Castor-Wochenende: Zwei Blicke auf die Barrikaden
Ein Polizeibeamter und ein Demonstrant schildern, wie sie die das Warten auf den Castor erleben: als zwiespältigen Einsatz der eine - als Aufbegehren der andere. Eine andere Lösung für den Atommüll wünschen sich beide.
Der Demonstrant
Die Graswurzelgruppe ist eine gewaltfreie Aktionsgruppe, wir sind in den verschiedensten Bereichen aktiv, eine davon ist die Anti-Atomarbeit. Bei den Castor-Demonstrationen bin ich zum 13. Mal - bis auf ein Mal, als eines meiner Kinder geboren wurde, war ich jedes Mal dabei. Am Samstag war eine der größten Demonstration, die ich je im Wendland erlebt habe, mit 16.000 Leuten, es war schon beeindruckend. Es waren ganz unterschiedliche Leute dort, von Clowns bis Traktorfahrer, sehr viele Grüne - jetzt, wo sie nicht mehr in der Regierung sind, haben sie wohl erkannt, dass ohne die Leute auf der Straße nichts verändert wird.
Dadurch, dass sich der Zug verzögert, gab es schon viele Aktionen, viele Leute sind im Wald auf die Schienenstrecke gegangen, da gab es wohl auch eine heftige Auseinandersetzung mit der Polizei - aber das habe ich nur durch eine Presseerklärung mitbekommen. Da, wo ich war, halten sich die Beamten sehr zurück, aber wenn man sich den Schienen nähert oder sie betritt, werden sie sehr nervös und ruppig. In der Göhrde wurde mit Reiterstaffeln gegen Demonstranten vorgegangen, die auch verletzt wurden.
Im Laufe der Jahre sind die Beamten sicher professioneller geworden. Das Problem ist, dass inzwischen deutlich weniger Beamte eingesetzt werden, die weniger schlafen dürfen - dadurch kommt es unter Umständen nachts zu einer gewissen Eskalation. Die Sitzblockaden, die früher als Straftaten galten, sind heute nur noch Ordnungswidrigkeiten. Dafür sind die Polizisten bei Sachen, bei denen sie nicht so genau wissen, was los ist, eher ruppiger. Samstag ging es um eine Volxküche, das war eine eher ruppige Auseinandersetzung, aber letztlich haben die Beamten doch eingesehen, dass die Blockierer auch verpflegt werden müssen und Toiletten brauchen.
Auch wenn sie sich fast jedes Jahr wiederholen - für mich haben die Demonstrationen auf keinen Fall Ritualcharakter. Und es ist für mich auch keine Stellvertreter-Auseinandersetzung. Um die Frage nach dem repressiven Staat ging es in den ersten Jahren viel, viel stärker. Es gibt sicher Unterschiede unter den Demonstranten, aber dass hier Leute kämen, die ihren Frust loswerden wollten, indem sie sich mit der Polizei prügeln, das sehe ich überhaupt nicht. Frust gibt es höchstens wegen des Wetters.
Ich unterhalte mich mit der Polizei - das tun viele andere auch - und diskutiere über die Atomkraftpolitik. Und es ist sicher so, dass sich die Polizisten dabei zum Großteil instrumentalisiert fühlen und sich fragen: Warum muss ich jetzt hier meinen Kopf hinhalten? Aber es geht hier nicht darum, sich mit der Polizei auseinanderzusetzen, sondern mit der Atompolitik.
Den Beschluss von Rot-Grün zum Atomausstieg habe ich als Mogelpackung empfunden. Da ging es um den Erhalt der Atomindustrie, die damals gar keine neuen AKWs bauen wollten, das hätte sie überhaupt nicht durchsetzen können. Jetzt sagen Atomindustrie und Politik, dass der Atomkonsens nach der nächsten Wahl sowieso neu diskutiert wird - und seitdem sehen viele Leute, dass es wichtig ist, den Ausstieg wirklich durchzusetzen.
Der Polizist
Ich bin mindestens zum siebten Mal beim Castor-Einsatz. Es ist kein freiwilliger Einsatz, wenn die eigene Einheit angefordert wird, muss man auch mit. Der Samstag war für uns ruhig, weil wir nicht in Gorleben waren, wo die große Demo war, sondern in Metzingen. Da hatten wir am Freitagabend ganz gut zu tun und müssen abwarten, wie es am Samstag hier abgeht. Wenn es Störaktionen gibt, sind es meist Straßenblockaden, Feuer auf der Straße, Barrikaden, das passiert natürlich erst in der Dunkelheit.
Die Stimmung unter den Kollegen ist grundsätzlich gut, sie ist sachlich, weil die meisten schon einmal so einen Einsatz mitgemacht haben. Bei den Jüngeren ist sie gespannter, wir waren am Freitag bei den Auseinandersetzungen in Metzingen, wo es vier Festnahmen gab. Gorleben ist etwas Einzigartiges, aber als Hundertschaft begleiten wir zum Beispiel auch andere Demonstrationen und Fußballspiele, insofern ist es nichts völlig Außergewöhnliches.
Beim Fußballeinsatz sind die Fronten klar: Da haben wir es mit Hooligans zu tun, die Gewalt ausüben wollen, hier haben wir es auch mit der Bevölkerung zu tun, die keine Castoren im Zwischenlager will und da ist es für uns zum Teil schwieriger, gegen diese Leute vorzugehen. Nicht im Sinne von Gewaltausübung, sondern sie bei den Straßenblockaden von der Straße wegzutragen und ihre Personalien festzustellen - sie verteidigen ihren eigenen Bereich.
Unsere eigene Haltung zur Atompolitik kommt uns da nicht dazwischen. Wir trennen da klar zwischen Auftrag und Meinung. Dass ich, wenn ich hier wohnen würde, und auch aus der Distanz möglicherweise, zu diesen Castoren kritisch stehe, ist ganz klar. Persönlich kenne ich hier niemanden. Es ist eher geprägt von Polizei auf der einen Seite und Bevölkerung und Demonstranten auf der anderen Seite. Es ist eben kein freundliches Miteinander, allerhöchstens Respekt und freundliche Distanz.
Ich persönlich habe noch nicht erlebt, dass Polizisten gegenüber Demonstranten übergriffig waren. Ich würde es in meinem Bereich nicht dulden und wir würden damit eine Angriffsfläche bieten, die dann auch völlig berechtigt wäre. Aber ich kann natürlich nur für meinen Bereich sprechen. Wenn Personen der linken, autonomen Szene kommen, möglicherweise auch solche, die Gewalt suchen, hat es Event- und vielleicht auch Kultcharakter, dass die Polizei eine Woche im Wendland ist, um den Castor dorthin zu bringen.
Wenn die elf Castoren mit dieser radioaktiven Suppe an mir vorüberrollen und ich mir vorstelle, dass das hier abgestellt wird, sage ich mir, dass sich die Leute, die das entscheiden, das auch mal angucken müssten. Es ist eine sehr gedrückte Situation. Andererseits muss ich mir dann eingestehen, dass wir alle Strom verbrauchen und noch niemand den Königsweg gefunden hat, nachhaltig und umweltfreundlich Strom zu erzeugen.
Wenn es vorbei ist, haben wir kein Triumphgefühl. Ich und sicher auch die Kollegen und Kolleginnen sagen uns: Jetzt steht das Zeug da und was haben wir dadurch gewonnen? Was daraus entstehen kann, kann letztlich ja niemand beantworten.
ULF WITT, 52, aus Eutin führt eine Hundertschaft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!