Champions-League-Männerfinale: Zocker an der Linie
Juventus Turin galt als ausgelaugt. Bis Trainer Allegri eine ziemlich geniale Strategie entwickelte. Er selbst ist nicht unumstritten.
Allegri ist Zocker, sein Unrechtsbewusstsein ist nicht allzu stark ausgeprägt. Das sieht man auch an seinen Rumpelstilzchentänzen am Spielfeldrand, wenn Referees mal wieder gegen seine Mannschaft pfeifen. Aktenkundig wurde er auch als Verkehrsrowdy. Als ihn eine Polizeistreife wegen überhöhter Geschwindigkeit stoppte, meinte er nur: „Ihr seid schlimmer als die Roten Brigaden.“
Da schlug die Herkunft aus dem roten Livorno durch, einer einstmals kommunistischen Bastion. In den Gerichtsakten steht auch, dass Allegri, damals vom Serie-A-Klub Cagliari frisch als Trainer verpflichtet, vorgetäuscht hat, geschlagen worden zu sein, und theatralisch zu Boden ging. Ein Schwalbenkönig auch im normalen Leben.
Allegris lange Karriere als Spieler und als Zocker hat ihm aber auch zu einem enormen Systemwissen verholfen, das er jetzt als Trainer auf geradezu geniale Art und Weise einsetzt. Die zwei wichtigsten Entscheidungen dieser Saison jedenfalls traf Allegri in Krisensituationen. Seine Juventus-Truppe wirkte im Winter fade, berechenbar und furchtbar überheblich. Resultat war eine 1:2-Niederlage beim AC Florenz. In den Stunden nach dieser Niederlage tüftelte Allegri dann ein Offensivsystem mit vier Angreifern aus: dem Dreiersturm aus Mario Mandzukic, Paulo Dybala und Juan Cuadrado sowie dem davor als Spitze agierenden Gonzalo Higuain. Das war eine Revolution im italienischen Fußball, wo man so gerne auf Balance zwischen den Mannschaftsteilen setzt und dabei oft die Defensive bevorzugt.
Trainer Allegri zu polizisten
Allegris Wette auf die Qualität derer, die dann die Lücken schließen müssen – den Hauptjob hat hier Sami Khedira – ging aber auf. Und seine Prognose: „Dieses Offensivsystem birgt Risiken, es wird uns aber in der Champions League helfen“, bewahrheitete sich.
Die zweite Schlüsselentscheidung traf Allegri nur vier Wochen später. In der Mannschaft rumorte es. Vor dem wichtigen Champions-League-Spiel gegen den FC Porto suspendierte er mit Abwehrchef Leonardo Bonucci einen der Wortführer des Aufruhrs. Bonucci sah, auf einem Hocker sitzend, von der Tribüne, wie seine Kollegen auch ohne ihn erfolgreich waren. Von diesem Zeitpunkt an war Juventus eine Mannschaft ohne Angst, eine Mannschaft, die sich ihrer Mittel sicher ist. Eine Mannschaft aber auch, die leiden kann.
Der Flexibilisierer
Tüftler Allegri hat ihr eine einzigartige taktische Flexibilität antrainiert. Die Bianconeri können dominieren. Sie beherrschen Konterfußball. Und sie haben die wohl unangenehmste Abwehrkette Europas.

Vor 50 Jahren feierten 100.000 Hippies in San Francisco den „Summer of Love“. Was 1967 in Kalifornien passierte und wie manches davon bis heute nachwirkt: Ein Dossier voller Glück, linker Utopie – und Blumen im Haar in der taz.am wochenende vom 3./4./5. Juni. Außerdem: Trump kündigt das Pariser Klimaabkommen auf. Ist die Welt noch zu retten? Und: Vanille ist so teuer wie nie. Was das für Eisdielen bedeutet und wie aus einer kleinen Schote der beliebteste Geschmack der Welt wurde. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Ausprobiert hat Allegri all dies auf den Fußballplätzen der Provinz. Der Serie-B-Aufstieg von Sassuolo, sein erstes großes Werk, war Frucht einer Spielkultur, die selten gesehen ward in Italiens unteren Ligen. Sein Gesellenstück lieferte er 2009 mit Cagliari ab. Da verlor der Underdog zwar 3:4 beim damals noch großen AC Mailand. Wie die Mittelklassekicker aus Sardinien die Millionarios aus Mailand aber auseinandernahmen, überzeugte Milan-Eigner Silvio Berlusconi so sehr, dass er Allegri umgehend engagierte. Der musste dem Forza-Italia-Chef nur noch versichern, kein Kommunist zu sein.
Der Rest ist sattsam bekannte Fußballgeschichte. In seinem Debütjahr bei Milan holte Allegri den Titel – der letzte größere Erfolg des Klubs. Danach verfeinerte er bei Juve den bewährten Kraftfußball und schuf ein Juventus, das so geschmeidig und kaltblütig zugleich agiert wie nicht einmal in den Zeiten, in denen sein heutiger Rivale Zinedine Zidane in Weiß und Schwarz die Strippen zog.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links