Changemakerin Céline Keller im Porträt : Trotzdem bunte Bilder gegen rechts
Céline Keller recherchiert rechtslibertäre Strukturen, ideologisches Gedankengut und Tech-Milliardäre und macht daraus Widerstands-Comics.

taz FUTURZWEI | „WARNUNG: Zu lernen, lebendig zu werden und zusammenzuarbeiten, kann für Menschen genauso herausfordernd sein wie für Zombies, die in einer Kultur der hirntoten Konkurrenz und des Konsums aufgewachsen sind. Denken Sie daran und versuchen Sie, sich nicht gegenseitig zu beißen.“
Diesen versteckten Hinweis auf der Homepage von der Comiczeichnerin und Illustratorin Céline Keller zu verstehen, mag erst recht herausfordernd sein. Wir versuchen es – gemeinsam und ganz ohne zu beißen.
Keller, 48, reiste einst nach Buenos Aires, zeigte dort ihren ersten Animationsfilm und blieb einfach sechs Jahre dort. Drei Erkenntnisse jener Zeit bilden bis heute den Antrieb ihres Tuns.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°32: Wozu Kinder?
Kinder und Jugendliche sind die politisch ignorierteste Randgruppe der Gesellschaft. Dabei muss diese Minigruppe demnächst die vielen Renten bezahlen und den ganzen Laden am Laufen halten. Was muss sich ändern?
Mit Aladin El-Mafaalani, Marlene Engelhorn, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Robert Habeck, Celine Keller, Wolf Lotter, Lily Mauch, Luisa Neubauer, Henrike von Scheliha, Stephan Wackwitz und Harald Welzer.
Erstens: Wenn die Inflation galoppiert, die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, staatliche Unternehmen und Gemeingüter privatisiert werden, ist es höchste Zeit, sich zu politisieren.
Zweitens: Zombies und Cyborgs eignen sich hervorragend als Metaphern für Gesellschaftskritik.
Drittens: Das Internet ist super, denn es bedeutet Freiheit, Demokratie und Zugang zu Wissen.
Internet als Utopie und Enttäuschung
„Ich habe nicht studiert, für mich war das Internet Zugang zu Wissen, das man teilen kann“, erinnert sich Keller während des Zoom-Calls und zieht ihre blaue Wollmütze tiefer in die Stirn. Twitter sei schon damals ihr wichtigster Kanal gewesen, weil sie dort Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen folgen und kennenlernen konnte, die sie im analogen Leben niemals getroffen hätte.
Bald aber musste Keller erkennen, dass das Internet gar nicht so gemeinschaftsorientiert war, wie immer behauptet wurde, sondern dass eine starke Verbindung zwischen Kapitalismus und dem Internet existierte: „Die befreiende dezentrale und communitybasierte Infrastruktur, das waren doch nur Narrative, die obendrauf gepackt wurden, um das Gegenteil untendrunter zu machen.“
Zurück in Deutschland gab es für Keller lediglich Job-Angebote aus der Werbebranche, was sie auf keinen Fall wollte: „Dieses ganze Geld, was da für totalen Bullshit verbraten wird. Ich musste irgendwie anders durchkommen. Ich musste etwas tun, das Sinn macht. Das war für mich letztendlich lebensnotwendig.“
Zur eigenen Position des Engagements
Sie schloss sich den Umweltaktivist*innen von Extinction Rebellion Deutschland (XR) an, übernahm ein Jahr lang deren Twitter-Account und half, die Bewegung zu vernetzen. Keller lernte dort viele mutige Menschen kennen, darunter auch Carola Rackete, stellte aber für sich selbst fest:
„Ich bin niemand, der auf die Barrikade oder zu Demos geht. Ich habe Angst vor Polizeigewalt. Aber es gibt auch für jemanden wie mich, die nicht so mutig ist, trotzdem Möglichkeiten, etwas Sinnvolles zu tun.“
Heute hat Keller ihre Form des Engagements gefunden. Auch wenn dieses nicht auf der Straße oder auf dem Mittelmeer stattfindet, sondern auf dem väterlichen Bauernhof in Hessen, wo sie ihr „Schneckenhaus“ eingerichtet hat. „Ich war und bin nämlich schon immer ein einsames Landei“, lacht Keller und hebt die Kaffeetasse zum Wohl.
Comics zur Ökologie und Ökonomie
Von dieser Position aus erzählt Keller in ihren Comics Geschichten über die Vereinnahmung der Cyborgs von reichen und mächtigen Männern und den Zombies, die uns helfen werden, die Human Rights für alle Menschen zu erkämpfen.
Aber insbesondere interessieren sie die Themen Klimaschutz, ökologische und soziale Gerechtigkeit. Beispielsweise dreht sich Discourses of Climate Delay (2021), das auf einer Studie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) beruht, um kursierende Verschleppungs- und Verzögerungsstrategien, die verhindern, Klimaschutzmaßnahmen wirklich umzusetzen.
Dana Giesecke ist die wissenschaftliche Leiterin der Stiftung FUTURZWEI. Sie studierte Soziologie mit kultursoziologischem Schwerpunkt, Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Dresden und Wissenschaftskommunikation und -marketing an der Technischen Universität Berlin. Regelmäßig begleitet sie für taz FUTURZWEI "Changemaker" in der gleichnamigen Rubrik.
In Dawn of the ECT (2022) deckt Keller anhand von Fallbeispielen die Macht der fossilen Energiekonzerne auf und zeigt, warum der Energiecharta-Vertrag verhindert, dass Klimaschutzziele erreicht werden. Ihr jüngstes Werk Wer hat Angst vor Degrowth? (2024) handelt von den Missverständnissen über Postwachstum und wer dafür sorgt, dass sie aufrechterhalten werden.
Und immer und immer wieder verfolgt Keller das Geklüngel der Tech-Broligarchen mit dem Atlas Network, einem weltweiten Zusammenschluss aus libertären Thinktanks und Stiftungen, sowie Trumps Project 2025. „Die wollen die Welt komplett anzünden und zwar mit durchgedrücktem Gaspedal“, sagt Keller. „Das haben die schon lange gemacht, doch jetzt schämen sie sich nicht mal mehr dafür.“
Akribie und Komplexität
Jede Behauptung, jedes Zitat – darauf legt Keller großen Wert – ist mit genauer Quelle versehen. So ist jede einzelne Seite rappelvoll, dicht beschrieben und für Leser*innen eine Herausforderung, was Keller durchaus bewusst ist: „Es ist eben nicht einfach, es ist kompliziert. Man fühlt sich schlecht, wenn man es liest. Da verdrängt man lieber.“
Keller selbst schrecken komplexe Inhalte nicht ab, im Gegenteil: Sie ackert sich dort durch, wo anderen die Beharrlichkeit fehlt. Sie hat ihre Form gefunden, mit düsteren Themen umzugehen. Gleichzeitig arbeitet sie gegen die allgemeine Oberflächlichkeit an, gegen das Nicht-wahrhaben-Wollen. Und so sortiert Keller täglich das Internet, sie entwirrt es regelrecht und fügt neu zusammen, was wirklich zusammengehört. Zunächst für sich selbst, dann um es anderen in Form von Geschichten weiterzuerzählen.
Während Keller im Netz recherchiert, die Broligarchie auf X trackt und die darunter und dahinter liegenden Ideologien aufdeckt, hat sie noch keinen Comic vor Augen. Sie sichert, ordnet und archiviert zunächst die gesammelten Informationen in ihren Posts auf X, um die Fülle zu beherrschen und um später darauf zugreifen zu können.
Weiter machen, weil es sein muss
Das Zeichnen der Comics, das Übermalen von Zeitungsbildern und Fotografien ist erst der zweite Schritt. Das sei dann pure Kontemplation, eine Art innerer Entspannung von den Wut- und Frustphasen der Recherche auf den Plattformen. Ihr Hund Arthur, ihre zwei Katzen und Spaziergänge in der Natur geben ihr ebenfalls Ausgleich. „Wenn es mir schlecht geht, dann möchte ich am Moos riechen können“, sagt sie.
Alle Themen, denen sich Keller annimmt, sind nicht nur brisant und komplex. Sie können auch Sorgen schüren. Keller entwirrt sie trotzdem. Sie hat es mit gefährlichen Gegnern zu tun. Sie muss es trotzdem machen. „Dieses Trotzdem war als Kind mein Lieblingswort“, sagt sie, und wahrscheinlich bleibt sie deshalb auch trotzdem auf X aktiv.
„Ich geh doch nicht jetzt, wo klar geworden ist, was ich mit meiner Arbeit schon lange dokumentiert habe.“ Pause. „Es ist wirklich nicht schön, wenn man Recht behält. Oh, es ist sogar furchtbar!“
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