CDU-Wahlprogramm und Rigaer 94: Im falschen Film
CDU-Parteitag entscheidet am Freitag über verfilmtes Wahlprogramm, in dem Senator Henkel Berlin eine sichere Stadt nennt. Jusos fordern seinen Rücktritt.
„Berlin ist eine sichere Stadt.“ Frank Henkel sagt das mit ruhiger Stimme und freundlichem Gesicht – als CDU-Spitzenkandidat in einem halbstündigen Film seiner Partei mit dem Wahlprogramm. Ein leibhaftiger Frank Henkel wird als Innensenator wenig später in derselben Stadt mögliche Mafia-Methoden sehen. Es ist der Morgen nach dem Gerichtsurteil, wonach die Räumung des Hauses Rigaer94 rechtswidrig war. Eigentlich will die CDU-Spitze bloß schon mal bei Popcorn Journalisten den Film zeigen, den am Freitag ein Landesparteitag im Delphi-Kino sieht. Doch die Frage „Wie weiter in der Rigaer?“ ist nicht auszublenden.
Henkel bleibt bei dem Kurs, den sein Generalsekretär Kai Wegner tags zuvor eingeschlagen hat: den Fokus weg von der Haltung des Gerichts hin zu einer Autobrandstiftung zu schieben, die möglicherweise dem Anwalt des Rigaer94-Eigentümers galt. Der war nicht zu der Verhandlung erschienen, weil er sich bedroht fühlte. Die Richterin entschied deshalb mit einem sogenannten Versäumnisurteil zugunsten der Gegenseite. Sie machte dabei allerdings klar, dass sie auch in der Sache das Vorgehen der Polizei für rechtswidrig hielt. Henkel selbst hält an seiner Auffassung fest, dass es gar keine Räumung durch die Polizei gegeben habe, dass es lediglich darum ging, Bauarbeiter des Eigentümers zu schützen.
Der Staatsschutz ermittele wegen des Brandanschlags vor dem Haus des Eigentümer-Anwalts, ist von ihm zu hören, bevor der wuchtigste Satz des Vormittags fällt. Sollte sich eine vermutete Einschüchterung oder Bedrohung bestätigen, „dann wären das unfassbare Mafia-Methoden“, sagt Henkel und sieht so gar nicht wie der nett lächelnde Spitzenkandidat aus dem Film aus. „Sollte das der Fall sein“, sagt er, „dann werde ich mich in meinem Kurs noch deutlicher bestärkt fühlen, als ich das jetzt schon tue.“
Er sehe „keinen Zusammenhang zwischen Rigaer Straße und Wahlkampf“, sagt Henkel. Doch ergibt sich der nicht schon allein aus dem Widerspruch zwischen der dortigen Situation und seinem Film-Satz vom sicheren Berlin? „Gott sei Dank steht die Rigaer Straße nicht für ganz Berlin“, kommt als Antwort.
Zwei Plätze neben Henkel sitzt Justizsenator und CDU-Wahlkampfmanager Thomas Heilmann vor den Journalisten. „Spiritus rector“ des Films nennt ihn Henkel. Der Tagesspiegel hatte in einer Äußerung Heilmanns nach dem Urteil eine Distanzierung von Henkel gesehen. Dem soll nicht so sein, versichert eine Sprecherin, und dass Heilmann anders als andere CDU-Promis nicht im Film auftaucht, soll auch kein Zeichen eines Zerwürfnisses sein.
Nachdem führende Grüne eher vorsichtig kommentierten, Regierungsmitglieder hätten auch schon wegen weniger zurücktreten müssen, sind die Jusos am Donnerstag konkreter: „Henkel muss sofort zurücktreten!“, überschreibt der Nachwuchs von Henkels Koalitionspartner SPD eine Erklärung.
Für deutschlandweit einmalig hält die Berliner CDU ihre Idee, ihre Standpunkte für die Abgeordnetenhauswahl nicht klassisch als gedrucktes dickes Wahlprogramm, sondern als Film unter die Leute zu bringen, über Internet und im Kino. Letzteres soll erstmals an diesem Freitag beim Landesparteitag passieren. 35 Minuten ist er lang, neben CDU-Promis taucht beispielsweise auch der Anti-Gewalt-Trainer Carsten Stahl auf. Weil der Film in 12 dreiminütige Kapitel gegliedert ist, erscheint der Parteispitze das nicht zu lang. Der Parteitag entscheidet über seine Freigabe.
Einige der Pläne und Forderungen sind:– Stärkung der Gymnasien – Lehrerverbeamtung – 750 neue Polizistenstellen – U8-Ausbau bis Märkisches Viertel – Ende von „Multikulti-Traumtänzerei“ – Familien-Überholspur in Ämtern – Flussbad am Bodemuseum
Am Nachmittag informiert das Landgericht, dass der Rigaer94-Eigentümer Einspruch gegen das Urteil eingelegt habe und der Anwalt ein neuer sei. Der Innensenator allerdings ist auch bei Redaktionsschluss weiterhin Frank Henkel.
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