piwik no script img

CDU-Endspurt zur BundestagswahlJetzt zählt nur der Sonntag

Kai Wegner und Friedrich Merz gelten nicht gerade als dicke Freunde. Beim Auftritt des Kanzlerkandidaten in Berlin aber ist davon nichts zu spüren.

Berlins CDU-Landes- und Regierungschef Kai Wegner begrüßt Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Gasometer in Schöneberg Foto: Christian Mang

Berlin taz | Man muss eben Prioritäten setzen. Wenn der eigene Kanzlerkandidat zu einem Wahlkampfauftritt gastiert, dann weiß ein Kai Wegner als Berliner CDU-Landeschef genau: Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt, inhaltliche oder persönliche Streitereien auszutragen, von denen es mit Friedrich Merz einige gab und gibt.

Merz kommt am Donnerstagabend in den Gasometer auf den Euref-Campus in Berlin-Schöneberg, wo außerhalb des Geländes einige Dutzend Menschen „Hoch die internationale Solidarität“ skandieren und gegen Sozialabbau demonstrieren.

Für Wegner ist der Euref-Campus ein besonderer Ort. Hier hat er 2019, im Backsteingebäude gegenüber dem Gasometer, in einer Pressekonferenz angekündigt, dass er neuer CDU-Landeschef sein wollte. Den Posten hatte damals Kulturstaatsministerin Monika Grütters inne, die nicht den Eindruck machte, ihn abgeben zu wollen. Hier hat er im Frühjahr 2023 die Koalitionsgespräche nach der Wiederholungswahl geführt, die dazu führten, dass er Berlins Regierungschef wurde.

Nun redet hier also Merz darüber, was anders werden soll mit ihm als Kanzler, was bislang falsch läuft – und wiederholt sein Versprechen, nicht mit der AfD zu koalieren. Eine Stunde und durchaus kurzweilig, Kritik am Rande des Populismus gegen die EU inklusive: Wieder einmal muss dafür die Vorgabe für nicht abdrehbare Deckel an Plastikflaschen herhalten.

Sticheleien gegen den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck gibt es auch. Aber die fallen nicht wirklich hämisch aus. Für Habeck, meint Merz etwa, gingen Unternehmen nicht in Insolvenz, sondern würden nur aufhören zu produzieren. Es wirkt so, als wolle er eine Tür nicht zuschlagen, falls es ab Sonntag mit der SPD allein nicht für eine Koalition reicht.

Tempelhofer Feld spielt keine Rolle

Angesichts Dutzender Polizisten und sonstiger Sicherheitskräfte auf dem Euref-Campus und im Saal des Gasometers, aus dem früher die Talkshow „Günther Jauch“ kam, hat Wegner eingangs in Richtung des „lieben Friedrich“ gesagt, Berlin sei „ein heißes Pflaster“. Darauf, dass Merz vier Tage zuvor beim Kanzlerkandidaten-„Quadrell“ bei RTL ohne Not für zusätzliche Irritationen beim ohnehin schon umstrittenen Thema Tempelhofer Feld sorgte – vom Gasometer nur zwei Kilometer entfernt – geht er nicht ein.

Merz stellte es in der Fernsehsendung so dar, als hätten allein Anwohner verhindert, dass das Feld bebaut werden darf. Dass dafür vielmehr 2014 ein landesweiter Volksentscheid mit Gesetzeskraft sorgte, schien ihm nicht präsent oder egal zu sein.

„Ja klar, wenn die Bürgerinnen und Bürger sich weigern, dann muss die Politik bereit sein, auch gegen den erklärten Willen der Nachbarschaft zu sagen: Wir weisen das jetzt aber als Bauland aus und werden dort bauen“, waren seine Worte. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz – sonst an diesem Abend auf Konfrontationskurs zu Merz – schloss sich dem an.

Wegner hingegen verwies am nächsten Tag darauf, dass man zwar bauen wolle, dass es dazu aber ein Verfahren gibt und am Ende erneut die Bevölkerung darüber abstimmen soll. Als Termin dafür ist der Tag der nächsten Abgeordnetenhauswahl im September 2026 im Gespräch.

All das bleibt ungesagt im Gasometer, und die anwesenden Berliner CDUler korrigieren ihren Kanzlerkandidaten auch nicht, als der davon spricht, die Stadt habe zwei Universitäten – tatsächlich sind es vier, hinzu kommen zahlreiche Hochschulen. Es ist Realpolitik pur, die Wegner an diesem Abend betreibt: Prioritäten setzen, inneres Grummeln außen vor lassen.

Bis Sonntag ist nicht die von ihm angestrebte, von Merz aber lange abgelehnte Lockerung der Schuldenbremse das wichtigste Ziel, sondern das Kanzleramt. Über alles andere kann man dann am Montag wieder reden.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!