piwik no script img

CDU vor der Landtagswahl Sachsen-AnhaltHauptsache geschlossen auftreten

Die CDU Sachsen-Anhalt wählt Sven Schulze zum Spitzenkandidaten. Mit eher düsteren Aussichten für die Wahl 2026 heißt es nun: Lieber leise kritisieren.

Sven Schulze (CDU) fährt fast ohne Frauen in den Wahlkampf Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
David Muschenich
Sabine am Orde

Von

David Muschenich und Sabine am Orde aus Oschersleben

Am Ende seiner Rede gibt Sven Schulze ein Versprechen. Beide Hände auf das Pult gestützt, sagt er mit ruhiger Stimme: „Wir werden diese Wahl gewinnen!“ Einfach wird das nicht, aber was soll Schulze als designierter Spitzenkandidat sonst sagen? Im kommenden Jahr wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt, in Umfragen liegt die AfD deutlich vor Schulzes CDU. Es scheint nicht einmal mehr ausgeschlossen, dass die rechtsextreme Partei die absolute Mehrheit holt, erstmals bundesweit.

Der amtierende CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff tritt nicht mehr an. Schulze, bislang CDU-Landesvorsitzender und Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt, soll an diesem Samstagvormittag offiziell auf Listenplatz 1 gewählt werden. Die Landesvertreterversammlung tagt im Hotel der Motorsport Arena Oschersleben. Selbst durch die geschlossenen Fenster dröhnen immer wieder Motorengeräusche von der anliegenden Rennstrecke.

Von den Delegierten bekommt Schulze anhaltenden Beifall. Aber kann er halten, was er verspricht? Schulze geht ohne den Bonus des amtierenden Ministerpräsidenten ins Rennen. Obwohl er Wirtschaftsminister ist, gilt er als unscheinbar und farblos. In einer Umfrage von Infratest dimap gaben im September 44 Prozent in Sachsen-Anhalt an, Sven Schulze nicht zu kennen. Bis 2021 war er Abgeordneter im Europäischen Parlament, Brüssel ist weit weg. Zu seiner Bekanntheit in Sachsen-Anhalt hat es sicher nicht beigetragen.

„Bitte enttäuscht mich nicht“

Seine Rede am Samstag lässt zudem erahnen, warum er nicht als großer Charismatiker bekannt ist. Schulze spricht kleinteilig und beinahe gleichmütig. Zu Beginn geht er zurück ins Jahr 2002, als die CDU zum ersten Mal in Sachsen-Anhalt regierte, erinnert dann an die lange Regierungszeit des Ministerpräsidenten Haseloff seit 2011. Im Anschluss rattert er eine Liste der Probleme runter, die er angehen will: Ausbildungsplätze, ärztliche Versorgung, Verwaltungsreform.

Um die Schwäche von Schulze weiß offenbar auch Haseloff. Der Ministerpräsident steht am Samstag kurz vor Schulze auf der Bühne und appelliert eindringlich an die Delegierten, an diesem Samstagvormittag für Schulze zu stimmen. Er solle mit einem Ergebnis losgeschickt werden, „dass die Menschen im Lande wissen: Wir sind nicht für irgendeinen Platz angetreten, sondern dieser Spitzenkandidat ist unser Signal, dass wir Nummer 1 bleiben“, sagt Haseloff. „Bitte enttäuscht mich nicht.“

Es gehe es dabei nicht nur um die Union, so Haseloff weiter. „Wenn die CDU politisch nicht Erfolg hat, wird es ganz schwierig für unser Land“. Der Ministerpräsident hat eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausgeschlossen, eindringlich warnt er vor der rechtsextremen Partei.

Eine ähnliche Linie vertritt auch Schulze. Die AfD werde keines der wichtigen Probleme in Sachsen-Anhalt lösen. Sie habe auch in der Opposition gezeigt, dass sie keine Verantwortung wahrnehme, sagt Schulze. Er will nach der Landtagswahl weder mit der AfD noch mit der Linkspartei zusammenarbeiten. Wenige Minuten nach seiner Antrittsrede geben ihm 90 von 99 Delegierten ihre Stimme: 90,9 Prozent. Nur neun Nein-Stimmen, das ist ein gutes Ergebnis. Aber beflügelt wirken die Delegierten in Oschersleben nicht.

Imitation oder Aufbruch?

Für Benjamin Höhne, Parteienforscher an der TU Chemnitz, hat das Ergebnis nur eine begrenzte Aussagekraft über die Rückendeckung für Schulze in der eigenen Partei. Allen sei schließlich klar, dass die Listenaufstellung schon Teil des Wahlkampfs ist. „Das heißt, die Parteien achten stärker darauf, geschlossen aufzutreten.“ Höhne sagt, eine Wahl zum Landeschef wäre ehrlicher. Bei Schulze ist die schon ein bisschen her: 2023 bekam er gerade mal 74 Prozent.

Die CDU, so Höhne, stehe vor einer schweren Aufgabe: „Aus einer Position der Stärke“ sei es einfacher gewesen, sich als solide Problemlöserin anzubieten. „Aber derzeit ist die CDU die elektoral schwächere Partei.“ Er warnt davor zu versuchen, der AfD ihre Themen wegzunehmen, nach dem Motto: Wenn die CDU sich um die Migration kümmert, brauche niemand die AfD zu wählen. „Dabei wird oft verkannt, dass die AfD von einer rhetorischen Annäherung der CDU profitieren kann.“ Wenn die CDU einfach Themen übernehme, wirke das wie nur eine Imitation, „zumal die AfD oft noch eine härtere Linie fordert“.

Was also sollte die CDU tun? Höhne nennt mehrere Punkte: Gerade Regierungsparteien müssten „politische Trägheit“ überwinden und im Dialog vor Ort zeigen, was sie wirklich verändern wollen. Und sie brauche ein „attraktives personelles Angebot“, glaubt Höhne. Damit könnten Wäh­le­r*in­nen mehr anfangen, „als wenn da eine Funktionärsmannschaft fortgeschrittenen Alters antritt“.

Schlechte Chancen ohne Direktmandate

Genau dieses personelle Angebot hatte im Vorfeld für Aufregung gesorgt. Bei dem Vorschlag, den der Landesvorstand vorgelegt hatte, fand sich auf Platz zehn die erste Frau, unter den ersten 20 insgesamt waren gerade mal drei Christdemokratinnen. Das widerspricht den Regeln, die sich die Bundespartei gegeben hat, in Sachsen-Anhalt aber setzt man allein auf den Regionalproporz.

Schon bei der Landtagswahl 2021 hatte es einen ähnlich geringen Frauenanteil auf der Liste gegeben, allerdings stand die erste Frau auf Platz zwei. Auswirkungen hatte das nicht, weil die Liste gar nicht gezogen hat: Alle Abgeordnete sind über die Direktmandate in den Landtag eingezogen. Das wird im kommenden Jahr wohl anders sein. Es ist davon auszugehen, dass die AfD 2026 zahlreiche dieser Direktmandate holen wird.

Aus Ärger über die wenigen vorgeschlagenen Frauen und der eigenen Platzierung auf 37 hatte die ehemalige Bildungsministerin Eva Feußner ihre Kandidatur für einen Listenplatz zurückgezogen. Die mangelhafte Berücksichtigung sei „demütigend“ für die Frauen in der CDU, sagt sie am Samstag – und ist damit die einzige, die offen Kritik äußert. Die CDU müsse den Anspruch haben, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist, so Feußner weiter.

Die Stimmen der Frauen

Noch vor der ersten Frau standen aber zwei Landtagsabgeordnete auf der Vorschlagsliste, die schon mehrfach medial für Aufmerksamkeit gesorgt hatten. Lars-Jörn Zimmer (Listenplatz 4) und Ulrich Thomas (Listenplatz 6) haben beide gefordert, die Abgrenzung zur AfD aufzuweichen. In einem mehrseitigen Papier formulierten sie dazu 2019 unter anderem, es müsse gelingen, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“. Am Samstag erhielten sie beide zwar eher schlechte Ergebnisse – aber gute Listenplätze.

Für Ärger hatte auch gesorgt, dass Markus Kurze auf Platz acht platziert werden sollte. Kurze war im Sommer als parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion nach Belästigungsvorwürfen zurückgetreten, er selbst hatte sein Verhalten als verunglückten Handkuss entschuldigt. Erst als Kurze im ersten Wahlgang mit 42 Prozent Zustimmung ohne Ge­gen­kan­di­da­t*in durchfällt, tritt eine Gegenkandidatin an: die Landtagsabgeordnete Sandra Hietel-Heuer, die eigentlich auf Platz 32 vorgesehen war. Sie gewinnt, Kurze steht am Ende nicht auf der Liste.

Eva Feußner, die ehemalige Bildungsministerin, sagt mit Blick auf die wenigen Frauen auf der Liste: „Wenn wir um die Stimmen von Frauen werben wollen, ist das kein gutes Zeichen.“ Ohne die Stimmen der Frauen aber wird die CDU die Wahl im kommenden Jahr nicht gewinnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare