: Carrillos letzter Schachzug
Madrid (taz) — „Es ist die Zeit gekommen, Beleidigungen und Wunden zu vergessen und sich davon zu überzeugen, daß es sehr wohl eine Zukunft für eine kommunistische Partei in Spanien gibt“, schrieb Santiago Carrillo 1988 in der Zeitung 'El País‘. In den drei Jahren, die seither vergangen sind, hat der alte Kommunistenführer offensichtlich seine Meinung geändert: Am vergangenen Sonntag löste sich seine „Spanische Arbeiterpartei — Kommunistische Einheit“ (PTE-UC) auf und integrierte sich in die regierende Sozialistische Partei (PSOE).
Carrillo, der diese Entwicklung zwar vorangetrieben hatte, jedoch selber kein sozialistisches Parteibuch annahm, begründete den Schritt mit den Worten, es sei besser, in das große gemeinsame Haus (der Linken, d. Red.) einzutreten, als sich in einem kleinen Kiosk zu isolieren. Schon seit dem vergangenen Jahr hatten sich die Gerüchte über eine Annäherung zwischen dem ehemaligen Eurokommunisten und den Sozialisten verdichtet. „Ich glaube, daß sich den Kommunisten in Europa die Notwendigkeit stellt, sich neu zu orientieren, und das kann nur in Richtung Sozialisten und Sozialdemokraten sein“, hatte er im Sommer in einem Interview erklärt. „Das Gewitter, das über die Linke in Europa herabgeht, kann nur abgehalten werden, wenn sich große Massenparteien diesen Strömungen entgegenstellen.“
Die neueste dürfte wohl die letzte Wendung in dem bewegten politischen Leben des Santiago Carrillo sein. Während des Bürgerkriegs gehörte er zur Führungsriege der Kommunistischen Partei, verbrachte längere Zeit in Moskau, trat später zum Eurokommunismus über. Bei den Wahlen 1981 erlitt die Partei jedoch eine große Schlappe — sie sackte von 23 auf 4 Mandate ab — und Carrillo gab den Führungsstab, den er bis dahin eisern in der Faust gehalten hatte, an seinen Kronprinzen, den asturischen Minenarbeiter Gerardo Iglesias, ab. Dieser jedoch öffnete die Partei und modernisierte sie, so daß Carrillo zunächst die PCE verließ und 1987 die PTE-UC gründete, da die Linie der PCE „verwässert“ worden sei. Ein Mandat errang die PTE nie, bei den letzten Wahlen kandidierte Carrillo schon gar nicht mehr. Hatte er schon zuvor zur Spaltung der Kommunisten beigetragen, so freuen sich nun die Sozialisten über den letzten Schachzug des ehemaligen Stalinisten. Aber wer lebt nicht auf seine alten Tage lieber in einem großen Haus als in einem kleinen Kiosk?
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