CHOLESTERINSENKER: DIE ABSOLUT SICHERE MEDIZIN WIRD ES NIE GEBEN: Nebenwirkung inbegriffen
Weltweit werden mehr als 40 Todesfälle mit dem Cholesterinsenker „Lipobay“ in Zusammenhang gebracht. Bayer hat das Mittel vom Markt genommen – „überhastet“, wie der französische Gesundheitsminister Kouchner findet. Das Bundesgesundheitsministerium wiederum will den Vorfall untersuchen. Gleichzeitig wird weiter nach Schuldigen gesucht; vermeintlich Verantwortliche sind: nachlässige Zulassungsbehörden, profitgierige Pharmafirmen oder sorglose Ärzte. Doch so einfach ist es nicht.
Die Kontrollen der Medikamente werden immer besser, die Zulassungsvorschriften immer strenger. Noch rigidere Maßstäbe wären kaum sinnvoll, wenn man überhaupt noch Medikamente entwickeln möchte. Es ist jetzt schon sehr langwierig, umfasst Tests in chemischen Systemen, Tierversuche und erst dann die klinische Prüfung am Menschen. Getestet werden die Verträglichkeit und die Wirksamkeit; schließlich wird das Präparat an bis zu fünftausend Patienten verabreicht. Das Befinden jeder Testperson wird festgehalten, geringste Abweichungen werden protokolliert. Wenn keine Auffälligkeiten vorliegen, erfolgt am Ende die Marktzulassung.
Jeder Todesfall ist einer zu viel, aber man muss die Größenordnung sehen: Sechs Millionen Menschen haben Lipobay eingenommen. Von ihnen ist, statistisch, jeder hundertfünfzigtausendste gestorben. Einige davon, weil sie – entgegen der Beipackzettel – noch andere Fettsenker geschluckt haben. Keine Kontrolle hätte dieses tödliche Risiko im Promillebereich sicher aufdecken können. Zudem: Welche Medikamente nehmen Patienten noch? Kein Arzt kann vorhersagen, wie sich die Wirkstoffe beeinflussen, wenn Patienten ein Dutzend verschiedener Pillen täglich schlucken.
Das Streben nach Gesundheit und die zur sozialen Norm gewordene Pflicht, sich wohl zu fühlen, haben ihren Preis. Viele Menschen wollen die „Pille danach“ für jede Lebenslage. Eine Folge davon sind jährlich mindestens 16.000 Todesfälle in Deutschland, die auf Nebenwirkungen zurückzuführen sind. Gerade die übermäßige Anwendung von Cholesterinsenkern ist umstritten. Mehr als die Hälfte aller Deutschen haben angeblich zu hohe Fettwerte – auch durch die Definition von Grenzwerten kann ein Volk krank geredet werden.
Fälle wie mit Lipobay werden sich nicht ausschließen lassen. Das Rundum-Sorglos-Paket wird es in der Medizin nie geben. WERNER BARTENS
Der Arzt ist Redakteur der Badischen Zeitung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen