■ Cash und Crash: Reisen bildet – Kapital
Nürnberg (taz) – Schon seit zehn Jahren versuchen sich die Finanzminister der Europäischen Union in Sachen Tierschutz. Wie ist, so die zentrale Frage, das sprichwörtlich scheue Reh namens „Kapital“ im Inland zu halten? Vor allem dann, wenn im Ausland weit bessere Lebensbedingungen, sprich: niedrigere Steuersätze, herrschen?
Als in der Vergangenheit alle gemeinsamen Anläufe der EU-Finanzminister gescheitert waren, hatte der damalige Finanzminister Theo Waigel 1993 die noch heute gültige Zinsabschlagsteuer eingeführt – und damit für eine Massenflucht des privaten Anlegerkapitals gesorgt. Schätzungen zufolge sind vor fünf Jahren 300 bis 600 Milliarden DM ins Ausland geflossen. Deutsche Banken und Sparkassen halfen damals kräftig mit – unter anderem mit dem Slogan „Reisen bildet – zum Beispiel Kapital“. Den Finanzämtern entgingen dadurch jährliche Steuereinnahmen von mindestens zehn Milliarden Mark.
Doch die Steuerfahnder legten sich kräftig ins Zeug. Seit Anfang 1994 wurden Dutzende von Banken durchsucht, das gepflegte Bankgeheimnis bekam immer mehr Löcher, und durch den Trick, die beteiligten Mitarbeiter von Banken und Sparkassen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor den Kadi zu bringen, wurde bei den Steuerflüchtlingen für nervöse Stimmung gesorgt. So wurde kürzlich ein Mitarbeiter der Stadtsparkasse Wuppertal zu einer Geldstrafe von 7.500 Mark auf Bewährung verurteilt – weil er einem Kunden beim Ausfüllen einer Überweisung in die Schweiz geholfen hatte. Die Dresdner Bank zahlte bereitwillig Geldbußen von 41 Millionen Mark, um die Steuerfahnder zu beruhigen.
Nicht nur die Anleger, die Steuern hinterziehen, sondern auch die Spitzenbanker in Deutschland hoffen auf ein baldiges Ende der Jagdzeit. Wenn sich die EU-Finanzminister auf ein einheitliches Vorgehen nicht einigen können, so ihre Hoffnung, werde der deutsche Gesetzgeber die bisherige Zinsabschlagsteuer ändern. Ihre Hoffnung: eine Abgeltungssteuer nach österreichischem Modell. Dort führen die Kreditinstitute 25 Prozent der Zinserträge direkt an das Finanzamt ab, ohne die jeweiligen Kontoinhaber bekannt zu geben. Für Anleger, deren persönlicher Einkommenssteuersatz über 25 Prozent liegt, hätte das den Vorteil, billig davongekommen zu sein. Und die Steuerbehörden erhoffen sich bei Einführung einer solchen Steuerform einen Rückfluss von Kapital in erheblichem Umfang – vor allem dann, wenn die neue gesetzliche Regelung mit einer Amnestie für die Steuersünder verbunden wäre. Damit, so Manfred Weber vom Bundesverband deutscher Banken, könnte man „dem Kapitalanleger durch eine maßvolle Nachversteuerung bislang unversteuerter Gelder den Weg zurück in die Steuerehrlichkeit“ ebnen.
Horst Peter Wickel
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