Chaos an Gaza-Grenze: Kampf um das Loch in der Mauer
Ägyptens Polizei ist beim Versuch gescheitert, die Lücke in der Mauer zum Gazastreifen zu schließen. Mit Bulldozern ermöglichen sich Palästinenser Ausflüge.
KAIRO taz Die Palästinenser des Gazastreifens wollen ihre neu gewonnene Lebensader nicht einfach so aufgeben. Ein erster ägyptischer Versuch, die Grenze zum Gazastreifen wieder zu schließen, endete am Freitagnachmittag nach einer Stunde mit dem Rückzug der Sicherheitskräfte. Zuvor hatten Bulldozer von der palästinensischen Seite neue Breschen die den Grenzwall gebrochen.
Bis zum Mittag war sowohl die Anzahl ägyptischer Bereitschaftspolizisten als auch die der zunehmend frustrierten Palästinenser gewachsen, die noch im letzten Moment über die Grenze kommen wollten, bevor sie wie von der ägyptischen Polizei angekündigt ganz geschlossen werden sollte. Wütende Palästinenser warfen Steine auf die Polizisten, die antworteten mit Schlagstöcken und Wasserwerfern. "Ich habe bis zum Freitag gewartet um hier herüberzukommen, da ich einige Tage gebraucht habe, das Geld zusammenzubekommen, um in Ägypten einzukaufen zu gehen", beschreibt der 17-jährige Palästinenser Jussuf Muhammad seinen Frust.
Ägyptens erster Versuch, die Grenze zu schließen, kam schneller als erwartet. Die Aussagen des stellvertretenden israelischen Verteidigungsministers Matan Vilnai vom Donnerstag hatten in Kairo alle Alarmglocken schellen lassen. Israel sollte graduell die Verantwortung für den Gazastreifen abgeben, da jetzt die Grenze zu Ägypten offen sei, hatte dieser verkündet. Auch andere israelische Offizielle erklärten, dass die offene Grenze zu Ägypten den Weg für eine totale Abkoppelung zwischen Israel und dem Gazastreifen bereiten könnte. Auch wenn der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die Erklärung seines Stellvertreters später mit einem "In meiner Interpretation geht das etwas zu weit" relativierte, kam die Antwort aus Kairo prompt. Bei der Grenzöffnung handele es sich nur um eine kurzzeitige Ausnahme, ließ ein Sprecher des Außenministeriums in Kairo verlauten. Und der ägyptische Präsident wehrte ebenfalls ab. "Wir werden die Palästinenser in Gaza nicht verhungern lassen", erklärte er, rief aber gleichzeitig die palästinensischen Parteien Fatah und Hamas auf, ihre Streitigkeiten beizulegen. "Ägypten weigert sich, in diese Streitigkeiten hineingezogen zu werden und stellt sich gegen jegliche Provokation seiner Sicherheitskräfte", lautete seine Botschaft an die Palästinenser. Gleichzeitig lud er die zerstrittenen palästinensischen Lager zu Gesprächen nach Kairo.
Der Versuch, die Grenze wieder zu schließen, hat aber nicht nur mit der Angst zu tun, das Problem des Gazastreifen aufgebürdet zu bekommen. Auch um die eigene Sicherheit ist Ägypten besorgt, und aus Washington war in den letzten Tagen der Druck immer größer geworden.
Neben den Einwohnern Gazas, die ihre mageren Vorräte etwas aufstocken konnten, erscheint die Hamas als die große Gewinnerin der Grenzepisode. Die israelische Rechnung, die Einwohner Gazas durch eine Vollblockade gegen die Hamas und deren Raketenangriffe auf Israel aufzubringen, ist jedenfalls nicht aufgegangen. "Die Hamas hat einen strategischen Sieg errungen", glaubt der 45-jährige Abu Ali, der es am Freitagmorgen noch geschafft hatte, nach Ägypten herüberzukommen. "Frag irgendjemanden, wer den Palästinensern dieses Straßenfest auf der ägyptischen Seite ermöglicht hat. Alle antworten - die Hamas".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier