Chaos Computer Club überwacht Polizei: "Das wurde dezidiert gefilmt"
Der Chaos Computer Club (CCC) filmt einen Polizeiübergriff - bei einer Demo gegen Videoüberwachung. Das sei kein Widerspruch, sagt CCC-Sprecher Dirk Engling.
taz: Herr Engling, der Chaos Computer Club hat per Video einen Polizeiübergriff dokumentiert - bei der Demonstration "Freiheit statt Angst" am Samstag, die sich auch gegen Videoüberwachung gerichtet hat. Ist das kein Widerspruch?
Dirk Engling: Nein. Wir hatten mit der Polizei abgesprochen, dass die Demonstration von ihr nicht flächendeckend überwacht wird …
Der Übergriff: Bei der Demo "Freiheit statt Angst" ist es am Samstag zu einem Polizeiübergriff gekommen. Ein Mann, der die Dienstnummer eines Beamten haben wollen, wurde verprügelt.
Die Videos: Ein Mitglied des Chaos Computer Clubs dokumentierte den Übergriff. Das Video wurde im Internet veröffentlicht. Ein zweites Video zeigt einen Teil der Vorgeschichte zum Übergriff. Viele wieter Infos zum Thema sind unter blog.fefe gesammelt.
Die Polizeisicht: Laut Polizei soll der Geschlagene zuvor einen Einsatz "massiv gestört" haben.
Die Folgen: Der Schläger wurde versetzt, aber nicht suspendiert. Gegen ihn laufen interne Ermittlungen wegen Körperverletzung. Grüne, Linke und FDP kritisieren den Einsatz heftig und fordern Stellungnnahmen vom Polizeipräsident und vom Innensenator im Abgeordnetenhaus.
… aber von Teilnehmern wurde flächendeckend gefilmt. Sonst hätten Sie ja keine Bilder.
Nein, das Video wurde gemacht von einem Mitglied des Chaos Computer Clubs. Der hatte gesehen, dass ein Bürger wegen eines anderen Vorfalls die Dienstnummer eines Beamten erfragen wollte und dass ihm dies unter Androhung und dann auch Ausübung von Gewalt verweigert wurde. Das wurde dann dezidiert aufgenommen.
Mittlerweile ist ein zweites Video aufgetaucht, das das Vorspiel zum Übergriff dokumentiert. Das belegt doch, dass viele Leute viel gefilmt haben.
Heute ist fast jedes Mobiltelefon mit einer Kamera ausgestattet. So vergehen vom Entschluss, eine Situation zu filmen, bis zum Beginn der Aufnahmen nur noch wenige Sekunden. Der Chaos Computer Club hat nichts dagegen, dass Straftaten dokumentiert werden. Nur anlass- und verdachtsunabhängig sollen keine Aufnahmen angefertigt werden.
Beide Videos beginnen deutlich vor dem Polizeiübergriff. Gefilmt wurde also präventiv.
Nein. Schon zuvor hatte eine junge Dame nach der Dienstnummer einer Polizistin gefragt. Das wurde mit einem Ellenbogenschlag ins Gesicht quittiert. Ab diesem Moment wurde gefilmt.
In Ihrem Video taucht eine Person auf, der die Polizei nun Gefangenenbefreiung vorwirft. Das wäre eine Straftat. Dank Ihnen hat sie erstklassiges Bildmaterial von dem Mann.
Das ist korrekt. Aber das Video zeigt klar und eindeutig, dass keine der dort von der Polizei angegriffenen Personen gewalttätig war oder eine Straftat begeht. Da steht einfach eine Person zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Natürlich muss man bei solchen Videos immer aufpassen, dass man andere Personen nicht belastet.
Erst kürzlich wurde ein Mann verurteilt, weil er bei einer Demonstration im März am Versuch beteiligt war, ein Polizeifahrzeug umzukippen. Hauptbelastungsmaterial war ein bei Youtube eingestelltes Video von der Demo.
Wer sich auf einer Demonstration befindet, sollte sich an geltendes Recht halten. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, wenn jemand Polizisten angreift. Aber wenn die Polizei das Gewaltmonopol hat, dann soll sie damit auch verantwortlich umgehen. Man darf nicht das Gefühl bekommen, einem Schlägertrupp der Polizei hilflos ausgeliefert zu sein.
Der Blogger, der die Aufnahmen von dem Polizeiübergriff als Erster ins Netz gestellt hat, schwärmt davon, dass "wir Nerds HD-Camcorder haben". Die liefern schärfere Bilder als eine Polizeikamera. Ist das verantwortungsvoll?
Auf unseren Schildern stand schon provokant: "Ab heute wird zurücküberwacht". Dass das traurige Wahrheit geworden ist, hat uns auch überrascht. Inzwischen ist die Technologie so weit fortgeschritten, dass man keine Unsummen mehr dafür ausgeben muss, um im Ernstfall Straftäter in der Polizei identifizieren zu können.
Also gibt es gute und schlechte Videoüberwachung?
Videoüberwachung wird meist anlassunabhängig veranstaltet. Die Dokumentation einer Straftat, die gerade im Gange ist, hat nichts mit dem gängigen Begriff der Videoüberwachung zu tun.
Macht gute Videotechnik in Händen von Demonstranten die oft geforderte Einzelkennzeichnung von Polizisten überflüssig?
Gerade nicht. Denn bei der Situation, die zu dem Übergriff geführt hat, ging es ja darum, die Dienstnummer einer Polizistin herauszufinden. Gäbe es eine Einzelkennzeichnung, hätte man sich die Nummer einfach aufschreiben können. So aber hat die Polizei gegen alle, die nach Nummern gefragt haben, Freiheitsentziehungen angedroht oder durchgeführt. Deshalb haben wir das per Video dokumentiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid