Cannabis-Clubs machen mobil: Erst zwei, dann vier, dann sieben
Die Kifferszene ist in Aufruhr, seit der Entwurf zur Teilliberalisierung von Cannabis bekannt ist. Kundgebung immer mittwochs vor dem Kanzleramt.
Am Wochenende hatte in Berlin das Bundestreffen der Cannabisclubs stattgefunden. Die Kifferszene ist in Bewegung, seit SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im April die Eckpunkte des Gesetzes zur Teilliberalisierung von Cannabis vorgestellt hatten.
Dass es an dem 84-seitigen Gesetzentwurf der Ampel-Bundesregierung viel Kritik gibt, bringt die Minikundgebung vor dem Kanzleramt am Mittwoch für Außenstehende nicht rüber. Keine Transparente, keine Parolen, die Gruppe ist einfach da, unterhält sich, einige rauchen. E
Es gehe darum, die CSC-Bewegung zu repräsentieren, um eine vernünftige Gesetzesregelung zu erreichen, erklärt OIiver Waack-Jürgensen, Vorsitzender des High Ground, der taz. Der 60-jährige große Mann mit Zopf hat die Versammlung angemeldet. Ob er enttäuscht ist über die geringe Teilnahme? Waack-Jürgensen schüttelt milde lächelnd den Kopf: „Zuerst waren wir zwei, letzten Mittwoch vier, heute sind wir schon sieben“.
Kassen verweigern Kostenübernahme
Einen qualmenden Joint in der Hand erzählt der Rollstuhlfahrer, dass er 150 Gramm Cannabis im Monat benötige – Cannabis als Medikament wohlgemerkt. Er beziehe das auf Rezept aus der Apotheke, müsse das aber aus eigener Tasche bezahlen, weil die Krankenkasse die Kosten nicht übernehme. Die Dosierung helfe ihm, morgens aus dem Bett zu kommen und auch ab und an den Rollstuhl zu verlassen. Um zu zeigen, was er meint, erhebt sich der Mann und geht ein paar wackelige Schritte.
Auch die einzige Frau in der Runde outet sich als Bezieherin von Cannabis auf Rezept, ohne Kostenübernahme. Sie lindere damit ihre Arthrosebeschwerden, sagt die 48-Jährige. Die Verweigerungshaltung der Kassen sei ein Unding, schimpft der Rollstuhlfahrer. Vielen Patienten ergehe es so. Auch hier sei die Ampelregierung gefordert.
Ob es mit der Polizei schon mal Ärger gab, wegen des öffentlichen Konsums vor dem Kanzleramt? Ja, sagt Waack-Jürgensen. Man habe dann darauf hingewiesen, dass sie es hier mit Patienten zu tun hätten. Dann hätten sie bestimmt ein Rezept dabei, habe der Beamte erwidert. „Mit unserem Ja hat er sich dann zufrieden gegeben“.
Kurz vor 11 Uhr, eine halbe Stunde über die angemeldete Kundgebungszeit. Eine Polizistin nähert sich. „Wir sind fertig“, ruft ihr der Rollstuhlfahrer entgegen. „Kein Stress und schönen Tag noch allerseits“, entgegnet die Beamtin und geht weiter.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung