker der Linkspartei, assoziiert mit Henkels Politikstil die "ganz alte Westberliner CDU". Härtere Strafen, Rundumüberwachung und mehr Abschiebungen, das sind bis heute die Standardthemen des Law-and-Order-Mannes. Am 1. Mai 2003 verglich er die Ausschreitungen in Kreuzberg mit Bürgerkriegsszenarien in Beirut - um die CDU von der Deeskalationspolitik des rot-roten Senats abzugrenzen. Henkel wisse sehr wohl, dass er die Dinge überspitze, nimmt ihn ein Fraktionsmitglied in Schutz: "Er muss das tun. Unsere auf Sicherheit bedachten, betagten Wähler wollen das nun mal hören." PLUTONIA PLARRE

Viele hatten zu diesem Zeitpunkt mit Pflügers Rücktritt vom Fraktionsvorsitz gerechnet, stattdessen ging er erneut in die Offensive. Er halte es nach wie vor für richtig, die Ämter des Fraktions- und Parteivorsitzenden zusammenzulegen - und kündigte an, die weiteren Schritte am heutigen Dienstag in seiner Fraktion zu beraten.

Pflüger hatte in vergangenen Donnerstag seinen Anspruch auf den Landesvorsitz erklärt und seine persönliche Zukunft in Berlin an das Amt gebunden. Daraufhin hatte es in der CDU erbitterten Widerstand gegeben. "Die Personalquerelen müssen beendet werden - egal wie", sagte ein wichtiger Kreisverbandsvorsitzender der taz. Mit dem Rückzug Pflügers auf der Krisensitzung am Sonntagabend und einer formellen Unterstützung seiner politischer Linie hatten die Parteifunktionäre gehofft, die Situation zu beruhigen.

Als Pflüger am Montag erneut umschwenkte, wendeten sich selbst seine Anhänger von ihm ab: "Diesen Schwenk innerhalb weniger Stunden kann ich nicht mehr nachvollziehen", sagte Peter Kurth, Kreisverbandsvorsitzender aus Pankow, der Pflügers Kurs zuvor noch öffentlich unterstützt hatte. Einstimmig stellten sich alle zwölf Kreisvorsitzenden in einer Resolution gegen ihn. Damit gilt auch als unwahrscheinlich, dass die Fraktion Pflüger noch retten kann. "Pflüger hat gezeigt, dass er sich nicht an Absprachen hält. Was ist darauf noch zu geben?", sagte ein CDU-Abgeordneter der taz.

Einflussreiche Kreisverbandsvorsitzende sagten der taz, Pflüger sei nun endgültig isoliert: "Wenn er bei einer Vertrauensfrage noch vier Stimmen in der Fraktion bekommt, dann wäre das viel." Pflüger würde nun "so schnell, wie es die Satzung zulässt, von seinem Amt entbunden". Als Nachfolger im Fraktionsvorsitz gilt unter CDU-Funktionären der derzeitige Generalsekretär und Parlamentarische Geschäftsführer Frank Henkel als ausgemacht.

Auch aus anderen Parteien gab es Reaktionen auf das Chaos in der CDU: "Die Berliner CDU liefert ein absurdes Schauspiel", sagte der SPD-Landeschef und Fraktionsvorsitzende Michael Müller. "Offenbar wissen nicht mal die handelnden Personen, was sie vor wenigen Stunden vereinbart haben." SPD-Fraktionssprecher Thorsten Metter befürchtet, dass das CDU-Chaos die Politik allgemein in Misskredit bringe.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Franziska Eichstädt-Bohlig sagte, eine Zusammenarbeit mit der Union sei derzeit "nicht mehr denkbar und greifbar". FDP-Fraktionschef Martin Lindner befand, man solle keinesfalls glauben, dass es für die CDU nicht noch tiefer als 20 Prozent Stimmenanteil gehe. Er forderte die Union auf, die inhaltliche Öffnung gegenüber Grünen und FDP fortzusetzen. Sonst werde die Berliner CDU "bald keine Rolle mehr spielen".

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