CSD in Berlin: Männer, rafft die Röcke!
Auf der Straße feiern 550.000 Menschen. Am Rand verfolgen Familien und Ehepaare den schwul-lesbischen Auftritt. Betrachtungen aus der Sicht der Bratwurstberliner.
Von hier oben hat man den besten Blick auf die bunte Masse. Entlang der Glasfassade in der U-Bahnstation Nollendorfplatz drängen sich gut 50 Menschen - ältere Ehepaare, Familien mit Kindern, Touristengruppen. Mit Fotohandys und Digicams versuchen sie, die schrillsten Schwulen, Lesben und Transen einzufangen. Nur ein älterer Mann hat den Kopf demonstrativ Richtung Gleise abgewendet, sein Gesicht ist angespannt. Seine Frau unterhält sich mit einer Freundin. "Hast du auch schon mal auf die Seite geklickt?", fragt sie, als sich auf der Straße gerade der Wagen des "Dildokings" durch die feiernde Meute zwängt. "Der traut sich was", sagt ein Mann in den 40ern zu seiner Frau, als er einen Schwulen entdeckt, dessen nackter Arsch aus der Jeans hängt.
Wenige Meter daneben klebt eine junge Familie an der Scheibe. Während Papa die Spiegelreflexkamera im Minutentakt mit neuen Bildern füttert, erklärt Mama der knapp zehnjährigen Tochter, was es mit den ganzen Schwulen und Lesben auf sich hat. "Manche Männer lieben eben Männer, und bei Frauen gibt es das auch." Die Tochter hört gar nicht hin, zu sehr ist sie von den vier Gestalten im lila Ganzkörperlatexanzug abgelenkt, die unten in hochhackigen Stiefeln stolzieren.
Es wird mehr als eineinhalb Stunden dauern, bis die über 50 Trucks und zahllose Fußgruppen der 31. CSD-Parade hier vorbeigezogen sind. Allein am Nollendorfplatz stehen und gehen einige tausend Menschen. Insgesamt sollen mehr als 550.000 Besucher und Teilnehmer unterwegs sein. Viele zum Feiern, viele zum Gucken und Stauen.
Kurz vorm Ziel scharen sich 500 tanzende Menschen um den CDU-Wagen. Der lockt mit Michael-Jackson-Songs in Endlosschleife, nicht mit politischen Forderungen.
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte vor dem Start die Rehabilitierung der Homosexuellen, die bis 1969 nach dem alten Schwulenparagrafen strafrechtlich verfolgt wurden.
Margot hat sich schick gemacht an diesem Samstagnachmittag in der Bülowstraße. Die 74-Jährige sieht aus, als würde sie in die Oper gehen. Ihr Mann steht einen Meter hinter ihr und blickt erstaunt einem lesbischen Ehepaar - eine im weißen Brautkleid, die andere im schwarzen Frack - hinterher. "Den muss ich immer überreden, dass er mitkommt", sagt die Berlinerin, ihre Augen strahlen. Seit 15 Jahren guckt sie sich jeden CSD an. "Das ist klasse. So bunt, verrückt und fröhlich." Dass hier neben Techno, Schlager und Travestie auch politische Forderungen im Mittelpunkt stehen sollen, weiß Margot, und sie findet es gut. "Ja, die Leute hier müssen so laut sein, sonst hört sie ja keiner."
Eine Postbotin quält sich mit ihrem überladenen Fahrrad durch die Menge. "Es ist schon stressiger als sonst, aber wenigstens nicht so langweilig", sagt sie und verschwindet in einem Hauseingang. Davor sitzen zwei Kinder mit Wassereis in der Hand auf einem Stromverteilerkasten. Sie ist sechs, ihr kleiner Bruder vier. "Wir wohnen in Schönefeld, die sehen jeden Tag Schwule und Lesben", sagt ihr Vater. Heute sei schon alles etwas aufregender als sonst. "Die vielen Halbnackten finden sie spannend."
Am Potsdamer Platz wippt der Polizist, der die Seitenstraße absperrt, vergnügt mit dem Bein und lässt sich mit zwei Männern mit lila Perücke und nacktem Oberkörper fotografieren. Auf der Straße läuft gerade eine Fetischgruppe vorbei: Männer und Frauen in Lack und Leder, manche werden auf allen Vieren an Ketten geführt, andere sind vor einen Pferdekarren gespannt und ziehen daraufsitzenden Dominas. Ein achtjähriges Mädchen guckt entsetzt. "Naja, die finden das lustig", versucht ihre Mutter zu erklären. Später sagt sie, Kinder seien doch unvoreingenommen. "Ich selbst bin begeistert, das sind alles so freundlich, lustige Menschen hier." Dann tanzt sie weiter zu Hippie-Musik vom FDP-Wagen.
An der Siegessäule sind Bier- und Bratwurstbuden aufgebaut. Auf der Bühne beginnt der musikalische und politische Teil des CSD. Klaus Wowereit wird reden und der Zivilcouragepreis an Justizministerin Brigitte Zypris (SPD) verliehen. Doch da sind die meisten Bratwurstberliner, die zu jedem Straßenfest kommen, schon wieder zu Hause und überspielen ihre Fotos auf Festplatte. Die bunten und schrillen Schwulen, Lesben und Transen, die auf den Bildern zu sehen sind, sind meist auch schon weg. Frisch machen für die Partynacht.
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