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ChancengleichheitAuslandsjahr nicht vorgesehen

Eine Hartz-IV-Aufstockerin organisiert für ihren Sohn ein Auslandsschuljahr. Daraufhin legt ihr das Jobcenter nahe, eine neue Wohnung zu suchen.

Theoretisch sollen möglichst viele SchülerInnen ins Ausland gehen können - praktisch nicht. Bild: dpa

HAMBURG taz | „Es wird überall verbreitet, dass Hartz-IV-Kinder nicht von ihren Eltern unterstützt werden“, sagt Kerstin Wegener*. „Aber wenn man es tut, wird man bestraft.“ Die bildende Künstlerin hat für ihren Sohn ein Auslandsschuljahr organisiert, im Gegenzug hat das Jobcenter Hamburg sie aufgefordert, sich eine neue Wohnung zu suchen. Denn für Kerstin Wegener werde nun die Mietobergrenze für einen Ein-Personen-Haushalt angelegt – und die überschreite sie mit ihrer bisherigen Wohnung um 70 Euro.

Die Organisation des Auslandsjahres für ihren 16-jährigen Sohn Ole* war ein „großes Projekt“ gewesen, ein halbes Jahr lang hatte sie gezögert. Ole war mit seinem Notendurchschnitt von 1,3 auf dem Gymnasium dafür vorgeschlagen worden, die Freunde aus seiner Clique machten alle ein solches Jahr.

Die Hamburger Bildungsbehörde schießt bei Familien mit geringem Einkommen Geld zu, damit „möglichst viele Schülerinnen und Schüler“ eine Schule im Ausland besuchen können. Für Ole hat Kerstin Wegener 5.000 Euro Zuschuss erhalten, außerdem hat sie einen Kredit über 1.400 Euro bei Freunden aufgenommen.

Wie viel Wohnen kosten darf

Laut Hamburger Sozialbehörde dient die Übernahme der Unterkunftskosten "der Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses":

Die Wohnungsmieten der Leistungsberechtigten sollen sich "deutlich innerhalb der Fördergrenzen" bewegen. In Einzelfällen kann es erforderlich sein, diese Grenzen zu überschreiten.

Bei einem Zwei-Personen-Hauhalt liegt die angemessene Nettokaltmiete bei 392,40 Euro.

Bei einer Überschreitung der Angemessenheitsgrenze soll geprüft werden, ob sie "durch Untervermietung oder auf andere Weise (z. B. durch Mietnachlass)" gesenkt werden kann. Ein Wohnungswechsel kommt "als letzte Alternative" in Betracht.

Laut Fachanweisung der Sozialbehörde soll bei einer absehbaren Änderung der Personenzahl "vorzeitig der Höchstwert für die zukünftige Haushaltsgröße zugrunde gelegt werden".

Jobcenter schießt quer

Aber auch wenn die Stadt Hamburg den Empfängerkreis für solche Angebote erweitern möchte – das Jobcenter schießt quer. Es bittet die 53-jährige Wegener zu einem Gespräch wegen eines Mietsenkungsverfahrens. „Ich habe nicht verstanden, was der Mitarbeiter macht“, sagt Kerstin Wegener, die Hartz-IV-Aufstockerin ist.

Denn einerseits sagte der Mitarbeiter, er werde ein solches Verfahren einleiten, andererseits meinte er, dies habe praktisch nichts zu bedeuten. Kerstin Wegener hatte ein ärztliches Attest vorgelegt, nach dem ihr eine Untervermietung aufgrund ihrer psychischen Verfassung derzeit nicht zumutbar sei. Da die Wohnungsmiete leicht über dem zulässigen Satz liegt, zahlte sie die Differenz bislang ohnehin selbst.

Was zumutbar ist

Kerstin Wegener unterschrieb die Empfangsbestätigung für das Schreiben, das ihr der Mitarbeiter im August dieses Jahres aushändigte. Darin stand, dass es ihr zumutbar sei, die Mietaufwendungen zu senken. Das Jobcenter schlug ihr vor, einen Untermieter zu suchen – ansonsten käme „insbesondere ein Umzug in eine günstigere Wohnung in Betracht“.

„Es war ein Schock“, sagt Kerstin Wegener. „Mir wurde bewusst, dass diese Kinder nicht dafür vorgesehen sind, einen Auslandsaufenthalt zu machen.“ Dass ihr Sohn nach dem Auslandsjahr wieder zu ihr ziehen wird, ist für sie selbstverständlich – für das Jobcenter hingegen nicht. „Mein Sohn hat Geld für Apfelbäume in der Stadt gesammelt“, sagt Kerstin Wegener. „Wie soll ich ihm beibringen, dass diese Stadt ihm nun sein Zimmer entzieht?“

Kerstin Wegener – und das unterscheidet sie möglicherweise von anderen Menschen in ihrer Situation – wehrt sich. Sie konsultiert die Hamburger öffentliche Rechtsauskunft (ÖRA), die in einem Brief an das Jobcenter schreibt, dass die Aufforderung zur Kostensenkung aus ihrer Sicht „rechtswidrig“ sei.

Rechtswidriger Vorgang

Und das in mehrfacher Hinsicht: Die Rückkehr des Sohnes in den gemeinsamen Haushalt sei absehbar – und laut Fachanweisung zu den Unterkunftskosten im Sozialgesetzbuch soll bei einer absehbaren Änderung der Personenzahl „vorzeitig der Höchstwert für die zukünftige Haushaltsgröße zugrunde gelegt werden“. Außerdem sei bei einer psychischen Erkrankung, wie im Attest bescheinigt, ein Umzug unzumutbar.

Um dieses Attest zu prüfen, hatte das Jobcenter Kerstin Wegener zum Amtsarzt beim Fachamt für Gesundheit geschickt. Der sei über dieses Vorgehen „schockiert“ gewesen und habe den Befund des Attests bestätigt.

Doch erst nachdem die ÖRA erneut an das Jobcenter schrieb, erklärte dies in einem Schreiben vom November, dass man das Mietsenkungsverfahren ruhen lasse. Und zwar „gemäß des ärztlichen Gutachtens vom Fachamt für Gesundheit“.

Dann heißt es weiter: „Zumal Ihr Sohn im Juni 2014 in Ihre Wohnung zurückkehren wird.“ In anderen Worten: Das gesamte amtsärztliche Verfahren war überflüssig. Kerstin Wegener hat sich monatelang umsonst gefragt, ob das Jobcenter ihr die Leistungen kürzen werde. Denn die von der ÖRA angeführte Fachanweisung bei der absehbaren Änderung der Haushaltsgröße hätte ohnehin gegriffen.

Das Jobcenter erklärt auf Anfrage, dass es gern Stellung genommen hätte – dafür aber den Namen der Kundin sowie eine Vollmacht zur Datenweitergabe gebraucht hätte. Allgemein könne man sich nicht zu dem Fall äußern.

„Ich bin schockiert bei der Vorstellung, wie es Leuten geht, die nicht so einen Beistand haben wie ich“, sagt Kerstin Wegener. Sie wünscht sich, dass auch andere Hartz-Bezieher darauf bestehen, dass ihre Kinder Bildungsangebote wahrnehmen.

* Name geändert

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7 Kommentare

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  • G
    Gast

    Am Ende soll sie sicher auch noch froh sein, dass ihr Sohn überhaupt aufs Gymi darf? So wie andernorts schon passiert, dass die Kinder immer wieder vorgeladen wurden, weil sie ja eigentlich auch in Ausbildung gehen können? Trotz überdurchschnittlich guten Gymnasialnoten und damit wunderbaren Startmöglichkeiten für eine Zukunft ohne HartzIV? Sorry, aber wenn man über soziale Strukturen und Demokratie spricht, dann sollte die Gleichberechtigung für alle gelten. Aber leider gilt es wohl stattdessen noch immer... "alle sind gleich, aber manche sind gleicher". Sicher kann man auch ohne Auslandsaufenthalt eine gute Zukunft haben, aber dass es die eigenen Chancen eklatant verbessert dürfte jedem klar sein.

    Das ist kein Luxusproblem sondern macht uns auch in diesem Punkt zur Zwei-Klassen-Gesellschaft. Wie in so vielen Punkten. "Haste Geld kannst es Dir leisten, auch wenn de doof bist. Haste keins wirst doof gemacht, auch wenn de gescheit bist."

  • A
    Andy

    Wieso aufregen darüber, das ist gängiger Alltag in deutschen Amtsstuben. Den Hilfeempfängern soll doch nicht geholfen werden, sondern sie sollen so billig wie möglich verwaltet werden.

  • M
    Multi

    Frau Wegener wird bei ihren Freunden wohl ein Darlehen aufgenommen haben, Kredite dürfen nämlich nur Banken vergeben. Dieser feine Unterschied ist in Zeiten von großen Finanzkrisen sehr, sehr wichtig.

  • K
    Kimme

    Eine "bildende Künstlerin" mit psychischen Problemen - mehr Klischee geht eigentlich garnicht.

     

    Aber mal abgesehen davon, mach die Dame hier ein Fass auf und stellt dramatisiert die ganze Angelegenheit auf eine Art, die sie garnicht verdient.

    1. Dürfte ihr vom Amt zumindest die ersten sechs Monate weiterhin, die bisher übliche Mietunterstützung gezahlt werden. Diese Schonfrist wird jedem Hartz4-Empfänger und Aufstocker eingeräumt.

    2. Im Anschluss an die sechs Monate müsste die Frau eventuell die Differenz der bisherigen zur nun geringeren Mietförderung aus eigener Tasche tragen. Das ist natürlich unschön aber auch nicht lebensbedrohlich, da sie ja geringere Energie und Verpflegungskosten haben dürfte. Das Amt kann ihr nämlich nur nahelegen eine eine Wohnung zu suchen, sie aber nicht zwingen.

    3. Nach Rückkehr des Sohnes wird der bsiherige höhere Anspruch auf Unterstützung wieder hergestellt.

    • @Kimme:

      Ziemlich viel Quatsch in so wenigen Zeilen...

      1. Von was soll die Frau die höheren Mietkosten bezahlen, wenn ihr Regelsatz gerade mal dem Existenzminimum entspricht?

      2. Dann haben die geringeren Energie- und Verpflegungskosten gar nichts damit zu tun, weil sie die ja gar nicht mehr erhält...

      Also - erst kundig machen - dann posten!

  • K
    Klarsteller

    Bleibt auf dem Teppich. Schule und ein erfolgreiches Studium kann man ganz gut ohne Auslandsjahr durchziehen. Das ist ein Luxusproblem.

  • DS
    Danke SPD

    Die Jobcenter werden als Profit Center geführt. Die Mitarbeiter sind angehalten auch zu solchen Schikanen zu greifen, ansonsten werden die befristeten Arbeitsverträge nicht verlängert. Hier wird nur eine schlecht gestellte Gruppe gegen eine noch schlechter gestellte Gruppe gegeneinander ausgespielt. Vielen Dank liebe SPD und Grünen, das ihr uns diese Hartz-IV Reformen gebracht habt. Das schafft ein wirklich angenehmes sozialdemokratisches Klima. Ich würde gerne Gerhard Schröder dafür täglich in seinen dicken Hintern treten für diesen Schwachsinn.