CL-Finale Madrid gegen Madrid: Klubs trennen Klassenunterschiede
Arbeiterverein gegen Nobelklub: Die diesjährigen CL-Finalisten Atlético und Real haben nichts gemein. Überhaupt nichts.
Noch nie wurde ein Champions-League-Finale von Klubs aus einer gemeinsamen Stadt ausgetragen. Doch die Unterschiede zwischen Real und Atlético Madrid sind groß. Viel größer, als bereits die sportliche Bilanz beider Klubs offenbart. Und erst recht größer, als sie durch die gemeinsame Grenze, den Fluss Manzanares in Madrid, erkennbar ist.
Wer etwa das Klubmuseum von Real Madrid betritt, findet sich bald im Trophäenraum wieder. Im Katalog heißt es dazu, dass man sich nun im „Zimmer des besten Klubs der Welt“ befindet. Man müsste also gar nicht den Raum mit seinen unendlich vielen Trophäen betrachten, um zu erfahren, dass der Verein von königlicher Herkunft ist.
Dieser Trophäenraum ist ein langer, enger Raum, der sich unendlich hinzuziehen scheint. Doch weder der Trophäenraum noch die Zimmer, die den großen Stars – Alfredo Di Stéfano, Raúl oder Cristiano Ronaldo – oder auch der Basketballabteilung des Klubs gelten, können es mit dem größten, hellsten und prominentesten Zimmer aufnehmen: Hier stehen nämlich die neun Champions-League-Pokale von Real Madrid. An der Wand beginnt ein Begleittext mit den Worten: „Der Europapokal wäre sinnlos ohne Real Madrid.“
Dem Verein reicht es nicht, sich als erfolgreich darzustellen. Er will partout beweisen, dass es den Fußball und seine Geschichte nicht gäbe, wenn nicht ein Klub namens Real Madrid existierte. Das Museum hat einen einzigen Zweck: zu zeigen, dass es keine bessere Mannschaft auf Erden gibt als Real Madrid.
Wertvollstes Sportunternehmen der Welt
Das mag anmaßend sein, aber es deckt sich auch mit der jüngsten Beurteilung des Magazins Forbes: Real Madrid wird dort als das wertvollste Sportunternehmen der Welt gelistet. Teurer als der langjährige Marktführer Manchester United, teurer als die großen amerikanischen Vereine New York Yankees und Dallas Cowboys.
Auch das Museum von Atlético de Madrid zeigt die – nicht ganz so vielen – Trophäen, die der Klub gewonnen hat. Und auch hier sind Videos der großen Momente der Vereinsgeschichte zu sehen. Doch der Ton, der während der Führung angeschlagen wird, ist auffallend anders. Es findet sich etwa der „Art-leti“-Bereich, hier werden Sänger, Künstler und andere Prominente gewürdigt, die den Verein unterstützen.
Aus Lautsprecherboxen erklingen die Chants der Fans, wie sie im Stadion gesungen werden, und es gibt Bereiche, wo sich die Fans alte Werbeanzeigen des Klubs anschauen können. Am eindrucksvollsten und wohl wirklich einzigartig ist aber der Bereich des Atlético-Museums, der „Produktionszone“ heißt. Hier konzentriert sich alles auf das Herz der Stadt, auf die harte Arbeit, die die Menschen leisten.
Museumsbesucher können sich hier ein altes Madrider Schuhgeschäft anschauen und daneben Umkleiden des alten Atlético-Stadions. Die Produktionszone erinnert nicht nur an die Emphase, die die Menschen der working class für diesen Klub empfinden, im Grunde identifiziert sie ihn mit der Arbeiterklasse. Das steht in unmittelbarem Gegensatz zum königlichen und noblen Gegenpart Real Madrid.
Kleines und intimes Stadion
Museen kann man immer noch bescheinigen, dass sie sehr sorgfältig geplant wurden, um ein bestimmtes Bild eines Vereins zu transportieren. Aber auch die Fans beider Klubs verhalten sich entsprechend. Im kleinen und intimen Stadion von Atlético, dem Vicente Calderón, machen die Chants der treuen Fans die Atmosphäre aus – ihr Stolz, ihre Ausgelassenheit.
Real-Madrid-Fans auf der anderen Seite verhalten sich so gediegen, wie es zum königlichen Namen des Teams passt. Im als ehrwürdig geltenden Estadio Santiago Bernabéu verhält man sich deutlich gedämpfter, höchstens wird etwas Kritisches gemurmelt.
Und das offizielle Vereinslied von Real Madrid hat rein gar nichts mit den ausgelassenen Gesängen der Atlético-Fans zu tun: Seine opernhaften Wurzeln erzwingen förmlich ein stilles Zuhören. Mitgrölen würde bloß die Glaubwürdigkeit dieses noblen Klubs beschädigen.
Fußballerisch ist die Sache ohnehin klar: Real Madrid spielt am Samstagabend um seinen zehnten Titel, Atlético kann da nicht mithalten. Doch die Welten, die kulturell, sozial und historisch zwischen den Klubs liegen, dürfen noch größer sein.
Beide Autoren sind Politologen an der University of Michigan, USA
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“