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Chaos Communication CongressIm digitalen Woodstock

2015 war kein gutes Jahr für das Digitale. Viele Teilnehmer des CCC blicken mit Zynismus zurück – und feiern ihre Helden wie Popstars.

Das Woodstock für Hacker ist auf 12.000 Teilnehmer angeschwollen. Foto: dpa

Das war schon ein ganz schönes Scheißjahr für die freie digitale Kommunikation: Die Vorratsdatenspeicherung wieder da. Netzneutralität in Europa zurechtgestutzt. Erkenntnisse über das digitale Wirken von Geheimdiensten tröpfeln aus Untersuchungsausschüssen in allenfalls homöopathischen Dosen, während sich Hacker mit autoritären Regimen weltweit das übliche Katz-und-Maus-Spiel liefern: Während die einen immer neue Wege finden, digitale Kommunikationskanäle aufzutun, stopfen die anderen sie wieder. Und als wäre das alles nicht genug, formieren sich auch noch neue Cryptowars – Versuche von Regierungen, Verschlüsselungstechnologien einzuschränken.

Wovon sich natürlich nicht entmutigen lässt, wer regelmäßiger Besucher des CCC-Jahrestreffens ist. Denn was die digitale Welt heute aus dem Tritt bringt, darüber redet man hier oft schon seit Jahren. Weswegen die Sprecher des CCC um Constanze Kurz mit viel Zynismus auf das Jahr und die Aktivitäten des Clubs zurückblickten – weil technische Expertise von Politik und Behörden allzu oft nach ihrem Geschmack zu wenig Beachtung findet.

Statt zu resignieren, packte der Kongress mal wieder ein paar neue technische Probleme auf den Stapel. Hacker demonstrierten auf dem Kongress, was genau eigentlich technisch abläuft, wenn VW-Bordcomputer bei Abgastests herumtricksen. Hackten EC-Karten-Lesegeräte und Banking-Apps. Zeigten, wie anfällig auch Herzschrittmacher und der Zugverkehr für Angriffe und Datenklau sind.

Und warnten vor der Möglichkeit, Hintertüren und Trojaner bereits auf der Hardware zu verankern. Alles Probleme, die untermauern, was für eine wichtige Rolle Hacker längst erfüllen in einer vernetzten Gesellschaft, in der ohne Internet und IT auch im Alltag von weniger technikinteressierten Menschen kaum noch etwas funktioniert. Die nämlich, Schwach- und Angriffspunkte offenzulegen.

Wenig netzpolitische Lichtblicke, viele Teilnehmer

Als jemanden, der einen Ansatzpunkt gegen NSA-Überwachung gefunden hat, wurde der österreichische Jurist Max Schrems fast schon als Popstar empfangen. Seine Klage hatte das Safe-Harbor-Abkommen zwischen den USA und Europa gekippt – einer der wenigen netzpolitischen Lichtblicke des Jahres. Auch wenn Schrems selbst wenig Zweifel daran ließ, dass sein Erfolg erst ein Anfang ist.

Abgefeiert wurde auch – allen Problemen in diesem Jahr zum Trotz – das Anonymisierungsnetzwerk TOR, ohne das kaum ein Vortrag auf dem Kongress auskommt. Doch auch ihre Vorträge verdeutlichten: Die Probleme, für die Hacker sich zuständig fühlen mögen, wollen einfach nicht weniger werden. Technische Entwicklungen beschleunigen sich zunehmend. Und: Geheimdienste und autoritäre Regime aus aller Welt sind auf das Tun oder Wirken längst aufmerksam geworden, schauen zu und halten dagegen.

Sie hacken EC-­Karten-Lesegeräte, Herzschrittmacher und den Zugverkehr – und untermauern, was für eine wichtige Rolle sie längst erfüllen

Wobei es zum Scheitern verurteilt ist, dieses bunte Woodstock für Hacker, das auf 12.000 Teilnehmer angeschwollen ist, zusammenfassen zu wollen. Einerseits präsentiert sich der Club in diesem Jahr politisch und bemüht um gesellschaftliche Einflussnahme – schon mit der Wahl seiner Eröffnungsrednerin, Fatuma Musa Afrah, die sich selbst als technikfern bezeichnete und von ihrem Ankommen als Geflüchtete in Deutschland berichtete.

Andere Hacker konzentrieren sich lieber auf Code und Technik, verstehen den Kongress eher als Klassentreffen, definieren Zugehörigkeit zur Gemeinschaft primär über IT-Skills. Und kultivieren damit ein Stück weit auch selbst eine Art „Gated Community“. Das Ausbrechen aus ebenjenen, allerdings eher im Sinne von geschlossenen System, wie sie Apple, Facebook und viele andere Hard- und Softwarehersteller errichtet haben, hatte der Chaos Communication Congress 2015 zum Motto gemacht.

Doch auch am Problem der Zugänglichkeit arbeitet der Club bereits – mit einer erstaunlich engagierten Nachwuchsarbeit – vom Junghackertag, bei dem Kinder und Jugendliche selbst loslöten und -coden, bis hin zum Chaospaten-Projekt, das Neulingen beim Hackertreffen den Einstieg erleichtern soll. Beides Angebote, die von Anfragen überrannt wurden. Weil es eben auch hier noch sehr, sehr viel zu tun gibt.

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