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Chaos, Gefühle – ah, Russland!

■ Die Vorschau: Die russische Folkpop-Band Farlanders mit der Sängerin und Poetin Inna Zhelannaya spielt am Sonntag im Moments und sprach vorher mit der taz

Es sind eigene, faszinierend fremde Töne, die die Sängerin und Songwriterin Inna Zhelannaya mit ihrer Gruppe „Farlanders“ spielt. Eine schwermütige Mischung aus russischer Volksmusik, Rock, Pop und ein wenig Jazz. „Farlanders“ nennen sie sich übrigens nur im Westen, erklärt Sergey Klevensky, der Klarinette, Flöten und Saxophon spielt: „In Russland ist Inna als Sängerin so bekannt, dass auf den Plakaten nur Inna Zhelannaya & Band steht. Aber für die Veröffentlichung unserer CD im Westen brauchten wir einen auch hier verständlichen Titel. Inna erfand dann das Wort „Farlander“, und zuerst wollten wir uns „Inna & the Farlanders“ nennen, aber unser Manager hier sagte, das würde sich wie eine Countryband anhören.“

Ein Mitglied der Gruppe hat schon oft in Bremen gespielt: Sergey Starostin, der singt und ebenfalls Klarinette, Flöten und Saxophone spielt, ist Mitglied des hier begeistert gefeierten „Moscow Art Trio“. Zu den unterschiedlichen Konzepten der beiden Gruppen sagt er: „Im Art Trio spielen wir eine hochartifizielle Instrumentalmusik, hier stehen die Songs und die Stimme von Inna im Mittelpunkt, und die Instrumente unterstützen deren Wirkung mit verschiedenen Klangfarben.“

Vieles an ihrer Musik, betont Inna Zhelannaya, habe seine Wurzeln in der heimatlichen Verbundenheit: „Die Songs, Stimmungen und Instrumentierungen sind sehr russisch, aber auch die Art, wie wir Musiker uns beim Entwickeln der Songs oft streiten. Da herrscht ein großes Durcheinander. Und wir haben ein chaotisches Verhältnis zum Geld – das ist auch sehr russisch.“

Auf die Frage, ob ihr ihre Lieder oder ihr Gesang wichtiger sind, antwortet sie: „Es gab drei Phasen: zuerst waren mir die Texte am Wichtigsten. In ihnen haben ich alle Emotionen ausgedrückt, und die Musik habe ich um sie herum gebaut. Dann hatte ich das Gefühl, als Poetin genug gesagt zu haben, und die Musik trat in den Mittelpunkt. Und jetzt ist es mir fast egal, was ich singe. Die Performance zählt.“

Wenn die Worte bei den Liedern so wichtig sind, besteht doch ein Dilemma darin, dass die meisten Konzertbesucher in Deutschland kein Russisch verstehen. Inna bestätigt dies: „Bei Konzerten außerhalb Russlands fühle ich manchmal einen Mangel an Emotionen, ich habe dann Angst, dass meine Gefühle nicht intensiv genug sind, um auszudrücken, worum es mir geht“.

In Deutschland herrscht immer noch die Vorstellung, dass die Russen ihre Künste, ihre Literatur und Poeten lieben. Aber nach Sergey Klevenskys Meinug hat sich das geändert: „Die Intelligenzia von Russland verschwindet. Im dort jetzt herrschenden wilden Kapitalismus haben die Leute viel mehr Möglichkeiten als vorher, und ich glaube, früher war diese große Liebe der Russen zu ihrer Poesie und Literatur ein Ersatz für das wirkliche Leben. Jetzt werden immer mehr Menschen vom Geld, von den Reisen und ähnlichem verführt, und nur noch das Geschäftemachen ist wichtig.“

So sind auch die Songs von Inna Zhelannaya, die bei uns als anspruchsvolle Popmusik angesehen wurde, in Russland nicht so populär, wie sie es verdient hätten. Sergey Klevensky sagt: „Unter Kritikern, Musikern und Künstlern gilt Inna als eine der besten Sängerinnen von Russland, aber wir würden ihre Musik nie Pop nennen. Pop ist in Russland nur extrem kommerzielle Massenware, und im Radio hört man fast nur diese Schlager. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich im Internet herausfinde, wie oft unsere Musik in den USA oder in Europa im Radio läuft.“

Fragen: Wilfried Hippen

Radio Bremen 2 und Sparkasse in concert präsentieren „Farlanders“ mit ihrem einzigen Auftritt in Deutschland am Sonntag um 20 Uhr im Moments

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