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■ Cash & CrashFurcht ohne Elend

Berlin (taz) – Immer wieder peinigt die Anleger an der Wall Street dieselbe Angst: die vor zuviel Geld. Boomende Wirtschaft und viele in Lohn und Brot stehende Leute, so die Börsianerweisheit, bedeuten Inflation = höhere Zinsen = niedrigere Aktienkurse. Für eine gewisse Verwirrung sorgt da die Tatsache, daß die Inflationsrate mit derzeit 2,6 Prozent gleichmäßig niedrig bleibt – trotz kräftigen Wachstums der US-Wirtschaft (4,8 Prozent im zweiten Quartal 1996), trotz niedriger Arbeitslosigkeit (5,1 Prozent) und gestiegener Lohnniveaus (plus 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr).

So kletterten die Aktienkurse allen Unkenrufen zum Trotz von einem Rekord zum nächsten. Doch am Montag setzte die alte Angst wieder ein: Der gestern und heute tagende Offenmarktausschuß der Zentralbank Fed könnte ja eine Zinserhöhung beschließen. Acht der zwölf Fed-Regionalbanken hätten höhere Leitzinsen gefordert, hieß es. Schockartig brach der Index um 50 Punkte ein, und das FBI wurde mit Ermittlungen beauftragt, wer solch brisante Informationen vorzeitig an die Öffentlichkeit ließ.

Doch noch am selben Tag wendete sich das Blatt schon wieder. Der Dow Jones schloß mit einem Plus von 6,28 Zählern bei 5.894,74 Punkten und hat damit den am Freitag erzielten Allzeithöchststand hinter sich gelassen. Denn nun ging die Spekulation in die entgegengesetzte Richtung: Die Federal Reserve werde die Leitzinsen unverändert lassen.

Zum Beleg wurden gewöhnlich wohlinformierte Kreise zitiert, nach deren Informationen die Fed künftig ihre Geldpolitik so wie die Deutsche Bundesbank an einer konkreten Zielzone für die Preisstabilität ausrichten wolle. Da die Verbraucherpreise in den letzten Wochen sogar weniger als prognostiziert anstiegen, hoffen viele Anleger auf Milde. Schlimmstenfalls, so rechnen sie, würde der Diskontsatz, also der Zinssatz, zu dem die Zentralbank Geld an Geschäftsbanken verleiht, um minimale 0,25 Prozent angehoben auf 5,25 Prozent.

Daß der Börsenboom anhält, mag dennoch Wunschdenken sein. In einem Land, in dem mangels anständiger Sozialversicherung die gesamte Mittelschicht darauf angewiesen ist, durch private Geldanlage ihr Auskommen im Alter zu sichern, kann Wunschdenken jedoch noch lange ein Antrieb für die Aktienkurse sein.

Börsenpessimisten warnten zwar den ganzen Sommer über, daß die privaten Kleininvestoren, die ihr Geld bislang Aktienfonds anvertrauten und dadurch die Kurse zu immer weiteren Höchstständen trieben, aussteigen könnten. Doch in Wirklichkeit setzen die Sparer immer noch auf Aktien; allein im August flossen wieder 19 Milliarden US-Dollar in Aktienfonds. Und der andere Börsenmotor, die Übernahme von Firmen, läuft gleichfalls auf Hochtouren. Solange es keine gutverzinsten Alternativen zu Aktien gibt, könnte die Hausse allen Ängsten zum Trotz andauern. lieb

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