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Chancen für Quereinsteiger

„Europäischer Computerführerschein“ oder „Webmaster-Zertifikat“? Die Zahl der IT-Abschlüsse wächst. Doch weil Fachleute für die neuen Medien händeringend gesucht werden, zählt das tatsächliche Knowhow mehr als die formale Qualifikation

von CHRISTOPH RASCH

Die New Economy boomt. Wenn schon nicht an der Börse, so zumindest auf dem Markt der Aus- und Weiterbildung. Knapp zwei Milliarden Mark gab die Bundesanstalt für Arbeit (BA) im vergangenen Jahr aus, um 46.000 Arbeitslose in Sachen neue Medien umzuschulen oder weiterbilden zu lassen.

Mit Erfolg: 70 Prozent der Absolventen, so die BA, hätten auch einen Job in der IT- und Medienbranche gefunden. Allein in Berlin finden im Monat rund 300 IT-Fachkräfte einen Job p nur durch die Vermittlung der Arbeitsämter. In der Branche stecke noch immer „sehr viel Bewegung – auch für Quereinsteiger“ heißt es denn auch aus dem Landesarbeitsamt. Experten gehen davon aus, dass aus Mangel an Fachkräften in den nächsten Jahren bis zu 20 Prozent der angebotenen Stellen in der Branche – die boomenden Callcenter eingerechnet – unbesetzt bleiben.

Der Ausbildungsmarkt in der Region hat sich inzwischen darauf eingestellt, das Angebot ist vielfältig: Bildungsinstitute und Firmen bieten inzwischen rund 35 Kurse zwischen drei Tagen und 24 Monaten Dauer an – mit Abschlüssen vom „Europäischen Computerführerschein“ bis zum „Webmaster-Zertifikat“.

Schwierig, dabei den Überblick zu behalten, zumal immer weniger „der formale Bildungsweg und Abschluss zählt“, sagt der Berliner IHK-Präsident Werner Gegenbauer: „Was zählt, ist das tatsächliche Knowhow – egal wie und wo man es erworben hat.“ Unkonventionelle Bildungsangebote sind also gefragt, um neue Zielgruppen für die Branche der neuen Medien zu erschließen.

Ein Beispiel findet sich im Berufsfortbildungswerk (bfw) in Berlin. Bereits kurz nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder im vergangenen Herbst eine Initiative zur Internet-Schulung für Arbeitslose forderte, startete die zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gehörende gemeinnützige Bildungseinrichtung erste Schulungen.

Seit November läuft hier der berufsvorbereitende Kurs für „Neue Medienberufe“. Er richtet sich an arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren und dauert ein Jahr. Neben einem Grundlagentraining in EDV und Gestaltung absolvieren die Teilnehmer hier die gängigen Präsentations- und Multimediaanwendungen.

Man setzt auf Praxisnähe: Die Ausbildung findet in kreativen Kleinprojekten statt, die Ergebnisse wandern in die Bewerbungsmappen der Teilnehmer. Die absolvieren auch ein Praktikum. „Hervorragende Grundlagen für einen anschließenden Berufseinstieg“, sagt bfw-Fachbereichsleiterin Sabine Schnurbusch: Rund 90 Prozent der Absolventen finden später gut bezahlte Medien-Jobs.

Außerdem wächst die Zahl der Weiterbildungsangebote für arbeitslose Frauen. Denn für die „wird eine Vermittlung auf dem ersten Arbeitsmarkt immer schwieriger“, so das bfw, das die Alternative deshalb in so genannten Telearbeitsplätzen sieht. An heimischen Computern sollen EU-weit – so eine Studie der Bundesregierung – eine Million Arbeitsplätze entstehen.

Das Kreuzberger „Frauen Computer Zentrum Berlin“ (fczb) bietet seit 1984 Lehrgänge ausschließlich für Frauen an – öffentlich gefördert und mit „familienfreundlichen“ Unterrichtszeiten. „Unter den Quereinsteigern haben gerade die Frauen gute Chancen“, sagt Kursleiterin Annette Haag. Sie unterrichtet demnächst Frauen im neuen „E-Commerce“-Kurs. „In dem Feld gibt es für arbeitslose Frauen fantastische Möglichkeiten“, schwärmt sie. Rund 70 Prozent der Teilnehmer werden hier erfolgreich vermittelt. Besonderheit des fczb-Kurses: In „Praxisprojekten“ entstehen aus den Konzepten der Teilnehmer reale Medien-Angebote, die sich auf dem Markt behaupten müssen.

An einem anderen Ende der Beschäftigungs-Skala, im akademischen Betrieb, sind Weiterbildungsangebote nicht weniger gefragt – vor allem didaktisch relevante Präsentations- und Web-Publishing-Software: Die Nachfrage nach Ausbildung in Programmen wie Powerpoint oder Sprachen wie HTML oder Javascript „wird sich auch in der nächsten Zeit noch verstärken“, erwartet Diplom-Pädagoge Frank Marks. Marks veranstaltet für die „Arbeitsstelle Hochschuldidaktik“ der Freien Universität Berlin Neue-Medien-Workshops: im Juli wird dort der Einsatz von „Powerpoint in der wissenschaftlichen Lehre“ geprobt, im August wendet man sich im Rahmen einer „Sommer-Universität“ dem „Wissenschaftlichen Schreiben“ zu. Im akademischen Bereich scheint also Nachholbedarf zu bestehen.

Hemmschwellen seien nach wie vor die Zurückhaltung der Lehrenden gegenüber neuen Medien – und die fehlende Zeit und Muße, sich entsprechendes Wissen anzueignen. Besonders gering vertreten seien die neuen Medien denn auch in den geisteswissenschaftlichen Fachbereichen, so Frank Marks, was „häufig auf deren unzureichende materielle Ausstattung zurückzuführen ist“.

Weitere Informationen über Kursangebote: Berufsfortbildungswerk Berlin (bfw), Tel. 2 14 58 40. „Frauen Computer Zentrum Berlin“, Tel. 6 17 97 00. Freie Universität Berlin, Arbeitsstelle Hochschuldidaktik, Tel. 83 85 33 89.

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