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Chantal Mouffe über Demokratie„Populismus kann progressiv sein“

Kann es einen guten linken Populismus geben? Der populären Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe zufolge schon. Den Konsens der Mitte lehnt sie ab.

Die belgische Politikwissenschaftlerin und Professorin Chantal Mouffe Foto: imago/Hartenfelser
Tania Martini
Interview von Tania Martini

Den Konsens kritisiert sie ebenso wie den radikalen Bruch: Chantal Mouffe und ihr verstorbener Mann Ernesto Laclau haben seit ihrem Buch „Hegemonie und radikale Demokratie“ (1985) großen Einfluss auf linke Ak­ti­vis­t*in­nen genommen. Podemos, Syriza, La France Insoumise beziehen sich auf sie, einige ihrer prominenten Mitglieder sind ihre Freunde.

Dem Liberalismus wirft Mouffe vor, das zwangsläufig konflikthafte Wesen des Pluralismus zu verkennen. Politik sei der Kampf um Hegemonie. Nun wartet die Theoretikerin der radikalen Demokratie mit dem Plädoyer für einen linken Populismus auf, der sich stellenweise wie das Programm für Sahra Wagenknechts „Aufstehen“-Bewegung liest. Querfront oder Emanzipation? Wir sprachen mit Chantal Mouffe am Rande des Humanities-Festivals in Wien.

taz: Madame Mouffe, Sie sagen, wir leben in einer postpolitischen Zeit. Man könnte auch das Gegenteil annehmen.

Chantal Mouffe: Was ich postpolitisch nenne, ist die Tatsache, dass die Bürger nicht mehr zwischen unterschiedlichen Konzepten wählen können. Es gibt keine Unterschiede mehr zwischen Mitte-links und Mitte-rechts. Das ist wie eine Wahl zwischen Coca-Cola und Pepsi-Cola. Demokratie muss agonistisch sein, es muss Konfrontation ­geben und damit auch die Möglichkeit der Wahl. Wir haben einen Konsens der Mitte und der ist schlecht für die Demokratie. Das habe ich schon 2005 formuliert.

Zur dritten Amtszeit Tony Blairs.

Ja, Blairs dritter Weg, Giddens „Beyond Left and Right“ – politische Kontroversen wurden als überwunden erklärt. Alle bewegten sich in die Mitte und präsentierten sich als Mitte-links, Blair wollte den Thatcherismus mit menschlichem Antlitz. Sie hatten die rechte Hegemonie des Thatcherismus akzeptiert. Alle, die auf einen Bruch mit dem Thatcherismus gehofft hatten, waren enttäuscht worden. Was in der Zivilgesellschaft passierte, hatte nicht die Möglichkeit, sich in verschiedenen Alternativen auszudrücken. Das nenne ich postpolitisch. Alternativlosigkeit ist gefährlich für die Demokratie, das führt zu Enthaltung oder schafft das Terrain für Populismen. Leider war meine Vorhersage richtig. Damals gab es nur zwei Rechtspopulisten, Haider und Le Pen, heute sind sie in ganz Europa.

Er erinnert alles, was kaum wundert, kennt das Trauma doch kein Außen; es ist reine Immanenz, und diese traurige Tatsache zeigt das Buch sehr gut

Und ein neuer Populismus von links soll das ändern?

Der populistische Moment ist eine Reaktion auf die Postdemokratie. Populismus kann regressiv oder progressiv sein.

Im Interview: Chantal Mouffe

Chantal Mouffe, geb. 1943 in Charleroi, ist Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster in London. Ihr postmarxistischer Theorieansatz steht in der Tradition Antonio Gramscis und des Poststrukturalismus.

Wichtige Werke: „Hegemonie und radikale Demokratie“ (dt. 1991); „Das demokratische Paradox“ (dt. 2008), „Über das Politische“ (dt. 2007)

Den regressiven sehen wir täglich. Es fällt mir schwer, mir einen progressiven vorzustellen.

Schauen Sie in die 1930er Jahre. Karl Polanyi hat die Widerstände gegen die erste Globalisierungswelle studiert, sie waren entweder regressiv und führten zum Faschismus und Nazismus oder progressiv und führten zum New Deal eines Franklin D. Roosevelt. Wir erleben gerade etwas sehr Ähnliches. Die Gesellschaften wehren sich gegen die Folgen des Neoliberalismus.

Andererseits wollen Sie ausgerechnet von Margaret Thatcher, der Mutter der neoliberalen Revolution, lernen.

Genau. Im Gegensatz zur Labour Party war sie sich des konfrontativen Wesens der Politik sehr bewusst. Ihre Strategie war eindeutig populistisch. Sie zog eine Frontlinie zwischen den „Kräften des Establishments“ auf der einen Seite und den einfachen Leuten auf der anderen. Deshalb war sie erfolgreich. Heute gibt es eine Rückkehr von Konflikten durch all jene Widerstands­bewegungen, die ich die Anti-Establishment-Bewegungen nenne, deshalb spreche ich von einem ­populistischen Moment.

Das Buch

Chantal Mouffe: „Für einen linken Populismus“. Übers. v. R. Barth. Suhrkamp, Berlin 2018, 111 Seiten, 14 Euro

Sie sprechen auch von Postdemokratie.

Ja, das Postpolitische ist nur ein Aspekt der Postdemokratie. Unsere Gesellschaften sind natürlich immer noch demokratisch, aber die zentralen Eigenschaften der Demokratie, das Prinzip der Gleichheit und die Souveränität des Volkes gibt es nicht mehr.

Wie verhält es sich genau mit der Souveränität?

Das betrifft den Aspekt des Postpolitischen, das Fehlen von Alternativen. Aber seit der Finanzkrise 2008 gibt es einen weiteren Aspekt, nämlich die Oligarchisierung unserer Gesellschaft: Sie stellt das Ideal der Gleichheit radikal in Frage.

Dass die Menschen den Rechten zulaufen, interpretieren Sie als Folge des Neoliberalismus. Aber weil Sie Haider und Le Pen nannten: Die haben doch auch immer radikal marktliberal argumentiert.

Ja, das stimmt, viele rechtspopulistische Bewegungen widersprechen nicht wirklich dem Neoliberalismus, aber dennoch sind sie eine Reaktion gegen die Postdemokratie. Postdemokratie ist eine Konsequenz des Neoliberalismus, aber das erkennen die Rechtspopulisten nicht unbedingt. Sie sagen, die Postdemokratie sei eine Folge der Migration. Nur linke Populisten erkennen, dass der Feind, die Kräfte des Neoliberalismus sind.

Sie sagen aber auch, ein linker Populismus dürfe gewisse Dinge nicht den Rechten überlassen: Die Kategorien Volk und kollektiver Wille finden Sie keinesfalls problematisch, im Gegenteil, ebenso die Idee eines charismatischen Anführers.

Im Sinne eines linken Populismus ist das Volk keine empirische Referenz, es ist eine politische Kategorie – es ist immer eine Konstruktion.

Dennoch ist das Volk ohne den Rekurs auf eine ethnische Gemeinschaft oder die Nation nicht zu haben.

Natürlich wird bei einigen der Begriff immer eine ethnische Dimension haben. Bei Marine Le Pen bedeutet er etwas anderes als bei Jean-Luc Melenchon, bei ihm gibt es keine ethnische Dimension.

Und wie ist die Idee eines kollektiven Willens mit der Heterogenität der Kämpfe vereinbar?

Das ist die größte Herausforderung für den linken Populismus. Bereits in den 1980ern schrieben Ernesto Laclau und ich, emanzipative Politik dürfe sich nicht auf die Arbeiterklasse beschränken, wir waren damals sehr besorgt, weil die neuen sozialen Bewegungen, nicht berücksichtigt wurden. Heute stehen wir vor einem ähnlichen Problem. Wegen der Oligarchisierung unserer Gesellschaft gehen viele Forderungen vom Prekariat aus. Tatsächlich sind wir heute, im Postfordismus, alle in einem viel stärkeren Ausmaß als noch im Fordismus von der Logik des Kapitalismus betroffen, in der Zwischenzeit wurde sogar der Wohlfahrtsstaat abgebaut. Ein linker Populismus muss eine Vielzahl heterogener demokratischer Forderungen, antirasstische, ökologische etc., bündeln und die Herauskristallisierung eines kollektiven Willens anstreben, der von gemeinsamen Affekten getragen wird. Alle, die dem Linkspopulismus kritisch gegenüberstehen, bemängeln, dass dazu ein charismatischer Führer nötig sei und darin eine autoritäre Dimension läge.

Ja. Und was antworten Sie?

Es muss sich dabei nicht zwangsläufig um ein Individuum handeln, es können spezifische Forderungen sein, die zum Symbol aller anderen Forderungen werden. Solidarność wurde zum Symbol für viele verschiedene Forderungen gegen den Totalitarismus. Oder nehmen Sie „Ni una menos“ in Argentinien, diese Feministinnen kämpfen auch für die Rechte der Immigranten, für die Arbeiterklasse. Das Bild des Anführers ist wichtig, wenn es um Affekte in der Politik geht. Das ist eine Frage der Identifikation. Der Anführer kann auch ein Primus inter Pares sein.

Da drückt sich für mich eher ein vertikales Politikverständnis aus, das mit dem Rekurs auf die Masse verbunden ist – eine politische Form, die in die Phase des Fordismus gehört.

Nein, ich bin dezidiert kritisch gegenüber der Vorstellung von Homogenität. Die demokratischen Ansprüche stimmen nicht notwendigerweise überein, sie können gar in Konflikt zueinander stehen. Man muss eine „Äquivalenzkette“ zwischen den verschiedenen Ansprüchen bilden, um sie in Forderungen zu verwandeln. Meine Überlegungen basieren auf der dissoziativen Sichtweise des Politischen als Feld des Konflikts und des Antagonismus. Es kann nicht darum gehen, einen rationalen Konsens zu etablieren, das ist nicht möglich.

Aber nicht im Sinne Carl Schmitts, der glaubt, der konstitutive Konflikt führe zwangsläufig in die Selbstzerstörung der liberalen Demokratie.

Nein, das Ziel ist, den Dissens auf eine Weise zu managen, die nicht zum Bürgerkrieg führt.

Einige Linkspopulisten machen die so genannte Migrantenproblematik zum Thema, ist das nicht Wasser auf die Mühlen der Rechten?

Ich bin mir da nicht sicher, bei Podemos sehe ich das nicht und ich weiß nicht, was in Deutschland gerade geschieht, um ein Urteil zu fällen. Die Libération hat sich neulich genau angeschaut, was Wagenknecht genau sagt, und in der Tat gibt es nichts, was klar als Antimigrationsposition gesehen werden kann. Ich denke nicht, dass die Alternative entweder keine Grenze oder Antimigration ist. Wir sollten nicht in die Falle tappen, die Frage der Einwanderung als ein Entweder-oder zu stellen.

Sie sagen, Marine Le Pen sei keine rechtsextreme Politikerin.

Ich glaube nicht, dass es Grund zur Annahme gibt, dass Marine Le Pen, käme sie an die Macht, die repräsentative Demokratie abschaffen würde, obschon sie die Demokratie einschränken würde, klar. Ich bin sehr kritisiert worden für die Behauptung, die rechtspopulistischen Parteien seien keine faschistischen Parteien und keine extrem rechten Parteien. Das Ziel der extremen Rechten ist es, die repräsentative Demokratie zu Fall zu bringen und ein völlig anderes System zu schaffen. Die extreme Rechte benutzt Gewalt, keine Wahlen.

Vielleicht ist der Plan weniger der Putsch als das langsame Sterben der Demokratie.

Ich erinnere mich, dass es in Italien einen Moment gab, als die kommunistische Partei sehr wichtig war, das demokratische Spiel spielte und einige sagten, das sei bloß Heuchelei. Wenn sie an die Macht kämen, würden sie einen totalitären Staat gründen. Das ist eine konspirative Sichtweise. In Skandinavien etwa sind einige Rechtspopulisten in einer Regierungskoalition, ich glaube nicht, dass ihr Ziel ist, eine Diktatur zu etablieren.

Aber es gibt Verbindungen zwischen gewalttätigen Gruppen auf den Straßen und Rechtspopulisten in Parlamenten.

In Frankreich und Großbritannien gibt es auch eine extreme Rechte, aber es sieht nicht so aus, als würden sie sich zur Wahl stellen. Das sollte man auch nicht zulassen. Auch die FPÖ ist keine Neonazi-Partei. Natürlich sind einige rechtsextrem, aber die Art, diese Parteien zu stigmatisieren, ist eine Strategie, um sich selbst als gute Demokraten zu präsentieren und den Rechtspopulismus als moralische Krankheit abzutun. Die anderen für Rassisten, Sexisten und Homophobe zu halten ist eine einfache Strategie für die sogenannten guten Demokraten, um keine Selbstkritik üben zu müssen.

Wen meinen Sie?

Der Erfolg des Rechtspopulismus ist die Folge des Verzichts der Sozialdemokraten auf die Arbeiterklasse. Es ist viel einfacher für sie, den Rechtspopulismus zu einem natürlichen Phänomen zu machen, wie das Wetter, für das es keine rationale Erklärung gibt.

Sie sagen eine Konfrontation zwischen linkem und rechtem Populismus voraus. Mir scheint eher, dass die Grenzen da zunehmend verschwimmen.

Ja, aber auf der anderen Seite ist es interessant, diese antipopulistische Hysterie zu sehen.

Hysterie? Von wem?

Von denen, die versuchen, den Status quo zu verteidigen, und alle Menschen, die den vorherrschenden Konsens kritisieren, als Antidemokraten diskreditieren. Seit 2008 bröckelt die neoliberale Hegemonie, das macht einige nervös, wir müssen verstehen, dass das Problem die Postdemokratie ist. Deshalb sage ich, dass die Widerstände gegen die Postdemokratie originär demokratisch sind.

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14 Kommentare

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  • Tolle Frau.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Der Begriff der Volkssouveränität ist durch weitere demokratische Defizite gekennzeichnet. Er unterstellt zum



    einen, dass die Reichweite seiner Entscheidungen mit den territorialen Grenzen kongruent ist. Dies entspricht nicht der Tatsache



    – die meisten OECD-Staaten greifen mit ihren «demokratischen» Entscheidungen weit über



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    restriktiver Registrierungsvorgang notwendig; ..."

    Prof. Alex Demirovic in "Radikale Demokratie und Sozialismus"



    www.rosalux.de/fil...ale_Demokratie.pdf

    • @85198 (Profil gelöscht):

      "«demokratischen» Entscheidungen weit über ihre Grenzen hinaus."

      Ja, Eigentumserwerb.

      "die folgenreiche Eingriffe in das Leben von Menschen jenseits der Staatsgrenzen erlauben"

      Das ist aber schon für Deutschland von ihm ausgehend möglich, seit es das GG gibt.

      Für mich die Alternative: das Private schwächen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Mir ist es völlig unklar, wie man die Kategorie des Volkes konstruieren will ohne strategisch/strategisierenden Ausschluss von Menschen, die vermeintlich nicht dazugehören.



    Außerdem ist mir nicht klar, wie man gleichzeitig davon ausgehen kann, Politik sei ein Kampf um Hegemonie und trotzdem von kollektivem Willen sprechen kann. Das ist doppelzüngig und entweder ist das eine oder das andere eine offensichtliche Lüge.



    Das Übertreiben und Schönreden, also die Lüge, ist Kern populistischer Politik. Dass die Versprechen nicht einzuhalten sind hat fatale Konsequenzen. Das gilt nicht nur für Länder wie Venezuela, sondern auch für den New Deal:

    Bankenrettung: Anstatt das Geld abzuschaffen und radikale Demokratie zu üben, treten die Bürger und der Staat als Bürgen der Banken auf. Nicht nur ist dies ein Steuergeschenk an die Reichen und eine Umverteilung des Wohlstandes von unten nach oben. Weil ein dysfunktionales System auf diese Weise erhalten wird, sorgt diese Politik langfristig für eine so starke Verflechtung von Banken und Industrie, dass heute der Kapitalismus schon quasi nicht mehr existiert, weil das Gros der Banken gar nicht pleite gehen d a r f !



    In der kapitalistischen Krise sollte statt dessen die Produktion beschränkt werden durch Senkung der Arbeitszeit und die Überproduktion eingeschränkt werden durch Verschenken der Produkte.

    Geldpolitik: Aber anstatt das Gold, das es zu viel gab, einfach in der Bevölkerung zu verteilen, mussten die Eigentümer es an die Federal Reserve verkaufen. Für den Rest verbliebenen Goldes wurde der Preis weit über Marktwert festgelegt. Ein weiteres Geschenk für die Reichen.

    Finanzmarktregulierung: Regulierungsmaßnahmen erhöhen das Vertrauen in Banken und Börse exakt bis zur nächsten kapitalistischen Krise.



    Das ist aber kein langfristig funktionierender Umgang mit der Krise des Kapitals, weil die Politik nicht bei jeder Krise neue Regulierungen erfinden kann, ohne dass irgendwann die kapitalistischen Liberties abgeschafft werden.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Es gibt also notwendigerweise immer wieder Zeiten (Krisen), in denen Deregulierung stattfindet, sonst wird der liberale Kapitalismus zur Quasi-Planwirtschaft wie in China.

      Überhaupt nutzen die Regulierungen weiter hauptsächlich denen, die viel Kapital zum Investieren haben.

      Die Maßnahmen für den sog. fairen Wettbewerb wurden zwei Jahre später für verfassungswidrig erklärt. Dass Unternehmen sich freiwillig zu Fairness verpflichten sollten, ist auch ein Hohn für alle, die nicht das "Glück" haben, von einem "guten Kapitalisten" ausgebeutet zu werden. Das entspricht der Wirtschaftspolitik von CDU und FDP.

      Ferner wurden etwa Bauern dafür bezahlt, weniger zu produzieren, ähnlich wie jetzt in der EU. Dass Besitzende für das Besitzen belohnt werden, zynischer geht es kaum. Das bedingungslose Verschenken der Überproduktion wäre progressiv.

      Beim New Deal wurde kein öffentlicher Wohnungsbau gefördert, sondern Eigenheimbau. Ein Subventionierungsprogramm für Bauunternehmer und Gutverdiener. Das entspricht der Politik in der BRD bis heute.

      Die Schutzzölle des New Deal verschärften außerdem die Weltwirtschaftskrise. Bilaterale Handelsverträge abzuschließen ist genau das, was auch ein Trump jetzt will.

      Alles in allem hat der New Deal mehr mit der destruktiven (neoliberalen oder besser postliberalen) Politik der letzten Jahre gemein und mit der Umverteilung von unten nach oben.

      Ich kann nicht sehen, dass das besonders progressiv war (eher war es besonders mittelmäßig). Mit radikaler Demokratie hat das schon gar nichts zu tun.

      Die sozialen Zugeständnisse des Second New Deal gingen damals auch nicht weiter, als es die Erhaltung des Systems (des Reichtums der kapitalistischen Klasse) unbedingt erforderte. Hartz IV ist blanker Luxus dagegen. Da hat immerhin jede*r Mensch mit legalem Aufenthaltsstatus einen Anspruch drauf.

      Das Arbeiter das Recht erhielten, sich in Gewerkschaften zu organisieren, ist eine mittelmäßige Selbstverständlichkeit, progressiv ist das auch nicht.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        "sonst wird der liberale Kapitalismus zur Quasi-Planwirtschaft wie in China."

        Was soll denn daran schlimm sein? :-)

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        Nur noch zum Begriff der "Postdemokratie" und der vermeintlichen Abschaffung der Wahlmöglichkeiten:

        Selbstverständlich gibt es Wahlmöglichkeiten. Nur eben nicht in der vermeintlichen Mitte.



        Was mich dazu bringt, dass die meisten Menschen gar nbicht wählen wollen. Sie wollen, dass ihnen die Politik die Wahl abnimmt und nennen das "Vernunft", "freien Diskurs" oder eben "Mitte".



        Neuerdings kann man eine Alexa kaufen, damit man sich nicht mehr entscheiden muss, wo man einkaufen geht. Bald wird auch das vollautomatisch erledigt.



        Google nimmt einem bei der Internetsuche das Wählen ab, wenn man nicht die Cookies nach jedem Besuch löscht. Nahezu jede*r Mensch benutzt diese Software.



        Facebook und andere asoziale Netzwerke nehmen den Menschen das Wählen ab.

        Wenn es zwei Parteien mit wahrnehmbar verschiedener Politik in der sog. Mitte gibt, wechseln sich höchstwahrscheinlich auch immer wieder die Fraktionen in der Regierungsbildung ab, sodass eine langfristige Politik in eine demokratisierende Richtung auch unmöglich gemacht wird.

        Ich ziehe eine Dekonstruktion von "Demokratie" gegenüber der Konstruktion einer "Postdemokratie" vor.

        Ich empfehle den Diskurs zwischen Habermas und Derrida.



        Bei aller praktischer Einigkeit in vielen Punkten könnten die Positionen kaum verschiedener sein.

        Während Habermas, wenn er seine Philosophie konsequent durchsetzen würde, jedes Gespräch mit Derrida verweigern müsste, betont dieser, dass Habermasianer auch nicht wissen können, was oder dass Demokratie "ist", denn dies steht laut ihrer eigenen Annahme am Ende des Diskurses und wer stellt das dann fest?

        Derrida will nicht sagen, dass Demokratie "ist", sondern dass sie "wird" oder besser gleich von (Ent-)Demokratisierung zu sprechen.

        Durch die historische Pfadabhängikeit der Entscheidungen hat jede Demokratie eine totalitäre Tendenz. Die Frage ist, ob die demokratisierende Tendenz stärker ist. Insofern, dass Linkspopulismus auf strategischem Ausschluss beruht, habe ich diesbezglich Zweifel.

        • 8G
          85198 (Profil gelöscht)
          @85198 (Profil gelöscht):

          "Schauen Sie in die 1930er Jahre. Karl Polanyi hat die Widerstände gegen die erste Globalisierungswelle studiert, sie waren entweder regressiv und führten zum Faschismus und Nazismus oder progressiv und führten zum New Deal eines Franklin D. Roosevelt. Wir erleben gerade etwas sehr Ähnliches. Die Gesellschaften wehren sich gegen die Folgen des Neoliberalismus."

          Und zuletzt: Was Frau Mouffe hier verschweigt, ist, dass die Handelnden nicht "die Gesellschaften" sind, sondern konkrete Menschen. Dazu gehören die Syndikalisten und Regionalisten, die etwa im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft haben und derer es auch in der Weimarer Republik viele gab.



          Es ist die Unwahrheit, wenn sie sagt, es gäbe da nur ein Entweder-Oder zwischen Faschismus und New Deal.

          Nach Walter Benjamin soll die historische Wissenschaft die zerbrochene Zeit kitten (nach Bloch: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen), indem sie der unterdrückten Geschichte zur Wahrnehmung verhilft.

          Genau das Gegenteil macht hier Frau Mouffe, sie tut so, als gäbe es diese unterdrückte Geschichte gar nicht.

  • Lange Rede, Kurzer Sinn!

    Was die Frau uns sagen will ist schlicht und einfach, die Neoliberale Politik hat versagt, auf Grund dessen, dass sie die vermehrte Bildung der Oligarchie zugelassen hat und nun kein Mittel in der Hand hat dies wieder Rückgängig zu machen!



    Weder die äußerst Linken, noch die äußerst Rechten haben in ihrem Populismus auch nur ansatzweise eine Lösung in ihren sehr dürftigen Programmen und wissen auch nicht, wie sie mit Regierungsverantwortung umgehen müssten!



    Niemand weiß etwas, niemand kann etwas und niemand weiß was er eigentlich will!

    Um das rauszufinden muss man weder Professor, noch sonst ein Gelehrter sein, man muss nur den täglichen Kampf der Politik um die Deutungshoheit verfolgen, um zu sehen, dass die Probleme dieser Welt nicht einfach mit ein paar Floskeln von Links oder Rechts, oder der Koalition dieser Richtungen zu lösen sind!

    Solange die Protagonisten der Richtungen Links, Mitte und Rechts weiterhin vermeiden wollen, auf die Bedürfnisse der Wählenden einzugehen, wird es keine wirklich vom Volk ausgehende Veränderung geben!

    Dieses "Herum Doktern" an den Problemen der Bevölkerung, ohne verändernde Konsequenzen tragen zu



    durchzusetzen, würde es keinem der Richtungen erlauben, eine längere Zeit an der Regierung zu bleiben, denn die Menschen sind es leid, weiterhin als Mittel zu Zweck missbraucht zu werden!

    Die Gefahr darin besteht, sollte die Rechtsextreme Ausrichtung in den Genuss der Regierungsbildung kommen, besteht die Gefahr, bei Wählerverlust, die Macht mittels Gewalt Aufrecht erhalten zu wollen, sicher höher einzuschätzen ist, als bei den Linksradikalen!

    Zu erklären ist dies, durch den hohen Anteil bei den Rechten von Nazis und gewaltbereiten Identitären Gruppierungen, die schon jetzt durch Gewalt gegen Andersdenkende auffallen, so wie bei der AFD, die mit Nazis und nazistischen Gruppen an Demonstrationen gegen Migranten und anderen Minderheiten teilnimmt und dies durch Notwehr wegen Rechtsstaatsversagen rechtfertigt!!!

  • Toll, dann können linke und rechte Populisten ja koalieren....



    In Griechenland versuchen sie es ja gerade schon.....



    oder sie machen gleich eine gemeinsame Partei auf

    • @Bernhard Hellweg:

      Nein. Dazu hier im Interview:



      „Schauen Sie in die 1930er Jahre. Karl Polanyi hat die Widerstände gegen die erste Globalisierungswelle studiert, sie waren entweder regressiv und führten zum Faschismus und Nazismus oder progressiv und führten zum New Deal eines Franklin D. Roosevelt.“



      Und:



      „…viele rechtspopulistische Bewegungen widersprechen nicht wirklich dem Neoliberalismus, aber dennoch sind sie eine Reaktion gegen die Postdemokratie. Postdemokratie ist eine Konsequenz des Neoliberalismus, aber das erkennen die Rechtspopulisten nicht unbedingt. Sie sagen, die Postdemokratie sei eine Folge der Migration. Nur linke Populisten erkennen, dass der Feind, die Kräfte des Neoliberalismus sind.“



      Im deutschen Fall der AfD sind die Rechtspopulisten sogar eher die Speerspitze des Neoliberalismus. In Österreich kaum anders, Schweiz ebenso. Nix mit koalieren.

  • Ein wirklich bemerkenswertes Interview. Danke dafür an Tania Martini.



    Madame Mouffe formuliert als Folge analytischer Klarheit und mit präziser Begrifflichkeit Zustände, die viele Menschen fühlen und nicht so auf den Punkt bringen können.



    Ich hoffe, dass sie Recht hat mit der These, dass die neoliberale Hegemonie bröckelt. Das wird vielleicht auch dadurch deutlich, wie verbissen die radikale Mitte diesen „Konsens der Mitte“ verteidigt und damit selbst eine Gefahr für die Demokratie wird. Genau das spricht für eine linke parteiübergreifende Bewegung. Und das erklärt auch den Widerstand gegen #aufstehen, der zum Teil mit harten Bandagen geführt wird. Beruhigend ist, dass man sich in Frankreich mit dem Vorwurf deutscher Vertreter dieser radikalen Mitte beschäftigt hat, ob Sara Wagenknecht quasi rechtspopulistische Thesen vertritt. Dass das nicht der Fall ist, überrascht nicht wirklich. Der Kampf gegen linke Bewegungen wird gerne personalisiert. Siehe auch Corbyn.

    Einen Satz von Madame Muffe möchte ich besonders hervorheben: "Wegen der Oligarchisierung unserer Gesellschaft gehen viele Forderungen vom Prekariat aus.“



    Und auch dies bekräftigt letztendlich die Notwendigkeit einer sozialen Bewegung. Auch hier ist der teils rabiate Widerstand dagegen verständlich.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Für mich vertritt Frau Wagenknecht klassische Thesen, die in den 50ern noch als linke Mitte bezeichnet worden wären. Sie ist für mich Vertreterin ebendieser klassisch sozialdemokratischen Mitte. Für eine dezidiert linke Politik steht sie für mich nicht. Eine solche stützt sich nicht auf das Ressentiment, sondern auf die Kritik.

      Einerseits wollte sie als Teil des kommunistischen Blocks das Produktionskapital in Stiftungen anlegen. Dieses Projekt hat sie aber wohl gegen die Idee einer "Sammlungsbewegung" aufgegeben.



      D.h. einer anderen Sammlungsbewegung, als es die Partei Die Linke ohnehin schon ist.



      Diese Partei wurde schon als "Sammlungsbewegung" von linksorthodoxer bis -radikaler PDS und rassistischer Lafontain-WASG gegründet und Wagenknecht hat nun eine andere "Sammlungsbewegung" gegründet, mit noch explizit rassistischeren Untertönen, was für mich heißt, dass sie nichts mehr in der Partei Die Linke zu suchen hat.

      Wenn man sich zudem ihre Idee mit den Stiftungen anschaut, dann wird auch klar, dass eine Vertreterin des Kapitalismus ist und dass sie noch mehr Wettbewerb will. Sie unterteilt wieder das Kapital in gutes (schaffendes) und böses (raffendes) Kapital. Mit dieser rechten These steht sie näher an den sozialdarwinistischen Populisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ("Heuschrecken") als am Programm der eigenen Partei, die immer noch die Überwindung des Kapitals im Grundsatz stehen hat.

      Zudem ist ihre Vorstellung von diesen Stiftung tendenziell totalitär, weil sie meint autoritär Stiftungszwecke festlegen zu können, über die dann eine Selbstorganisation der Arbeiter nicht hinausgehen darf. Das steht in der Tradition von Platons "Staat" und wiederholt den Fehler des Marxismus, anzunehmen, es gäbe "einen Gebrauchswert" und nicht Gebrauchswerte (im Plural).

      Somit gibt es dann magischerweise auch keine Interessenkonflikte mehr und schwupp-diwupp hat sie ein "Volk" konstruiert, mit "Volkswille" und Leitkultur.



      Wie soll das noch dezidiert links sein?

    • @Rolf B.:

      Stimme zu. Bis auf das Zitat. Vom Prekariat ausgehende politische Forderungen, die sich, abgesehen von der Arbeitsmigration, dezidiert gegen die neoliberale Ordnung richten, sehe ich nicht wirklich.