Cat Content in Deutschland: Zu Höherem berufen
Eine Phalanx aus Katzenhassern fordert Glöckchen um den Hals, Kastration und eine Katzensteuer. Eine Gegenrede – auch gegen den Hund.
Katzen mag jeder, nörgeln sie. Das ist einfach, entrüsten sie sich. Dabei seien Katzen gefährlich! Katzenvideos brächten die Menschen auf Pfade der Unmündigkeit, sie lenkten sie ab vom wirklich Wichtigen und „infantilisierten“ die „menschliche Gesellschaft“, wie Jörg Albrecht kürzlich in der FAS schrieb; „Muschi“ (ja, das stand da wirklich) sei außerdem eine „Gemetzel“-Maschine, was die Halter ihr jedoch aus lauter Liebe auch noch „gönnen“ oder „höchstens halbherzig“ tadeln würden. Beide seien „ein neoliberaler Ausbund an Egoismus, Rücksichtslosigkeit und asozialem Verhalten“ – die Katze also zugleich ein Politikum und unpolitisch. Focus-Mann Hardy Heuer sekundiert: „Aber Katzen sind ja so süß und liefern Stoff für ganz tolle Videos, die dürfen das. Von wegen!“
Die Hater, sie blasen zum Krieg: In Publikationen wie dem jüngst erschienenen „Cat Wars: The Devastating Consequences of a Cuddly Killer“ erscheinen belanglose Statistiken mit trilliardesken Zahlen getöteter Reptilien und Kleintiere; am ergreifendsten jedoch „zu Tode gequälte Vögel“, denen „der Samtpfotentod erspart bliebe“, würde man im Gegenzug nur fleißig Katzen töten wie in Australien, wo großflächig Giftköder ausgelegt werden.
Deutschland ist aber keine Insel. Süße vertrottelte Bodenvögel gibt es hier nicht, Raubtiere dafür schon – auch wenn jeder zaghaften Renaturierung, wie im Fall der Wölfe, eine Vielzahl brunftiger Jäger entgegensteht. Außerdem sei es „müßig, die absoluten Zahlen zu diskutieren, denn man kann von einer Anzahl getöteter Tiere ohnehin nicht direkt auf eine Bestandsgefährdung einer oder mehrerer Arten schließen“, findet Vogelschutzexperte Lars Lachmann vom Naturschutzbund.
Dennoch steht die Katze unter Beschuss: Außer in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg dürfen streunende Katzen von Jägern abgeschossen werden, bestätigt Jagdökologe Sven Herzog am Telefon. Die dafür nötige Entfernung vom Siedlungsgebiet differiere je nach Bundesland. Er macht sich wegen der vielen Katzen (es sollen in deutschen Haushalten mehr als zwölf Millionen leben, außerdem soll es etwa 2 Millionen verwilderte geben) „Sorgen um die Biodiversität“ und sieht die Halter in der Verantwortung, potenzielle Opfer zu schützen, zum Beispiel mithilfe einer Glocke um den Hals ihrer Tiere. Das sei auf jeden Fall wirksamer als eine Katzensteuer, deren Einführung von Albrecht und seinen Apologeten aktuell gefordert wird. Aber auch vorher kam die Forderung immer mal wieder auf, zumeist auf kommunaler Ebene. Zwischenzeitlich konnte man gar lesen, die Grüne Jugend sei dafür offen. Die Jägerlobby sowieso. Focus-Heuer: „Wo ist denn sonst bitte die Gerechtigkeit?“ Es gebe doch auch Hundesteuern.
Wildere Gärten mit besseren Verstecken!
Dabei wäre eine Katzensteuer unwirtschaftlich, selbst der Steuerzahlerbund lehnt sie ab. Und sogar schädlich: Mehr unverantwortliche (oder arme) Halter würden ihre Katzen dann aussetzen. Mehr davon verwildern. Mehr Vögel sterben. Zumal ein Großteil der Katzen ja innerhalb von Siedlungen lebe und sich wegen der hohen „Katzendichte“, wie Herzog es nennt, die Reviere schon wie nach einem Stundenplan aufteile. Doch in der freien Natur ist häufig kein Platz mehr für Vögel: „Der Hauptgrund für den Rückgang von Vogelarten ist der Verlust von geeignetem Lebensraum, insbesondere in der Agrarlandschaft“, sagt Lachmann – wohingegen die Vogelbestände in Siedlungen, im Gegenteil, sogar eher zunähmen.
Eine Kastrationspflicht, wie sie auch Jagdverbandschef Hartwig Fischer befürwortet, würde, anders als Katzensteuern, dem Schutz der Vögel wie der Katzen dienen. Das unterstützt auch der Naturschutzbund, außerdem weniger eine Glocke am Hals als vielmehr wildere Gärten mit besseren Verstecken sowie eine Verringerung des Freigangs für Katzen zur Brutzeit.
Ein Liter Hund muss fünf Euro kosten. Mindestens.
Trotzdem eignet sich die Katze ganz prima als Feindbild, denn jeder sieht ihre Opfer, bekommt sie gar ans Bett gebracht. Nicht Katzenliebe, Katzenhass ist einfach. Was genau hingegen der Bauer aufs Feld fährt und wie nachhaltig und gesund das jetzt alles so ist und wie viel Lebensraum für welche Arten da noch bleibt, kann man schon mal aus dem Blick verlieren – und das ist wohl auch das Ziel der Antikatzenkampagnen: Ablenkung.
Hunde sind gefährlich, nicht Katzen. Bei ihnen ist Polemik angebracht. Hunde beißen. Hunde scheißen. Hunde stinken. Deshalb zahlen die Halter dieser sabbernden, zuckenden Monster ja auch Strafe. Die sollte eigentlich noch viel höher ausfallen. Wir bräuchten Schockbilder auf Hunden, täten sie diesen Job nicht schon selbst. Keuchen ihr rosa-infektiöses Levkojen-Lefzen-Hecheln hervor und glotzen dumm und seelenlos, und hören, und töten.
Hunde sind lärmende, wackelnde Beißroboter, von bösen Kindergärtnerinnen dazu erschaffen, kleinen Kindern Angst zu machen. Sie riechen nach getrockneter Verwesung. Aber Lawinenhunde! Aber Sprengstoffhunde! Hunde sind Sprengstoff. Man sollte sie sprengen. Ein Liter Hund muss fünf Euro kosten. Mindestens. Besser „hundert“.
Cat Content: Statement gegen Voyeurismus und Spekulation
Hundebesitzer wollen entweder den eigenen Gestank überdecken oder sich an der Welt rächen. Endlich einmal Stärke spüren, Macht ausüben, am Hund, mit dem Hund, der so „ein Muster an Treue und Solidarität ist, der sogar häufig tut, was man ihm sagt“ (Albrecht). Das wiederum kennt der Deutsche noch von früher bzw. von Opa, manch einem wird da ganz warm ums Herz, aber man wird ja gleich „in die rechte Ecke gestellt“, wenn man solche Gedanken dem Nafri zubrüllt. Hunde sind faschistisch und gelten zu Recht als Familienwesen – kleine Helfer in der „Keimzelle der Volksgemeinschaft“.
Ausnahmen bestätigen die Regel – der absurde Trend zum Bürohund in Kreativberufen, der bizarre Katzenkult in einigen rechtsextremen Onlineprofilen. In beiden Fällen liegen Verwechslungen vor. Es soll ja auch Hartz-IV-Empfänger geben, die FDP wählen, oder Gläubige, die dachten, die Sonne drehe sich um die Erde oder Angela Merkel sei links.
Katzen im Internet schließlich. Einfach nur Spam? Der, so wie Pornos, die Hirne benebelt? Verdrängung ermöglicht? Unpolitisch macht und dumm? „Natürlich sind Katzenvideos die Inkarnation des Banalen“, sagte Kunstbloggerin Annekathrin Kohout vor einiger Zeit. Aber eben dadurch sei Cat Content ein ironisches Statement – wie nach den Terroranschlägen von Brüssel und Berlin, als gegen Spekulationen und Voyeurismus zuhauf Katzenbilder gepostet wurden. Denn in der Aufmerksamkeitsökonomie sind „News“ oft eine Farce. Nachrichtensendungen, Push-Mitteilungen, „Brennpunkte“ und, klar, auch viele Zeitungsartikel reagieren meist nur kurzatmig und immer gleich verschlagwortend („Eurokrise“, „Obergrenze“, „Katzensteuer“) auf Politikeräußerungen und vermeintliche Skandale.
Was Katzen genau planen, wissen wir nicht
Realität und Simulation sind häufig vertauscht. Bedeutung weicht der Leere. Da hilft es, mal nicht alles ernst zu nehmen. Natürlich ist das kein Allheilmittel, und von heroischer Twitterei wird die Welt schon mal gar nicht gut, wie Sibylle Berg neulich richtig bemerkte – sondern von Parteiarbeit. Oder eben Revolution. Bei beidem, und auch sonst, hilft Ironie.
Dafür sind Katzen wie geschaffen. Ihr Verhalten ist rätselhaft, ihre Gesten sind mehrdeutig und für uns Menschen oft allegorisch, Träger einer in die Gegenwart aktualisierten Ästhetik der Moderne. Doch es weist darüber hinaus: „Uns zu gefallen ist aber nicht der Grund ihres Daseins“, folgert Welt-Autorin Kathrin Spoerr. In der Tat – Katzen sind zu Höherem berufen. Was sie genau planen, wissen wir nicht. Es ist utopisch. Wir können es nicht mal erahnen. Da hilft nur eines: Ergeben Sie sich der Liebe, der Liebe der Liebe der Katzen. Spüren: Es macht Spaß. Auf der Straße die Menschen – sie lächeln Sie an. Manchmal ein kurzes Kribbeln im Fuß, vor Glück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten