Call a bike: Berliner lassen Leihräder stehen
Die Räder des Verleihsystems der Bahn werden nur einmal alle zwei Tage genutzt. Desaströse Zahlen, sagt ein Forscher.
1.250 Leihräder der Bahn stehen in Berlin in ihren Betonklötzen – und kaum einer möchte mit ihnen fahren. Nach aktuellen Zahlen von 2012 wurde jedes der Räder weniger als einmal alle zwei Tage benutzt. Über das Jahr gerechnet sind das insgesamt 177.000 Fahrten von 64.000 Kunden, so die Zahlen der Bahn-Tochter DB Rent. In Hamburg, wo die Leihräder am beliebtesten sind, wurde 2012 dagegen ein Rekord mit zwei Millionen Touren bei 1.650 Rädern aufgestellt. Die Räder sind dort also rund dreimal täglich im Einsatz. Warum klappt das nicht in Berlin?
Das Hauptziel von Call-a-Bike sei die Verknüpfung vom Nahverkehr mit Leihrädern, um die „letzte Meile“ schneller nach Hause zu kommen, sagt der Volkswirt Mirko Goletz, der das Projekt mit evaluiert hat. „Doch dafür ist die Stationsdichte in Berlin nicht hoch genug“, erklärt Goletz, der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt forscht. „Man kann keine Effekte auf den Verkehr nachweisen.“ Goletz plädiert dafür, die Fahrrad- und Stationszahl deutlich zu erhöhen. „Um sich an das System zu gewöhnen, müsste immer ein Rad verfügbar sein." Im Vergleich zu Leihsystemen anderer europäischer Städte seien die Nutzungszahlen in Berlin desaströs. Die Evaluation wurde vom Senat in Auftrag gegeben. Bislang blieb sie unveröffentlicht. Womöglich stellt die Studie Call-a-Bike kein gutes Zeugnis aus.
Die Bahn-Tochter DB Rent, die das Leihsystem betreibt, verjagte wohl 2011 viele Kunden, als sie entschied, dass die Räder in Berlin nun nur noch bei Stationen ausgeliehen werden können. Zuvor konnten die Leihräder überall innerhalb des S-Bahn-Rings per Smartphone aufgesucht und abgestellt werden. Doch das war sehr teuer und wartungsintensiv. Nach der Umstellung waren viele Kunden verärgert über die eingeschränkte Bewegungsfreiheit und ließen die Räder in ihren grauen Klötzen stehen: 2011 wurden sie nur noch 75.000 Mal benutzt, also im Schnitt nur jeden vierten Tag. Offenbar auch, weil es anfangs nur in Mitte Stationen gab. Mittlerweile wurde das System stadtweit auf 80 Stationen ausgebaut. Seitdem haben sich die Nutzungszahlen etwas erholt.
DB Rent verkauft das als Erfolg: „Das bedeutete für uns erst mal Aufatmen“, sagt eine Sprecherin von DB Rent. „Es ist nicht richtig, dass die Räder in Berlin seltener genutzt werden“, erklärt sie. Der Vergleich hinke, weil die Ausleihe in Hamburg in der ersten halben Stunde immer kostenlos sei. „In Hamburg sind mehr Stationen vorhanden. Der Radius ist auch ein viel kleiner als in Berlin“, sagt sie.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung teilt mit, dass Call-a-Bike künftig deutlich erweitert werden soll: „Im Gespräch ist eine Ausweitung auf zunächst 150 Stationen innerhalb der Jahre 2013 und 2014.“ Bis zu eine Million Euro sind für den Ausbau vorgesehen. DB Rent würde Mittel in „erheblichem Umfang“ zuschießen, will dazu aber keine Zahlen nennen. Schätzungen gehen davon aus, dass der Betrieb pro Rad mindestens 1.500 Euro im Jahr kostet. Call-a-Bike wird vom Bundesverkehrsministerium gefördert.
Den Ausbau der Stationen kann nicht allein der Senat bestimmen. Zustimmen müssen auch die Bezirksämter.
In Pankow würden derzeit zwei Anträge der Bahn für neue Stationen vorliegen, sagt Jens Holger Kirchner, Leiter der Abteilung Stadtentwicklung (Grüne): „Die Stationen sind ja umstritten, die Betonklötze sind hässlich und nehmen öffentlichen Raum ein.“ Darum sei das Bezirksamt zurückhaltend, solange die Ergebnisse der Evaluation der Senatsverwaltung nicht vorliegen, erklärt Kirchner, der die Räder generell für sinnvoll hält. Aber: „Der Erfolg ist noch nicht nachgewiesen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader