CDU-Zukunftskonferenz in Stade: Applaus für die Flüchtlingskanzlerin
Norddeutsche CDU-Mitglieder sparen mit Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik. Besonders erfreut reagiert der Saal aber, wenn es um Abschiebungen geht.
CDU-Mitglieder aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern sind gekommen – aus Rotenburg (Wümme) und Diepholz gleich busweise. Eigentlich wollte die Parteibasis mit Merkel über die Zukunft der CDU diskutieren. Nun dominiert, wie schon zuvor in Wuppertal, die Asyldebatte.
Auf der Bühne sitzt Merkel neben der norddeutschen Parteispitze vor einer hellblauen Pappwand mit Parteilogo. Zu Wort kommen ihre Kollegen kaum. Merkel verteidigt ihren Kurs alleine. Sie stellt klar, dass Menschen, die in ihren Heimatländern von Krieg und Terror bedroht sind und um ihr Leben fürchten, in Deutschland Asyl bekommen. „Was mich leitet, ist das C in unserem Namen“, sagt Merkel.
Schluss ist für die Christdemokratin damit allerdings bei „Wirtschaftsflüchtlingen“ aus sogenannten sicheren Herkunftsländern. Damit allen geholfen werden könne, die Unterstützung bräuchten, „müssen wir auch sagen, wem wir nicht helfen wollen“, sagt sie. Die Parteibasis in Stade applaudiert.
Debatte um Abschiebezonen an den Grenzen
Für die Bundes-CDU sind Treffen mit Mitgliedern derzeit ein Wagnis. Anfang Oktober rechneten 34 CDU-Funktionäre in einem Brandbrief mit der Asylpolitik Merkels ab und forderten klare Maßnahmen gegen die Einreise von Flüchtlingen. Auch zwei Politiker aus Niedersachsen waren darunter. Hinzu kommt die Debatte um Transitzonen an deutschen Außengrenzen, die vor allem die CSU fordert.
Angela Merkel
Solche Abschiebezonen hält Merkel für möglich. „Das wird nicht für Tausende und Abertausende von Flüchtlingen helfen“, räumt sie ein. Könne aber nützen, wenn etwa jemand erkennbar seine Papiere weggeworfen habe – und vor allem bringt es Ruhe in die Union.
Die Gäste in Stade hat Merkel im Griff: Souverän beantwortet sie die Fragen der Mitglieder. Beschwichtigt, wenn sich eine ältere Frau über die Kriminalität im Land sorgt oder ein Mann fragt, ob in 50 Jahren der Islam zu Deutschland gehöre oder Deutschland dem Islam. Sie sagt, das Land werde sich zwar wandeln, aber die Ankommenden müssten sich an das Grundgesetz halten. „Da müssen wir kompromisslos sein.“ Das kommt an. Manche Mitglieder treten nur an die bunten Gästemikros, um Merkel zu loben.
Keine Bleibeperspektive – keine Integration
Als die CDU-Vorsitzende von den Verschärfungen des Asylrechts spricht, davon, dass Abschiebungen zukünftig nicht mehr angekündigt, Leistungen für Ausreiseunwillige gestrichen und Menschen mit geringer Bleibeperspektive in den Erstaufnahme-Unterkünften untergebracht werden können, bis ihr Antrag innerhalb von sechs Monaten bearbeitet wurde, klatschen die Mitglieder. Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive sollen in den Kommunen nicht integriert und Abschiebungen beschleunigt werden.
Doch auf eine Frage weiß auch Merkel keine Antwort. Ein CDU-Mitglied aus Stade möchte wissen, bei wie vielen Flüchtlingen die Belastungsgrenze Deutschlands erreicht sei. Die Kanzlerin will keine Zahl nennen, die sie später nicht einhalten kann. Die Entwicklung der Flüchtlingszahlen hänge davon ab, ob die Ursachen der Flucht behoben und die Menschen auf ganz Europa verteilt würden. „Wir brauchen europäische Solidarität“, sagt sie und kündigt an, Gespräche mit der Türkei über den Grenzschutz zu führen.
Als ein Mann mit brauner Strickjacke ans Mikro tritt, sich in breitem norddeutschen Dialekt als „Meechbauer“ aus Cuxhaven vorstellt und über die VW-Affäre sprechen will, gehen die ersten Gäste. Das Wichtigste ist gesagt. Am Ende gibt es minutenlange Standing Ovations für die Kanzlerin. Praktisch. Denn danach können die Parteifreunde gleich stehen bleiben – zum Singen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“